Kommentar

Grösste Insolvenzverschleppung der Geschichte

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsDie beiden Ökonomen Matthias Weik und Marc Friedrich schrieben 2012 den Bestseller «Der grösste Raubzug der ©

Marc Friedrich /  Ein drittes Mal soll ein Milliardenpaket die Gläubiger Griechenlands schadlos halten. Doch ein Schuldenschnitt ist unvermeidlich.

Der Versuch, Griechenland wie ein abhängiges Protektorat auszubluten und zu hoffen, das Land werde in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren in der Lage sein, die fahrlässigen Kreditgeber schadlos zu halten, erinnert an ein Zitat Albert Einsteins:
«Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten

Nicht eine vernünftige, sondern eine politische Lösung hat sich durchgesetzt: Eine immer teurere Rettung auf Zeit.
Es wird erneut der bequemste Weg gewählt und, gegen den Willen der Wähler, abermals teuer Zeit erkauft. Innerhalb weniger Tage explodierte die notwendige Summe, die Griechenland benötigt, von 17,5 Milliarden auf nunmehr 100 Milliarden Euro – und wir reden hier nur für die nächsten drei Jahre! Damit sind die 86 Milliarden, über die gegenwärtig verhandelt wird, bereits jetzt überholt. Auch diese astronomische Summe wird leider nicht reichen. Der ökonomische Irrsinn geht jetzt bereits in die dritte Runde. Es wird nicht die letzte sein.
Alte Schulden werden weiter mit neuen Schulden «getilgt»
Die Ursachen und Probleme werden nicht im Ansatz gelöst, sondern bloss die notwendigsten Löcher gestopft. Das meiste Geld wird für den Schuldendienst verwendet und damit keine wirtschaftliche Stimulanz auslösen, welche Griechenland und seine Bürger so dringend benötigt. Es werden weiterhin alte Schulden mit neuen Schulden bezahlt, und ein Rettungspaket wird durch ein neues Rettungspaket abgelöst. In drei Jahren wird der griechische Finanzbedarf noch grösser und die Schuldenberge weiterhin gigantisch hoch sein. Abgesehen davon ist es fraglich, welche «Reformen» das Land tatsächlich umsetzt.
Wir fragen uns deshalb:

  • Wie viele Milliarden müssen wir noch verbrennen bis die Erkenntnis in Brüssel und Berlin endlich da ist, dass dem Land mit weiteren Krediten nicht zu helfen ist?
  • Wie lange will uns die Politik noch weis machen, dass wir alle diese Kredite je wieder zurückbekommen?
  • Wie lange sollen wir der Devise von Kanzlerin Merkel «scheitert der Euro, scheitert Europa» noch glauben?
  • Wann wird man endlich anerkennen, dass das Land einen Schuldenerlass und einen Marshallplan benötigt?
  • Wann werden wir endlich beginnen die Menschen und nicht nur die Banken und den Euro zu retten?
  • Wieso sollen die Erlöse aus den Privatisierungen jetzt erreicht werden, nachdem sie in den letzten Jahren schon nicht erreicht wurden?
  • Wenn es nicht einmal Deutschland als Exportweltmeister und mit Rekordsteuereinnahmen schafft, Schulden zurückzuzahlen, wie können wir es dann vom krisengeplagten Griechenland oder irgendeinem anderen Land erwarten?
  • Wenn es die Staaten nicht schaffen in einer Niedrigzinsphase Schulden abzubauen, was passiert eigentlich wenn die Zinsen steigen?

Der deutsche Bundestag hat sich erwartungsgemäss für die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes «Hilfspaket» – 86 Milliarden Euro für drei Jahre – ausgesprochen. Das meiste Geld soll aus dem Euro-Rettungsfonds ESM kommen, ein weiterer Anteil vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Wobei der IWF nur mit an Bord ist, wenn es zu einem ordentlichen Schuldenschnitt für Griechenland kommt. Das wollen aber weder Finanzminister Schäuble noch die EZB noch andere Gläubiger. Zudem ist es rechtlich mehr als fragwürdig, ob ESM-Gelder überhaupt in ein Hilfspaket fliessen dürfen. Damit das Land nicht sofort zahlungsunfähig ist, erhält es zunächst bis zum Abschluss der Verhandlungen bis Mitte August eine sogenannte Brückenfinanzierung in Höhe von sieben Milliarden Euro. Die Laufzeit der «Hilfen» beträgt drei Monate. Mit dem Geld konnte das Land seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber EZB und IWF begleichen.
Die EZB hatte sich, unter dem Franzosen Jean-Claude Trichet, fleissig mit griechischen Staatsanleihen eingedeckt. Diese müssen selbstredend bezahlt werden. Fällig waren diese Bonds, in Höhe von 3,5 Milliarden, am 20. Juli 2015. Sie wurden pünktlich bezahlt – vom europäischen Steuerzahler. Nachdem dies geschah, erhöhte Draghis EZB die Notkredite ELA für Griechenland um 900 Millionen Euro.
Ferner kann Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem weiterhin verkünden: «Wir machen keine Brücken-Finanzierung», denn es macht nicht die Euro-Gruppe den Bailout für die EZB, sondern die ganze EU.

Allein 60 Unionsmitglieder lassen sich nicht mehr von der Kanzlerin täuschen und stimmten mit Nein, fünf enthielten sich. Der Kanzlerin sollte dieses Ergebnis eine Warnung sein, denn der Bundestag muss dem Paket als solchem am Ende noch einmal zustimmen. Wir sind gespannt, wie die Abgeordneten ein weiteres Rettungspaket in ihren Wahlkreisen verkaufen. Hat es nach dem zweiten Hilfspaket für Griechenland nicht schon einmal geheissen, das sei aber nun wirklich das letzte?

Status Quo Griechenland

Entwicklung der Industrieproduktion europäischer Länder (hier zur grösseren Auflösung der Grafik)

Nichts hat sich seit den letzten «Hilfen» zum Positiven gewendet – ganz im Gegenteil. Die wirtschaftliche Gesamtsituation verschlechtert sich kontinuierlich. Seit 2009 ist Griechenland unaufhaltsam auf dem besten Weg das erste «Drittweltland» der Eurozone zu werden. Mehr und mehr zeigt die Austeritätspolitik ihre desaströsen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Mai 2015 markiert beim Industrieoutput den tiefsten Stand seit September 1978. Im Jahr 1978 betrugen die griechischen Staatsschulden vergleichsweise 7,3 Mrd. Euro bzw. 22,1 Prozent des nominalen BIPs. Heute stehen wir bei fast 317 Milliarden Euro, 174 Prozent des BIP. Die Arbeitslosenquote liegt weiterhin bei über 25 Prozent, und über 53 Prozent der Jugendlichen sind weiterhin ohne Job. Wohlgemerkt sind dies die offiziellen Zahlen.
Wahlversprechen verraten
Die Griechen haben erkannt, dass das Land am Ende ist und haben mit den letzten Parlamentswahlen ihre eigenen Eliten abgewählt. Doch jetzt hat auch noch der Hoffnungsträger der Griechen, Alexis Tsipras, von der Linken Partei Syriza mit der Mehrheit des Parlaments das Land und seine Versprechen verraten. Nachdem das Volk «Nein» gesagt hat, ist man eingeknickt und hat dem zugestimmt, was die Bürger Griechenlands im Referendum abgelehnt hatten.
Das griechische Parlament beschloss Gesetze, die ihm von aussen aufgedrängt wurden und dessen Inhalt die Troika bestimmt hat. Ist das Demokratie? Ist das das Europa das wir uns vorstellen? Nein. Die Wucht des Euroexperiments frisst sich durch die Länder – angefangen bei Griechenland, über Portugal, Spanien, Italien, bis nach Frankreich. Es bröckelt an vielen Orten.
Griechenland wird seine Schulden niemals bezahlen können und ein Schuldenschnitt wird kommen – in welcher Form auch immer. Kanzlerin Merkel lehnt einen «klassischen» Schuldenschnitt für Griechenland weiterhin ab. Doch es existieren weitere Optionen. Die Schuldenlast soll in den kommenden Jahren grösstenteils auf den ESM umgelagert und somit die Risiken auf die Schultern der europäischen Steuerzahler verteilt werden.
Erfolg in andern Ländern? Eine Irreführung!
Heute sprechen wir lediglich von Griechenland. Bald werden wir von noch grösseren Problemen sprechen müssen.

Es heisst immer, überall ausser in Griechenland würden die Reformen greifen. Doch werfen wir einmal einen Blick auf Frankreich und Italien.

Auch in Frankreich steigt die Zahl der Arbeitslosen kontinuierlich. Über 3,5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit – ein neues Allzeithoch. Seit nun 48 Monaten in Folge steigt die Arbeitslosigkeit, im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Industrieproduktion des Landes befindet sich weiterhin auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Je länger diese Krise anhält, desto stärker wird die rechte Front National um Marie Le Pen.
Auch Italien steht mit dem Rücken zur Wand. Das Land hat allein im ersten Halbjahr 2015 Schulden gemacht in Höhe des gesamten neuen Rettungspakets für Griechenland. Italiens Schuldenberg erreicht dieses Jahr 2,218 Billionen Euro. Das entspricht 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und somit mehr als doppelt so viel wie das Maastricht-Kriterium der Euro-Zone erlaubt. Parallel ist seit 2008 Italiens Industrieproduktion um ein Viertel gesunken. Einerseits befindet sich das Pro-Kopf-Einkommen auf dem niedrigsten Niveau seit 1997, andererseits hat sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt. Der Gau in Italien ist also vorprogrammiert. Die italienische Zentralbank (Banca d’Italia) veröffentlichte am 8. Juli 2015 die Daten zur «Bad Debt», den notleidenden Krediten für den Monat Mai 2015. Die offiziellen «Non Performing Loans» – Kredite mit mehr als 90 Tagen im Zahlungsverzug – erklommen erneut ein Allzeithoch mit 194 Milliarden Euro.

Die Aussage, dass in allen anderen Ländern, ausser in Griechenland, die «Reformen» greifen, ist also weit gefehlt. Länder wie Frankreich und Italien werden sich nicht so drangsalieren lassen wie Griechenland. Auch in Spanien und Portugal sieht es nicht besser aus. Viele positive Nachrichten sind nichts als Nebelkerzen und Statistiktricks. Wir können uns auf einiges gefasst machen.

Siehe


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die beiden Ökonomen Matthias Weik und Marc Friedrich schrieben 2012 den Bestseller «Der grösste Raubzug der Geschichte – warum die Fleissigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden». Ihr neuestes Buch heisst «Der Crash ist die Lösung – Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten». - Die beiden Autoren sind Inhaber der unabhängigen Vermögensberatungsfirma FRIEDRICH & WEIK VERMÖGENSSICHERUNG UG (haftungsbeschränkt).

Zum Infosperber-Dossier:

Tsipras

Griechenland nach der Kapitulation

EU, EZB und IWF erzwangen Rückzahlungen an die fahrlässigen Kreditgeber – auf dem Buckel der Bevölkerung.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.