Moritz Leuenberger

Moritz Leuenberger: «Grundlage für mein ethisches Denken ist in erster Linie die Bergpredigt.» © srf

Leuenbergers Bekenntnisse im Magazin der Bibel-Fundamentalisten

Kurt Marti /  Ausgerechnet im Magazin «Idea Spektrum» der evangelikalen Fundamentalisten präsentierte Moritz Leuenberger seinen Bibelglauben.

Von der Titelseite der Zeitschrift «Idea Spektrum» blickte Mitte Januar ein nachdenklicher alt Bundesrat Moritz Leuenberger. Im Innern der Publikation folgte ein vierseitiges Interview, in dem Leuenberger die Bibel als sein ethisches Fundament bezeichnete. Es ist die gleiche Zeitschrift, in welcher Weltwoche-Chef Roger Köppel vor drei Jahren den biblischen «Endkampf» ausrief.

Hinter der Zeitschrift «Idea Spektrum» steht die «Schweizerische Evangelische Allianz» (SEA), die Teil eines weltweiten evangelikalen Netzwerkes ist, das beispielsweise in den USA massgeblich zur Wahl von Donald Trump vor vier Jahren beigetragen hat. Die Evangelikalen vertreten fundamentalistische Positionen in Bezug auf die Homosexualität, die Abtreibung und die Evolutionstheorie.

Interviewt wurde Leuenberger von Andrea Vonlanthen, dem Mitglied des Verwaltungsrats der «Idea Informations AG», die «Idea Spektrum» herausgibt (siehe Kasten unten: Der «Auftrag» von Idea Spektrum). Er sass für die SVP 20 Jahre im Thurgauer Parlament. Im März machte er von sich reden, als er unter dem Moto «Not lehrt beten» zum Gebet gegen Corona aufrief. Vor der Abstimmung zur Anti-Rassismus-Strafnorm sah er in einem Leserbrief in der Thurgauer Zeitung wegen «militanten Homosexuellen» die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Ethische Grundlage im Neuen Testament

Leuenberger erklärte im Interview mit «Idea Spektrum», man könne nicht sagen, mit dem Lesen der Bibel «wären alle Probleme gelöst». Die Welt brauche «Aufklärung, rationale Auseinandersetzung und Mitmenschlichkeit». Das tönt vernünftig, aber als Basis seines «ethischen Denkens» bezeichnete er erstaunlicherweise nicht etwa die Vernunft und die Menschenrechte, also die Werte der Aufklärung, sondern das Neue Testament: «Grundlage für mein ethisches Denken ist in erster Linie die Bergpredigt.» 

Die Bergpredigt hat bekanntlich viele Gesichter. Einerseits ist da die Nächstenliebe, die jedoch nicht erst in der Bibel das Licht der Welt erblickte, sondern schon Hunderttausende von Jahren im Evolutions-Prinzip des Altruismus am Wirken war und die ganz ohne Religionsanleihen vernunftethisch, also rein säkular, begründet werden kann.

Da gibt es aber auch die andere Seite der Bergpredigt, wenn Jesus sein zorniges Gesicht zeigt: «Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.» Und wer seinen Bruder als «Narr» bezeichne, solle «dem Feuer der Hölle verfallen sein».

Das Märchen von den christlichen Werten

Für Leuenberger spielt das Neue Testament «bei unserer Wertediskussion eine ganz grosse Rolle». Beispielsweise die «ethischen Fragen» im Zusammenhang mit der Corona-Krise beantworten wir laut Leuenberger «vor unserem christlich-jüdischen Hintergrund», dem «Erbe unserer Kultur». Mit dieser Einschätzung befindet sich der alt SP-Bundesrat in bester Gesellschaft mit der früheren CVP und der SVP.

Es ist das grosse Missverständnis der abendländischen Geschichte, den Ursprung der Werte der Freiheit und der Menschenrechte in der «christlich-jüdischen» Kultur zu sehen. Denn diese Werte mussten im Zeitalter der Rückbesinnung auf die Antike (Renaissance) und der Aufklärung erst erkämpft werden, und zwar gegen den Widerstand eben dieser «christlich-jüdischen» Kultur, die sich auf die Bibel berief (siehe dazu Infosperber: Das Märchen von den christlichen Werten). Zuvor lag der christliche Schatten tausend Jahre lang über Europa.

Der «Auftrag» von «Idea Spektrum»

Leuenbergers Bekenntnisse haben der Redaktion von «Idea Spektrum» so gut gefallen, dass er von der Frontseite grüsst. Kein Wunder, wenn man das Gedankengut näher anschaut, das hinter dem religiösen Magazin steckt und das freilich im Interview mit Leuenberger nicht zur Sprache kam.

Der «Auftrag» von «Idea Spektrum» lautet nämlich: «Idea Spektrum bildet das Geschehen im Zusammenhang mit Christinnen und Christen ab, die sich auf der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz und im Geiste der Lausanner Verpflichtung bewegen.»

Die «Lausanner Verpflichtung» postuliert die Exklusivität der christlichen Religion. Die Bibel wird als das «einzige geschriebene Wort Gottes» bezeichnet, das «ohne Irrtum in allem» und der «einzige unfehlbare Massstab des Glaubens und Lebens» sei. Laut der «Lausanner Verpflichtung» gibt es «nur einen Erlöser und nur ein Evangelium».

Homophobes Pamphlet des SEA-Präsidenten

Neben der «Lausanner Verpflichtung» beruft sich «Idea Spektrum» auch auf die «Glaubensbasis» der Schweizerischen Evangelischen Allianz» (SEA), die sich gegen die Erweiterung der «Anti-Rassismus-Strafnorm» ausgesprochen hat und aktuell das Referendum gegen die «Ehe für alle» unterstützt.

Bei beiden Vorlagen geht es im Kern um die Ablehnung der Homosexualität auf Grund der homophoben Stellen in der Bibel. Diese verurteilen die Homosexualität als «widernatürlich» und als «Gräueltat». Wer so handelt, der hat laut dem Alten und dem Neuen Testament «den Tod verdient».

Präsident der SEA ist seit 2008 der Ehe- und Sexualtherapeut Wilf Gasser, der bereits in seinem zweiten Präsidialjahr 2009 den Tarif zur Homosexualität in einem Arbeitspapier durchgab. Darin stützte er sich auf die entsprechenden Bibelstellen.

Dieses homophobe Pamphlet ist auf der SEA-Website nicht mehr auffindbar, aber ein Dokument der Zürcher Fachstelle für Sektenfragen Infosekta aus dem Jahr 2013 gibt einen Überblick über die wesentlichen Inhalte des Papiers und übt daran harte Kritik.

Als Reaktion auf diese Kritik erklärte Gasser gegenüber Infosekta, die SEA plane, ihre Stellungnahme zum Thema Homosexualität zu überarbeiten. Das sei kein einfaches Unterfangen, weil es zu diesem Thema heute auch innerhalb der Evangelikalen unterschiedliche Positionen gebe.

Papier zur Sexualität nur für SEA-Mitglieder

Seither hat die SEA ein Orientierungspapier «Umgang mit Beziehung, Sexualität und Gender-Fragen» erarbeitet mit dem Vermerk: «Wichtig! Das Orientierungspapier steht nur SEA-Mitgliedern zur Verfügung!» In einer diesbezüglichen Medienmitteilung heisst es, die SEA halte «nach bestem Wissen und Gewissen an einer biblisch-konservativen Perspektive fest». 

Offenbar ist die Evangelische Allianz nach der Kritik von Infosekta und wegen der erweiterten Anti-Rassismus-Strafnorm sehr vorsichtig geworden. In der Stellungnahme zur Vorlage «Ehe für alle» sucht man nämlich vergeblich nach einem Hinweis auf die Bibel.

Vielmehr begründet die Allianz ihre Ablehnung mit der Sorge für die Altersvorsorge, weil in homosexuellen Beziehungen «auf natürlichem Weg keine Nachkommen gezeugt werden, die dann wiederum Verantwortung für die Elterngeneration übernehmen könnten».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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