SchirmfotoKOVI

Behauptungen statt Fakten gegen die Konzernverantwortungsinitiative © KOVI

Wenn ein Faktencheck zu Behauptungen verkommt

Markus Mugglin /  Wie Faktenchecks nicht zu machen sind, zeigen die Gegner der Konzernverantwortungsinitiative.

Die Richtigkeit von Aussagen überprüfen, verspricht die Plattform «guter-punkt.ch» (abgerufen am 14.07.2020). Und scheinbar zu staatspolitischer Verantwortung bekennend verspricht sie, dass es ihr darum gehe, die «wichtige Diskussion zur Konzern-Verantwortungs-Initiative (zu) versachlichen» und «zur Debattenkultur» beizutragen. KVI-Faktencheck wird es auch genannt. Die Prüfung der Richtigkeit müsste also – wie uns Wikipedia lehrt – «anhand von nachprüfbaren, rationalen und objektiven Fakten» erfolgen.
Nur Gegner als «Fakten-Lieferanten»
Der Anspruch ist hoch, offensichtlich zu hoch für «SuccèSuisse», einer bei der Kommunikationsagentur furrerhugi angesiedelten Stelle, die den KVI-Faktencheck verantwortet. Unter den acht Kapitelüberschriften mit insgesamt 22 Texten richtet sich die Überprüfung nur gegen Behauptungen deklarierter Aussagen der Konzernverantwortungs-Initianten. Die Behauptungen der Gegner werden nicht nur nicht hinterfragt. Sie werden gar zu angeblichen Fakten emporstilisiert.
Mal dient eine Aussage der Handelskammer Zentralschweiz als Beleg gegen eine «Behauptung» einer Befürworterin der Initiative, andere Male sind es Äusserungen der Ständeräte Ruedi Noser und Beat Rieder, den beiden Wortführern gegen die Initiative und gegen den griffigen und schliesslich unterlegenen Gegenvorschlag des Nationalrates, oder es wird ausgiebig Professor Karl Hofstetter zitiert, ohne zu erwähnen, dass dieser bis vor kurzem «SwissHoldings, den Verband der multinationalen Unternehmen in der Schweiz» präsidierte, den Verband also, der während des parlamentarischen Prozesses mehr als irgendwer gegen die Konzernverantwortungs-Initiative lobbyiert hat. Oder aus der Wissenschaft stützen sich die «guter-punkt»-Faktenchecker ausschliesslich auf Professoren, die längst als Initiativ-Gegner bekannt sind. Es wird dem Wirtschaftsethiker Markus Huppenbauer von der Universität Zürich die Ehre erwiesen und auch Professor Philipp Aerni ebenfalls von der Universität Zürich, der als einer der Faktencheck-Texter noch selber in die Tasten greift.
Keine Referenz wird den zahlreichen Stimmen aus der Wissenschaft erwiesen, die sich seit der Einreichung der Initiative zustimmend oder kritisch abwägend zur Konzernverantwortungsinitiative zu Wort gemeldet haben. Beispielsweise ergänzend zum Wirtschaftsethiker Huppenbauer der Universität Zürich der emeritierte Wirtschaftsethik-Professor Peter Ulrich der Universität St. Gallen, der sich für die in der Initiative formulierte «rechtlich klar definierte Sorgfaltspflicht» ausspricht. Und während die Faktenchecker den ehemaligen Swissholdings-Präsidenten Karl Hofstetter ausgiebig aus einem am 12. Juni 2019 in der NZZ publizierten Streitgespräch zitieren, erwähnen sie seinen damaligen Kontrahenten im Interview, Professor Walter Stoffel, mit keinem Wort. Sie verschweigen, wie der an der Universität Freiburg lehrende Experte für Wirtschaftsrecht und internationales Privatrecht nüchtern und sachlich auf polemische Äusserungen antwortete: dass beispielsweise die vorgesehene Sorgfaltspflicht keine Beweislastumkehr, sondern vielmehr die normale Beweislast für Rechtsverletzungen wie zum Beispiel von Menschenrechten bedeute.
Auch die offensichtlichen Mängel bei der Umsetzung der Menschenrechte durch Schweizer Unternehmen, wie eine im Auftrag des Bundes verfasste Studie festgestellt hat, sind den Textern von «guter-punkt.ch» nicht der Erwähnung wert. Entgegen den Studienergebnissen wird hingegen die Meinungsäusserung von Ständerat Ruedi Noser, dass sich «99,9 Prozent absolut richtig» verhalten, als Faktum präsentiert.
Schlagworte statt Argumente
Litaneimässig werden die Schlagworte der Initiativgegner verbreitet: zur angeblich verlangten Beweislastumkehr auf Kosten der Unternehmen, dass die Schweiz zum «Eldorado für die internationale Klageindustrie würde», «ein grosses Erpressungspotenzial» entstünde, dass sich die Schweiz als «juristische Kolonialmacht» aufspielen müsste. Nach der Methode des copy-paste wird mehrfach behauptet, die Unternehmen müssten laut Initiative ihre Unschuld «lückenlos nachweisen», obwohl «lückenlos» im Initiativtext nicht zu finden ist.
Differenzierungen sind rar und gibt es mal welche, können sie gar mehr zur Verwirrung statt Klärung beitragen. Auf die «Behauptung», dass Frankreichs Gesetz für eine Sorgfaltsprüfungspflicht für Konzerne den Forderungen der Initiative sehr ähnlich sei, gehen zwei Texte ein – im einen Fall faktencheck-würdig informativ und nachvollziehbar, im anderen Fall hingegen selektiv einseitig. Die Urteile fallen entsprechend widersprüchlich aus. Einmal wird die «Behauptung» der Initiative als halb richtig/halb falsch bewertet. Das andere Mal setzen die Juroren die Marke auf dem farbigen Querbalken von falsch am linken Ende bis richtig am rechten Ende sehr nahe bei ganz «falsch». Hier wird nur etwa ein Zehntel statt halbe Richtigkeit konzediert.
Dass zur gleichen Frage zwei verschiedene Texte aufgeschaltet werden, mag man als organisatorisches Versehen abtun. Da sie inhaltlich stark voneinander abweichen, ist es mehr als nur das. Wem die Fehlleistung anzulasten ist, lässt sich von aussen nicht beurteilen. Namentlich legt die Webseite «guter-punkt.ch» nur offen, dass die Journalisten Thomas Hämmerli und Lukas Rüttimann, die Journalistin Marianne Siegenthaler und Professor Philipp Aerni von der Universität Zürich als Texter und Texterin mitwirkten. Die einzelnen Beiträge werden personell nicht zugeordnet.
«Alle Fakten, Informationen und Argumente für eine echte Debatte auf den Tisch zu legen», verspricht «guter-punkt» auf der Webseite. Doch statt auf den Tisch zu legen, fallen viele Fakten unter den Tisch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Konzerne_UggBoyUggGirl

Die Macht von Konzernen und Milliardären

Wenn Milliarden-Unternehmen und Milliardäre Nationalstaaten aushebeln und demokratische Rechte zur Makulatur machen.

Lobbyist_Hand

Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

5 Meinungen

  • am 16.07.2020 um 12:25 Uhr
    Permalink

    Seit sieben Jahren läuft nun dieser Prozess, der Versuch engagierter Bürger, den bestens belegten Frevel Multinationaler Konzerne mit griffigem Recht zur Verantwortung zu zwingen. Ich habe den ganzen Prozess miterlebt und mit unterstützt und dabei den Glauben an unsere Demokratie verloren. Solchem Treiben ist auf dem Weg der Bürgerinitiative nicht (mehr) beizukommen. Sieben Jahre Hinhaltungsstrategien der politischen Gegner, die sich um Fakten keinen Deut interessieren.

  • am 16.07.2020 um 13:30 Uhr
    Permalink

    jetzt tut sich auch etwas in Deutschland:
    Großer Erfolg für die Menschenrechte: Bundesminister kündigen Lieferkettengesetz an – Merkel stellt sich hinter die Pläne
    Halten sich deutsche Unternehmen freiwillig an menschenrechtliche Standards? Leider nein. Trotz der niedrigen Anforderungen des sogenannten „NAP-Monitorings“ schaffen es nur 22 Prozent der Unternehmen, diese zu erfüllen. Die Ansage der Bundesminister Heil und Müller ist klar: Jetzt soll das Lieferkettengesetz kommen! Die Bundeskanzlerin hat sich heute hinter die Pläne gestellt. Es wäre ein großer Erfolg für die Menschenrechte!

    Berlin, 15.07.2020 – Sie hatten wirklich alles gegeben: In zahlreichen Schreiben und Treffen mit dem Wirtschaftsministerium hatten die Wirtschaftsverbände versucht, die Anforderungen und Methodik des „NAP-Monitorings“ abzuschwächen – jener Unternehmensbefragung, mit der die Bundesregierung herausfinden wollte, ob sich die Unternehmen freiwillig an menschenrechtliche Standards halten.

    Teilweise hatten die Verbände mit ihrer Verwässerungs-Strategie sogar Erfolg: Das zeigt unser Briefing „Verwässern, verzögern, verhindern: Wirtschaftslobby gegen Menschenrechte“. Nur 22 Prozent der befragten Unternehmen hatten es geschafft, den Anforderungen nachzukommen.
    Quelle: lieferkettengesetz.de

  • am 16.07.2020 um 14:04 Uhr
    Permalink

    Wer das hohe Lied von der blossen «EIGEN"-Verantwortung singt, wird nie Verantwortung oder gar ‹Haftung› gegenüber der Mitwelt für sein Tun, verbundene Kollateralschäden, fatale Fern- u. Nebenwirkungen übernehmen wollen.

    Ursprünglich bedeutete Verantwortung, sich vor Gericht zu verantworten. Heute ist es zu einem Totschlagwort verkommen, wenn es um soziale/gesellschaftliche Verantwortung ginge.
    Eigentlich würde «blosse Eigenverantwortung» heissen, man spricht sich selbst von Anklagen aus der Mitwelt5 selbst frei.

    Um Konzerne zur Verantwortung ziehen zu können, sind Informationen nötig. Diese können u. werden heute leicht mit dem Totschlagargument ‹Geschäftsgeheimnis› verweigert.
    Ein Grundkennzeichen von republikanisch u. demokratisch verfassten Gesellschaftsordnungen ist aber Transparenz und das nicht nur im staatlichem Handeln.
    Die KVI möchte deshalb auch Transparanz bei den -‹Lieferketten›- der Konzerne, eigene mehr oder weniger beherrschte eigene Sub-Unternehmen im Konzern, Holding od. sonst einem Finanzkonstrukt, aber auch die Lieferanten u. deren Sub-Lieferanten.
    Die KVI hat auch einen Faktencheck :
    https://konzern-initiative.ch/neuigkeit/die-behauptungen-von-economiesuisse-im-faktencheck/
    Nicht umsonst ist der Sachverhalt -‹Lieferketten›- in D viel weiter hochgekocht. Bei der Gefährdung der nationalen Souveranität und Unabhängigkeit ist das auch zu beachten.
    Z.B werden Grundstoffe für Pharmaka in indischen Hinterhofküchen produziert, für Sub-/Sub-Lieferanten.

  • am 16.07.2020 um 14:07 Uhr
    Permalink

    Es zeigt sich immer mehr, dass mit den reinen Mitteln der Geister- und Geisteswissenschaften kein Blumentopf zu gewinnen ist. Niemand stellt etwa die Frage: «Wer beweist was und warum?» und «Wer profitiert davon am meisten?» Das Schulsystem seit Plato wünscht sich ja vor allem Arbeiter und keine denkenden Menschen. Dafür haben Rockefeller & Co Milliarden ausgegeben, dass es so bleibt. Also wird auch niemand ohne entsprechende Bildung eine Ahnung von Ethik oder Moral haben, die messbar dem Leben dienen. Wir sprechen davon, es wurde aber nie definiert. Bei den «Fakten» verhält es sich gleich, es geht also nicht ohne Umdenken. Seit 1979 setzt sich mein Partner erfolglos in der Gesellschaft dafür ein, ohne auf Resonanz zu stossen, nämlich dass es eine neue Grundlagenwissenschaft über reale Humansysteme braucht, ohne die sich alle Meinungsspiele totlaufen und immer schneller und mehr Substanz vernichtet wird. Hier ein Hinweis für Ihre Hausaufgaben https://synergy.think-systems.ch. Beachten Sie dort (Link) auch seriöse Corona-Analysen und was bisher unterschlagen wurde. Auch dort geht es ja um die Fakten und vor allem, wie man sie bisher fälschte. Egal welcher politischen Meinung Sie sind, die Konzernverantwortungsinitiative muss als ersten Schritt in die richtige Richtung angenommen werden, egal welche Summen die Gegner investieren… Genauso dürfen wir uns bei der Begrenzungsinitiative nicht einschüchtern lassen, den Preis bezahlen wir sonst mit gewachsenen Werten, wie 1798.

  • am 16.07.2020 um 14:13 Uhr
    Permalink

    Wer sich der Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) in den Weg stellt, offenbart eine Gesinnung, die unmenschlich, unschweizerisch, rückständig und zukunftsbehindernd ist. Dass die Schweiz – einmal mehr – den ersten Schritt wagt und wagen darf, ist nicht neu. In vielen Dingen war und ist die Schweiz federführend, was schliesslich zu Ihrem (immer noch) guten Ansehen beiträgt. Firmen und Konzerne, die ihren Sitz in der Schweiz haben, sollen sich auch im Ausland so verhalten, wie sie sich in der Schweiz verhalten müssten und ihr Geschäftsgebaren darauf ausrichten und für dessen Durchsetzung einstehen. Das gilt nicht nur für die Firmen und Konzerne selbst, sondern auch für deren Aktionäre und andere Shareholder. Die Schweiz hat das sauberste Trinkwasser der Welt. Es soll so bleiben, zum genussvollen Trinken, und nicht zum Reinwaschen von schmutzigen Geschäften.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...