Kommentar

As-SOMM-ez la NZZ!

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine ©

Helen Brügger /  K. o. geschlagen (assommer) wurde sie nicht. Die «NZZ». Noch nicht. Diesmal. Aber wie geht es weiter? Ein Ausblick.

Es war im Januar 2030. Die beiden letzten Verleger des Landes blickten sich spinnefeind an. «Du mit deinem Renditedenken bist an allem schuld», raunzte der eine. «Und du hast mit deinen ideologischen Breitseiten auch noch den letzten Leser in die Flucht geschlagen», gab der andere zurück. Es handelte sich um die Vertreter der Blocher-Swiss-Media (BSM) und der Commerz-Media AG (CM).
Die beiden waren nach dem letzten Konzentrationsgefecht übrig geblieben, zu welchem vor gerade fünfzehn Jahren, Ende 2014, die Weichen gestellt worden waren. Mit dem Schlachtruf «As-Somm-ez la NZZ» hatte die BSM versucht, das ehrwürdige Flaggschiff des Schweizer Freisinns zu entern. Und es war nicht bei diesem einen Versuch geblieben: Karrieresüchtige FDP-Politiker, so berichten Chronisten, hätten der BSM auch in der Folge Sukkurs für weitere Coups gegen die «NZZ» geleistet, und zwar jeweils für eine handvoll Stimmen im Nationalrat. Das andere Flaggschiff der Schweiz, «Le Temps», wurde von einem der Vorläuferverlage der CM im düsteren Newsroom eines obskuren Springier-Joint-Venture versenkt, bis die Stimme der Romandie verstummte.

Als die Zeitungsleser Bücher zu lesen begannen

Ja früher, da gab es noch ein Gewusel von Klein-, Lokal-, Regional- und Alternativ-Verlegern im Verband. Das waren die Zeiten, als der Bundesrat teure Kommissionen ein- und wieder absetzte, weil die Berichte der besagten Kommissionen immer wieder auf das Gleiche heraus liefen: Die Politik müsse Qualitätsförderung betreiben, was aber die Verlegermehrheit jedes Mal erfolgreich hintertrieb. Mehr und mehr stellte sich dann heraus, dass die Zukunft der Blocher-Swiss-Media, die das Wiederaufleben der Parteisprachrohre betrieb, und der Commerz-Media, die ihren Informationsauftrag auf die Publikation beliebig austauschbarer Häppchen und Schnäppchen reduzierte, gehören würde. Und es wurde ruhiger im Land.
Wenn man vom unbedarften Geschwätz der immer unbedenklicher als Talk-Partner im Service public eingeladenen sogenannten Experten absieht, kann man geradezu von einer Friedhofsruhe reden, die bald nach dem Untergang von «NZZ» und «Le Temps» einkehrte. Wie bei einem Dominoeffekt fielen alle andern unabhängigen Zeitungen in die Hand der beiden Verleger. Die Gefechte, die diese nun noch austrugen, liefen darauf hinaus, dass sie Millionen von Franken aus dem Fenster warfen, nur um sich im Markt zu behaupten und die Konkurrenz auszutricksen. Die BSM säte Hass gegen alles, was anders dachte und handelte als Die Partei vorschrieb. Die CM hingegen schloss Druckereien, ersetzte Journalisten durch Roboter und ging zum totalen Content-Management über.
Doch schon wenige Jahre nach der letzten Marktbereinigung zwischen CM und BSM wurde klar: Die Situation war ausweglos. Denn die Leser behaupteten nun, es sei Hans wie Heiri, was in den Zeitungen stand. Und sie begannen, stattdessen Bücher zu lesen, die von entlassenen Journalisten und totgeschwiegenen Autoren geschrieben wurden.

Das Ende der letzten Verleger

Nun, im Januar 2030 sassen sich die letzten Verleger also Aug in Auge gegenüber und wollten sich gerade gegenseitig an der Gurgel packen. Da donnerte es furchtbar, und ein für den Januar unzeitgemässes Gewitter ging nieder. Niemand hatte Vorkehrungen gegen die immer häufiger werdenden Unwetter getroffen, denn weder die CM-Zeitungen noch die BSM-Zeitungen berichteten je über die Ursache des Übels, die Klimaveränderung. Die einen nicht, weil das für Die Partei linkes Gesäusel war, die andern, weil bei solchen Artikeln den Lesern das Gipfeli in den Kaffee gefallen wäre.
Plötzlich fuhr mit einem schrecklichen Zischen ein gigantischer Blitz in das Gebäude. Es brannte bis auf die Grundmauern nieder. Von den beiden letzten Verlegern des Landes blieben nur das steinerne Herz des einen und das eiserne Fäustchen des andern in Schutt und Asche liegen.

Dieser Beitrag erschien am 23. Januar 2015 erstmals in «Syndicom»


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2 Meinungen

  • am 26.01.2015 um 12:18 Uhr
    Permalink

    Diesen Artikel von Helen Brügger finde ich ausgezeichnet. Meine Version ist die, dass am Schluss nur noch eine einzige Zeitung übrig bleibt, was uns das Lesen «relevanter Informationen» wesentlich erleichtern wird (selbstverständlich ironisch gemeint)!
    Judith Stamm, Luzern

  • am 26.01.2015 um 12:45 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrte, liebe Frau Brügger
    Dem Infosperber sei Dank und Ihnen ein herzliches Dankeschön für den schlicht genialen Beitrag. Chapeau!! Sie sprechen mir aus der Seele. Mein Mainstreamkonsum ist schon massiv reduziert, denn die Vorboten Ihrer «Prophezeiung» sind schon längst sichtbar. Zum Glück gibt es alternative Medien, die informieren; umfassend und auch kritisch. Übel im Mainstream ist ja nicht nur das Verdrehen, Vertuschen und Lügen, sondern vor allem auch die Themen und Standpunkte, die sie meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber solange das Volk diesen Papier- und Sendermissbrauch nicht ächtet und die beteiligten Politiker wieder gewählt werden, wird sich die Sache vielleicht bis ins Jahr 2030 hinziehen. Ich hoffe, dass die integren und kompetenten Journalisten einen adäquaten Job finden.
    Nochmals Chapeau, sehr geehrte Frau Brügger.

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