Singapore

Der Stadtstaat und Finanzplatz Singapur: Symbole des Egoismus und der Macht © flickr.com/Kenny Teo

Weg vom Gigantismus, hin zum Gemeinschaftlichen

Christian Müller /  In der Welt der Architektur tut sich etwas: Die Tage der megalomanen Solitär-Bauten scheinen gezählt. Es gibt neue Hoffnung.

Was ist Architektur? Es gibt Dutzende von Definitionen. Das allgemeine Verständnis des Begriffs besagt: Architektur ist die bewusste Gestaltung des menschlichen Lebensraumes. Architektur beschäftigt sich in erster Linie mit dem Hochbau, aber auch mit Gärten, mit dem Städtebau, mit der Landschaft.

Vor allem auch Selbstdarstellung

Viele Architekten allerdings beschäftigten sich in den letzten Jahrzehnten vor allem auch mit sich selbst. Die Überschneidung des zunehmenden Individualismus mit der kapitalistischen Megalomanie und dem allgemeinen Trend zum internationalen Ranking (Wer ist der Erste? Wer ist der Grösste?) führte zu gigantischen Bauten, die letztendlich wohl mehr dem Ego des jeweiligen Stararchitekten dienlich waren als deren Bewohner. Wer etwa mit dem Aussenlift im Pariser Prestige-Viertel La Défense in die Höhe fährt, entdeckt hinter den Fensterscheiben der dortigen Paradewohnbauten Tischlampen mit Lampenschirmen aus Grossmutters-Zeiten: klare Zeichen dafür, dass sich viele Menschen in der Kälte des Sicht-Betons keineswegs wohl fühlen und ein«heimeliges» Ambiente brauchen, um sich «daheim» zu fühlen. Und La Défense in Paris war nur der Auftakt.

Mehr Skulpturen als Häuser

Die Bauten, die von den global operierenden Stararchitekten in der letzten Dekade inszeniert wurden, waren oft eher gigantische Skulpturen als «Behausungen» von Menschen zum Wohnen und / oder zum Arbeiten: Sinnbilder des modernen Egoismus eben. Da aber niemand solch egomane Monstren als «l’Art pour l’Art» bezahlen würde, musste ihnen auch noch eine geldbringende Funktion zugedacht werden. Man redete zwar von «Form follows Function», die Form folgt der Funktion, aber in den Köpfen vieler Architekten war es umgekehrt: Function follows Form: zuerst die Form, und dann erst «wie soll’s auch noch funktionieren». Sie wollten der Welt und vor allem auch sich selber ein Denkmal setzen. «Das Zeitalter der postmodernen Hybris» wird es im Jahr 2050 rückblickend etwa heissen, wenn in Kunstgeschichtsbüchern von der Zeit um die Jahrtausendwende 2000 die Rede ist.

Umdenken ist angesagt

In der Schweiz hielt sich die Hybris der Architektur bisher in Grenzen – und wird es wohl auch weiterhin tun. Es gibt hier auch einen aktuellen Grund, warum ein Umdenken im Gange ist: die Zersiedelung der Landschaft ruft nach neuen Konzepten. Mit nur mehr in die Höhe Bauen, sechs oder zehnstöckig statt nur drei oder vierstöckig, ist es freilich nicht getan. Einer der Schweizer Stararchitekten, Jacques Herzog (von Herzog & de Meuron), stand der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» zum Thema «verdichtetes Bauen» Red und Antwort. Herzog, der nach der Vertreibung der Soziologen von der ETH 1968 noch gesagt hatte: «Nun konnte man endlich wieder über die Form diskutieren», hat heute andere Vorstellungen: «Es braucht neue Konzepte, die von interdisziplinären Teams entwickelt werden müssen. Damit dies erfolgreich sein kann, braucht es auch Juristen, Ökonomen, Soziologen und nicht nur Architekten, die mitmachen.»

Neues Interesse am «gemeinsamen Raum»

Aber auch international ist ein Umdenken angesagt. Die 13. Architekturbiennale in Venedig (29. August bis 25. November 2012) steht unter dem Motto «Common Ground», gemeinsamer Boden, gemeinsamer Raum. Das Thema sind nicht mehr nur die Architektur-Solitäre, wie sie vor allem auch in Prestige-Plätzen wie Abu Dhabi, Shanghai oder Singapur ins Extreme produziert wurden und werden, sondern neue Ansätze für das gemeinschaftliche Leben. Im deutschen Pavillon etwa findet sich folgende Aussage:

«Schrumpfung und Verkleinerung sind wichtige Planungsaufgaben, und auch da, wo noch Wachstum ist, geht es nicht um Tabula rasa und Neubau, sondern um Revitalisierung, Umnutzung, Verdichtung, Ergänzungen sowohl in bestehenden Gebäuden als auch im Gewebe der Städte. Der Umgang mit dem Bestehenden ist kulturell und wirtschaftlich entscheidend für unsere Zukunft, und auch die ehrgeizigen Klimaziele können wir nur durch die Verbesserung des Vorhandenen und die Erneuerung bestehender Infrastrukturen erreichen.»

Zwei ausführliche Berichte von Thomas Wagner auf der Website Stylepark.com «Der Architekt über dem Nebelmehr» (Teil 1 und Teil 2) machen allerdings deutlich, dass das Umdenken noch in den Kinderschuhen steckt und das Selbstdarstellungsbedürfnis der Architekten noch immer dominiert. Immerhin scheint die Spitze der gebauten Egomanie gebrochen zu sein. Alles Neue beginnt im Kleinen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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