Kommentar

Sprachlust: Ist sie schwanger, isst Tiermama mehr

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Menschen essen, Tiere fressen - das war einmal. Viele Leute gönnen Tieren menschliches Vokabular, und hoffentlich kein Hundeleben.

Ein distinguierter Silberreiher ist neulich in einer Zeitung gezeigt worden, wie er gerade «Fisch isst». Längst vorbei sind die Zeiten, als man Tiere daran erkannte, dass sie fressen und saufen, und – sofern sie Weibchen sind – trächtig werden und dann Junge werfen. Letztere machten wohl den Anfang, indem sie sich zu Babies befördern liessen. Damals verwendete man auch im Deutschen noch den englischen Plural, und die Bébés hatten den Rückzug in die schweizerische Mundart bereits angetreten. Inzwischen haben, Robbenbabys voran, die Tierkinder die sprachliche Gleichstellung mit den Menschenkindern schon weitgehend geschafft.
Was als Baby eines Muttertiers – pardon, einer Tiermama – zur Welt kommt, wird auch nicht mehr geworfen, sondern geboren; um einen Weitwurf handelte es sich ja bei diesem Vorgang nie. Aus den Alten sind Eltern geworden, weiblichenfalls zuweilen schwangere, nicht etwa trächtige. Fürs Herbeiführen dieses Zustands freilich ist «decken» immer noch das gängige Wort – wie lange noch? Auch als Frauen und Männer werden die Elterntiere erst selten bezeichnet; gar als Damen und Herren nur dann, wenn sie durch besonders stolzes Auftreten auffallen und damit sanften Spott auslösen. Aber essen und trinken haben schon viele von ihnen gelernt, und manche tun es statt mit dem Maul mit dem Mund, wenn dieser nicht gerade ein Schnabel ist.
Sind wir bessere Tiere?
Hinter der sprachlichen Gleichberechtigung steckt wohl die Überzeugung, dass wir alle dem Tierreich angehören; schliesslich galt der Mensch schon den alten Griechen als «zoon politikon», als geselliges Tier (oder Lebewesen). Was ihn allerdings nicht daran hinderte, sich zahlreiche andere Tiere untertan zu machen und sich allen überlegen zu fühlen. Wie andere Herrschaftsverhältnisse, so hat sich auch dieses in der Sprache abgebildet. Die Bemühungen, solchen Sprachgebrauch zu ändern, führten meist über die Identifikation eines «-ismus», den es zu bekämpfen galt.
Paradebeispiele, und in ihren sprachlichen Konsequenzen bis heute Streitgegenstand, sind der Rassismus und der Sexismus. Dass gegenüber Tieren Speziesismus herrsche, hört man seltener; der Ruf nach artgerechter Haltung impliziert eher, verschiedenen Arten gebühre eben unterschiedliche Behandlung. Allein für die menschliche Spezies gültige Ausdrücke sind (oder waren) im Deutschen besonders ausgeprägt. Sie für Tiere zu verwenden, sehe ich als Ausdruck des Bestrebens, den Homo Sapiens nicht mehr als etwas Besseres darzustellen, sondern zur demütigen Einordnung in die Natur anzuhalten.
Ohne tierischen Ernst
Dagegen ist nichts einzuwenden, solange es nicht mit Zwang verbunden ist. Es ist ja gerade das Schöne an der Vielfalt der Ausdrücke, dass sie allen die Gelegenheit gibt, ihre Einstellung zum Tierreich auch mit der Wortwahl kundzutun. Die Kehrseite ist, dass man im Deutschen dem Wählenmüssen kaum entkommt: Redet eine (schwangere) Frau von einem trächtigen Tierweibchen, so läuft sie Gefahr, als Speziesistin abgestempelt zu werden, obwohl sie vielleicht gerade eine besondere Verbundenheit empfindet und diese bloss nicht in gewählten Worten ausgedrückt hat.
Zunehmend verpönt ist es, Tiere sprachlich zu verunglimpfen. Ornithologen haben vor Langem schon den Raubvogel in Greifvogel umbenannt, um ihm sein Verhalten nicht mehr anzukreiden. Zu Lande und zu Wasser tummeln sich, wenn das Beispiel Schule macht, künftig Schnapptiere. «Dumme Kuh» sollte man sowieso nicht sagen, aber auch die Sauordnung wird vermutlich abgeschafft, und ob der Platzhirsch oder der Löwenanteil noch salonfähig sind, wird sich weisen müssen. Auch Pflanzen kommen in den Genuss sprachlicher Korrektheit: Kein Kraut darf noch ein Unkraut sein, und bald ist es wohl auch anrüchig, es des Wucherns zu bezichtigen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 16.11.2013 um 15:18 Uhr
    Permalink

    Immer wieder eine Freude zu lesen die Beiträge von Daniel Goldstein!

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