2759533562_4f38b0bff5

Japan zwischen Tradition und Moderne - aber wie sieht die Zukunft für Land und Menschen aus? © Marc Veraart

Japan hat Point-of-no-Return längst überschritten

Urs Birchler /  Die europäische Schuldenkrise treibt Politiker um und Menschen auf die Strasse. Aber auch Japan steckt in der Klemme. Eine Analyse.

Vorab: Ich liebe Japan und seine freundlichen und fröhlichen Bewohner. Ich bin wie viele auch immer wieder beeindruckt vom Gemeinschaftssinn der Japaner. Nicht zufällig ist Japan auch das Land, das den Wohlfahrtsstaat erfunden hat.
Doch damit sind wir beim Problem. Der japanische Staat steckt in der Klemme. Auch die Presse hat das Thema aufgenommen. Allerdings ist der Blick meist fixiert auf die bald erreichte Schuldenobergrenze und die politischen Ränkespiele um die Erhöhung oder Nichterhöhung dieser Grenze. Wird die Grenze nicht gelockert, droht die Zahlungsunfähigkeit. Dabei ist es im Grunde umgekehrt: Weil diese Grenzen (wie auch in den USA) immer wieder gelockert werden, wenn sie zu beissen beginnen, ist der Staat am Ende nicht einfach technisch zahlungsunfähig, sondern fundamental bankrott. Ist Japan soweit?
Die Lage der japanischen Staatsfinanzen ist beschrieben im Länderbericht des IMF (2011). Daraus die Eckdaten:
• Die Staatsschuld in Prozenten der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) liegt gegenwärtig bei 250% (brutto), bzw. 125% (netto). Tendenz: steigend, v.a. wegen strukturell bedingter Wachstumsschwäche und der Alterung der Bevölkerung.
• Das Pimärdefizit (ohne Zinskosten) liegt bei 10% pro Jahr.
• Der private Sektor weist einen Sparbüberschuss auf, der die Zunahme der öffentlichen Verschuldung kompensiert. Dabei verschiebt sich die Spartätigkeit von den Haushalten zu den Unternehmen.
Unterschiede zu Griechenland und Spanien
Japan ist allerdings nicht Griechenland oder Spanien. Es gibt zwei grosse Unterschiede:
1. Die Schulden des japanischen Staats werden zum grossen Teil von Inländern gehalten.
2. Japan hat eine eigene Währung. Auf den ersten Blick machen diese beiden Unterschiede die japanische Situation einfacher. Weil die Gläubiger Japans die Japaner selbst sind, wird Japan also nie eine Troika einladen müssen. Dank der eigenen Währung kann die Bank of Japan notfalls Geld für den Staat drucken.
Erst der zweite Blick zeigt, dass diese beiden Vorteile in Wirklichkeit Nachteile sein können:
1. Ein Staat mit Schulden gegenüber dem Ausland kann sich dieser im Notfall mit einem Schuldenschnitt entledigen — praktiziert in Dutzenden von Fällen; zuletzt in Griechenland. Wie aber verordnet man den Inländern (d.h. den Stimmbürgern) einen Verzicht auf ihre Guthaben? Die Verteilung bereits eingetretener Verluste ist notorisch schwierig und dürfte auch einen Staat mit opferbereiten Bürgern wie Japan überfordern.
2. Die Notenpresse als Mittel zur Zuordnung der Verluste scheint elegant, beraubt jedoch ein Land seines monetären Koordinatensystems. Dann liest man immer wieder: Japan ist anders. Beispielsweise: Japan könne einfach die Mehrwertsteuern erhöhen, um die Staatsdefizite zu beseitigen. Nur: Steuererhöhungen haben (genau wie Sparprogramme) Nachfragewirkungen; sie könnten eine Rezession auslösen, die den Staatsfinanzen das Genick bricht. Wenn die Haushalte mehr Steuern bezahlen müssen, haben sie auch weniger Geld, um die jährlich notwendige Dosis von Staatspapieren (immerhin rund 10% des BIP) zu kaufen (dies erinnert daran, dass Defizite und Steuern zwei Namen für dasselbe sind). Das Argument Japan tickt anders klingt deshalb nach einer Variante von This Time is Different. In einem Punkt allerdings ist Japan anders: Es hat noch die grössere Last in Form einer alternden Bevölkerung zu tragen als die meisten anderen Länder.
Staatsschulden nicht mehr lange refinanzierbar
Deshalb als provisorisches Fazit: Japan hat mit seinen Staatsschulden den Point-of-no-return längst berschritten. Es ist kein auch nur halbwegs plausibles Szenario denkbar, unter dem die japanischen Staatsschulden noch lange refinanzierbar sind. Ob die Politik einen Schuldenschnitt (mit expliziter Zuordnung der Verluste) erreichen kann oder ob die Schulden monetarisiert (und letztlich inflationiert) werden, ist schwer zu sagen.
Real gerechnet sind japanische Staatsanleihen in beiden Fällen Hochrisikopapiere. Der Wert dieser Papiere scheint getragen vom Vertrauen, nicht in den japanischen Staat, sondern vom Vertrauen darauf, dass die anderen Anleger auch noch nicht verkaufen. Wann er zusammenbrechen wird, ist daher schwer zu prognostizieren. Das kann in fünf Jahren geschehen oder morgen. Eines aber ist bekannt: Ein an sich völlig unwesentliches Ereignis, wenn es nur genügend Signalwirkung hat, kann der Auslöser sein. Und es kann rasch gehen.
——-
Der Artikel erschient zuerst im Forum für Schweizer Wirtschaftspolitik www.batz.ch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Autor Urs Birchler ist Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich.

Zum Infosperber-Dossier:

3065502515_fcf0d5f0f2

Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.