Kommentar

Die UNO ist weiterhin nötig: Eine gemischte Bilanz

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Die UNO hat dazu beigetragen, die Lebensbedingungen vieler Menschen zu verbessern. Doch sie hat auch kläglich versagt.

«K‬ünftige Generationen vor der Geissel des Krieges bewahren‭» – gemessen an diesem in der Präambel der Gründungscharta von 1945 formulierten Ziel ‬ist die UNO‭ – ‬oder besser:‭ ‬sind ihre inzwischen‭ ‬193‭ ‬Mitgliedsstaaten gescheitert.‭ In den letzten 70 Jahren fanden weltweit über ‬260‭ ‬bewaffnete Konflikte statt ‭– ‬oftmals verbunden mit Völkermord und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen.‭ ‬Doch ohne die UNO und ihre Bemühungen zur Beilegung gewaltsamer Auseinandersetzungen hätten viele dieser Konflikte noch länger gedauert, noch mehr Tote und Verwundete gefordert und noch mehr Zerstörungen hinterlassen.‭

Ohne die Uno wäre es wahrscheinlich zu einem dritten Weltkrieg gekommen‭, ‬möglicherweise sogar unter Einsatz atomarer Waffen.‭ ‬Zahlreiche‭ Situationen,‭ ‬in denen die Welt sehr kurz vor dem Abgrund eines atomaren Krieges stand‭, ‬wurden im UNO-‭‬Sicherheitsrat entschärft.‭ ‬Und ohne die UNO und ihre humanitären Unterorganisationen wären in den letzten‭ ‬70‭ ‬Jahren hunderte Millionen überlebende Opfer von‭ Naturkatastrophen,‭ ‬Hungersnöten‭ ‬und gewaltsamen Vertreibungen nicht versorgt worden.‭ ‬Schliesslich bot die UNO den Rahmen für die Vereinbarung zahlreicher internationaler Normen,‭ ‬Regeln und Verträge‭ zu Rüstungskontrolle und Abrüstung,‭ ‬Menschenrechten,‭ ‬Umweltschutz,‭ ‬Sozialstandards und auf zahlreichen anderen Gebieten.‭

Viel zu wenig Finanzmittel von den Mitgliedsstaaten

Diese Normen,‭ ‬Regeln und Verträge haben die Erde zwar nicht in‭ ein Paradies verwandelt.‭ ‬Aber sie trugen immerhin dazu bei,‭ ‬die Lebensbedingungen für viele der‭ ‬inzwischen über sieben Milliarden ErdbewohnerInnen in zahlreichen Bereichen zu verbessern. Dennoch hat das Jahr 2014 wegen der eskalierenden und opferreichen Gewaltkonflikte in Syrien, Irak, der Ukraine und im Gazastreifen, wegen des Vordringens der Terrororganisation «Islamischer Staat» und der Ausbreitung der Ebola-Seuche bei vielen Menschen stärker als je zuvor seit Ende des Kalten Krieges den Eindruck vom «globalen Chaos» geschaffen und von einer «aus den Fugen geratenen Welt», in der die UNO nur noch versagt oder überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Tatsächlich hat die UNO im letzten Jahr neben der – im Syrienkonflikt besonders gravierenden – politischen Blockade und Unfähigkeit des Sicherheitsrates zur Beendigung von Gewaltkonflikten infolge konträrer Interessen der fünf Vetomächte auch in einem bislang nie dagewesenen Ausmass bei der Aufgabe versagt, die überlebenden Opfer dieser Gewaltkonflikte wenigstens ausreichend humanitär zu versorgen. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und das Welternährungsprogramm mussten die Versorgung von 2,5 Millionen syrischen und afrikanischen Flüchtlingen drastisch reduzieren und zeitweise sogar ganz einstellen, weil sie trotz zahlreicher dringender Appelle viel zu wenig Finanzmittel von den Mitgliedsstaaten der UNO erhielten.

Militärausgaben betragen das 60-fache

Für das laufende Jahr zeichnet sich ein noch dramatischeres Defizit beim UNHCR und den anderen humanitären Organisationen der UNO ab. Eine grundlegende Reform der Finanzierung des UNO-Systems ist denn auch die vordringlichste Massnahme, um die Handlungsfähigkeit der Weltorganisation zu verbessern. Die Ausgaben für das gesamte UNO-System (dazu gehören die Hauptquartiere in New York und Genf sowie weitere Regionalzentren und Länderbüros, knapp 40 Sonderorganisationen und Spezialprogramme, sowie derzeit rund 120‘000 im Einsatz befindliche Blauhelmsoldaten, Militärbeobachter und UNO-Polizisten) beliefen sich 2014 auf rund 30 Milliarden US-Dollar. Das waren wenig mehr als vier Dollar pro Kopf der 7,2 Milliarden ErdbewohnerInnen oder 0,038 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts (BSP) von 77,4 Billionen Dollar.

Zugleich gaben die 193 UNO-Staaten 2014 knapp 1,8 Billionen (1’800 Milliarden) Dollar für Rüstung und militärisches Personal aus – 250 Dollar pro ErdbewohnerIn oder 2,3 Prozent des globalen BSP. Lediglich zehn Prozent der benötigten 30 Milliarden Dollar für das UNO-System kamen im letzten Jahr aus dem regulären, von der Generalversammlung in New York beschlossenen Haushalt der UNO, der durch prozentuale Pflichtbeiträge der 193 Mitgliedsstaaten finanziert wird. Zur Finanzierung der übrigen 90 Prozent ist die UNO von freiwilligen Beiträgen der Mitgliedsregierungen abhängig. Diese Finanzierungsstruktur beeinträchtigt die Planungssicherheit für die Arbeit der UN0 erheblich, macht sie erpressbar und erlaubt es einzelnen Staaten durch die Gewährung beziehungsweise Verweigerung freiwilliger Beiträge, die Arbeit der Weltorganisation entsprechend ihrer jeweiligen nationalen Interessen zu steuern.

Pflichtbeiträge von 0.05 Prozent des Bruttosozialprodukts notwendig

Eine verlässliche und ausreichende Finanzierung des UNO-Systems wäre möglich durch verbindliche Pflichtbeiträge aller 193 Mitgliedsstaaten in Höhe von 0,05 Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialprodukts. Damit wären im letzten Jahr rund 38,7 Milliarden Dollar zusammengekommen. Die Einschränkung der Nahrungsmittelhilfe für 2,5 Millionen Flüchtlinge wäre vermeidbar gewesen. Im Haushalt des UNHCR wäre keine Deckungslücke von 45 Prozent (2,5 Milliarden Dollar) entstanden. Und die UNO hätte den auf Kosten von 4,3 Milliarden Dollar veranschlagten Wiederaufbau der im Gazakrieg zerstörten Wohnhäuser von 100‘000 palästinensischen Familien nicht aus Geldmangel abbrechen müssen.‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Volksblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.

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Eine Meinung zu

  • am 26.06.2015 um 13:47 Uhr
    Permalink

    Nützt´s nüüt, so schadet´s nüüt, ist man geneigt zu sagen! Allerdings müssen diejenigen, welche die UNO befürworten, endlichden Beweis erbringen, dass die UNO wirklich nützlich ist! Eine Kosten/Nutzen-Analyse fällt krass negativ aus. Wie war das denn schon wieder mit dem Völkerbund?

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