Kommentar

Sprache: Liebe Festgemeinde, verstehen Sie mich?

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Für Deutschschweizer ist Mundart an der Bundesfeier heimelig. Aber nicht freundeidgenössisch – für Gäste aus anderen Regionen.

Liebe Festrednerin, lieber Festredner,
jetzt stecken Sie wohl in den letzten Vorbereitungen für Ihre 1.-August-Ansprache. Was Sie sagen wollen, ist natürlich ganz Ihnen überlassen, aber bitte sagen Sie es gut verständlich. Und das bedeutet, wenn Sie nicht gerade in einer ganz abgelegenen Ecke vor lauter Deutschschweizern auftreten, dass Sie hochdeutsch reden sollten. Wenn Sie jetzt aufbegehren, ausgerechnet an der Schweizer Bundesfeier werde man doch noch Schweizerdeutsch reden dürfen, dann bedenken Sie bitte: Man darf, aber es ist weder höflich noch freundeidgenössisch, sich im Dialekt an Konföderierte lateinischer Zunge zu wenden, die in der Schule Hochdeutsch gelernt haben. Gerade an der Bundesfeier nicht – ganz abgesehen davon, dass sich der 1. August dazu eignet, unser Land aus dem Ausland Zugezogenen näherzubringen.
Ob Ottenbach oder Zurzach abgelegen genug sind für eine magistrale Mundartrede, bleibe dahingestellt. Jedenfalls hat Bundesrätin Leuthard dort letztes Jahr am 1. August Dialekt geredet, wie mir ihr Büro freundlicherweise mitteilt. Sie war 2009 dem welschen Journalisten José Ribeaud unangenehm aufgefallen, als sie auch auf dem Zürcher Bürkliplatz ihre Ansprache zum Nationalfeiertag in Mundart hielt. Immerhin, so hält ihr Büro fest, habe sie im gleichen Jahr in Veyrier «selbstverständlich vollumfänglich in französischer Sprache» geredet und im Folgejahr als Bundespräsidentin «auf dem Gotthard in Schriftsprache, in Caslano selbstverständlich in italienischer Sprache».
«Auf Deutsch verzichtet»
Ribeaud kam 2013 im Buch «Vier Sprachen, ein Zerfall» zum Befund, die Deutschschweizer trügen «die Hauptschuld an dem zunehmend scheiternden Dialog zwischen den Sprachgemeinschaften»: «Eines Tages haben sie einfach darauf verzichtet, sich mit uns, den Romands, aber auch mit ihren Nachbarn auf Deutsch zu unterhalten.» Seinem Anliegen, der Pflege der Landessprachen, leiste er mit solchen Pauschalurteilen einen Bärendienst, fand ich damals. Diesen Frühling hat er in der Zeitung «24 heures» nachgelegt: Er nannte «die wahren Gründe für die Verbannung des Französischen aus der Primarschule: Von vereinzelten Intellektuellen abgesehen, finden die Deutschschweizer, ihre rund sechzig Dialekte müssten den absoluten Vorrang vor allen andern Sprachen haben.»
Wohlgesinnten Deutschschweizer Kollegen, die ihm die Übertreibung vorwarfen, hielt er in einem offenen Brief Beispiele für exzessiven Dialektgebrauch entgegen – so Leuthards Rede, SRF-Wetterprognosen in Mundart und Nachteile für Romands, die kein Schweizerdeutsch können, am Arbeitsplatz, sogar im Bundeshaus. Und natürlich die Schulfrage, wo man den Kindern Französisch und Italienisch vergälle, indem Politiker und Presse diese Sprachen als «ringardes» (altmodisch, drittklassig, überholt) darstellten.
Schul- und Parlamentsmisere
Auch ohne derartige Rhetorik: Eine Rede zum 1. August wäre eine gute Gelegenheit, zum Lernen von Landessprachen zu animieren. Auf die pädagogischen Fragen, ab wann und in wie vielen Sprachen der Unterricht sinnvoll sei, braucht man dabei ja nicht einzugehen. Aber es darf kein Lippenbekenntnis bleiben, dass ein Umzug innerhalb der Deutschschweiz problemlos möglich werden soll und dass am Ende der Schulzeit mindestens eine landeseigene Fremdsprache mindestens ebenso gut zu beherrschen ist wie Englisch.
Selbst wenn die Kenntnisse zu wünschen übrig lassen: Zumindest die Höflichkeit des Zuhörens sollte man aufbringen. Der Waadtländer Nationalrat Fathi Derder klagte neulich in «Le Temps» über steigende «Dezibels an Unaufmerksamkeit, Ungeduld, Unwillen», wenn jemand im Ratssaal französisch rede. Zum Kopfhörer mit der Übersetzung greift man offenbar selten. Als der «Tages-Anzeiger» über das Malaise berichtete, erntete Derder gehässige Online-Kommentare. Immerhin stellten andere die Brunnenvergifter regelmässig in den Senkel – durchaus 1.-August-würdig.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust», darin:
«Schweizerdeutsche» fürs Büro gesucht
Schweizerdeutsch in die Verfassung?
Wenn Dialekt der Swissness schadet
La Deutschschweiz n’existe pas


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 1.08.2016 um 15:55 Uhr
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    José Ribeaud ist mindestens, was die SRF-Wettersendungen in Mundart anbetrifft, voll und ganz zuzustimmen. Es ist eine freche Missachtung nicht nur der fremdsprachigen Einwohner dieses Landes, sondern auch der Bedürfnisse ausländischer Feriengäste in der Schweiz, die sich über das Wetter in ihrem Ferienland informieren möchten. Für die Planung von Ausflügen sind die Wetterprognosen für mich im Ausland das Einzige, was mich zum Einschalten des Fernsehapparates bewegt.
    Mit Mundart oder Schriftsprache nichts zu tun hat zudem die Marotte von TV SRF, irgendwelche Dörfer auf der Schweizerkarte anzugeben, die oft nicht einmal wir Einheimischen kennen. Das erschwert zusätzlich die Orientierung, wo am nächsten Tag das Wetter wie ist. So wie der kernig-gutturale Dialekt einer Wetterfee ist auch das faktische Monopol auf die Erhebung von Zwangsgebühren durch eine selbstherrliche SRG endlich abzuschaffen, die sich einen Dreck um die Bedürfnisse von nicht Schweizerdeutsch sprechenden Zuschauern schert.

  • am 1.08.2016 um 15:58 Uhr
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    Reden auf Deutsch würden aber wahrscheinlich nicht von allen DeutschweizerInnen verstanden. Ich staune bzw erschrecke manchmal über das schlechte Verständnis des Deutschen bei vielen Mundartsprechenden. In einigen Gegenden von Einheimischen eine einfache Wegbeschreibung auf Deutsch zu hören, kann auch schwierig werden.

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