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Maria Schrader in Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns" © Thalia Hamburg

Theater: Im Kreislauf von Geld und Leben und Tod

Robert Ruoff /  Das Thalia-Theater zeigt im Schiffbau des Schauspielhaus Zürich Jelineks «Kontrakte des Kaufmanns» in einer grossen Aufführung.

Der Abend endete mit einer Standing Ovation. Es war die Begeisterung des Publikums nach einer theatralischen Aktion von drei, nein, fast vier Stunden. In einer Spirale der Jagd nach Reichtum, Geld, des Spiels mit Gier und Naivität, Betrug und Zynismus, Geldvermehrung und Geldverbrennung. Nach einem Wechselspiel gespannter Aufmerksamkeit und entspannter Unterhaltung. Von dem, wie es der kapitalistische Kreislauf des Geldes verlangt, alle Beteiligten total erfasst werden.

Obwohl das Publikum den Saal nach Wunsch verlassen kann, um sich draussen für die Fortsetzung zu verpflegen. Aber der Ton, das Wortgeschehen, wird in den Vorraum übertragen. Man darf glauben, dass man nichts versäumt.

Die bekannte Geschichte

Es beginnt mit der einfachen, selbst in der Schweiz schon bekannten Geschichte: die Geschichte der Gier, der Kleinanleger, die teilhaben wollen am Wachstum des Geldes, für ihr Alter, ihre Sicherheit, die nächsten Generationen, und denen am Ende ihrer Geschichte die Wohnung ausgeräumt wird und das Haus genommen. Es ist die Geschichte der Raider, die sich das Geld holen bei den Anlegern, die antreten für den Gewinn, und für die das Geld den Gewinn nicht produziert, weil es ihnen, sie wissen nicht wie, nicht mehr gehört. Es ist die Geschichte von Betrug aber auch die Geschichte eines Systems, in dem das Geld sich verselbständigt gegen alle und nur noch dafür sorgt, sich selber zu vermehren. In dem scheinbar alle die gleiche Chance haben auf Gewinn und in Wirklichkeit nur die Wenigen, und weil das Geld alles beherrscht, wird der Ort des Geldes, die Banken, zum Herr über Leben und Tod.

Der totale Kreislauf des Geldes, in dem die Menschen Charaktermasken sind, die dem Gesetz des Geldes folgen müssen oder aus dem Kreislauf hinausgeschleudert werden, – dieser totale Kreislauf erfasst die Bühne in ihrer ganzen Tiefe, wo im Vordergrund das enteignete alte Paar – «alt und dumm» ist das Merkmal einer ganzen auszubeutenden Zielgruppe – abgelöst wird von den Raidern, Frauen und Männern, die Jelineks Text abarbeiten und die zynischen Regeln der Geldvermehrung präsentieren.

Die unvollendete Geschichte

Es ist ein «Work in Progress»: Jelinek schreibt weiter, und so ändert sich die Inszenierung von Ort zu Ort und Tag zu Tag, und arbeitet mit den Mitteln der rhythmisierenden Sprache, der Musik, des Gesangs, des Tanzes und der Projektion des Geschehens auf der tiefen Bühne, das die Kamerafrau einfängt (Claudia Lehmann), stellvertretend für das Auge der Zuschauerin, und es übergross projiziert auf die Wände der Halle und so ins Bewusstsein hebt, was im Hintergrund geschieht, während vorne die Verfahren der Bereicherung offen gelegt werden.

Und weil Jelineks Text, in dem die Kalauer den Worten Bedeutungswandel unterlegen und damit ständigen Bewusstseinwandel in Ohr und Kopf des Publikums -, weil dieser Text sich ständig vermehrt, muss mindestens eine Vereinbarung getroffen werden: maximal 99 Seiten sind auf der Bühne darzustellen, in Roland Stemanns Inszenierung der Geld-Welt, zu der selbstverständlich auch die Zuschauerinnen, Zuschauer gehören, die Kleinanleger (und vielleicht auch Grossanleger), die auf der Tribüne sitzen.
Sie werden einbezogen, in den Sprechgesang zuerst, dann in die Jahrmarktszene, denn der Abend ist ja auch Vaudeville, der allerdings die Grenzen von Marthalers idyllischer Aesthetik entschieden sprengt. «It’s time for entertainment» sagt der Raider, bevor die Jahrmarktszene beginnt, in der sein Kumpan das Geld zuerst verschwinden und dann wieder auftauchen lässt, um danach dem Publikum den Geldschein aus der Tasche zu ziehen – und ihn bis auf einen kleinen Rest zu verbrennen. Die betretene Verlegenheit hält kurz, später dient das Löschwasser des Geldes als geweihtes Wasser zur Segnung des Publikums, und die Geldscheine werden an das Kreuz genagelt. Damit wir sie anbeten können, dürfen wir annehmen. So bleibt das Publikum frisch und munter und spielt auch mit den grossen Gummibällen, bis die Blase platzt.

Die unendliche Geschichte

So inszeniert Nicolas Stenmann, der auch selber spielt, eine totale Welt des Geldes, der keine und keiner sich entziehen kann. Man muss, der Gerechtigkeit halber, die es nicht gibt, dazu die Musiker und Sänger erwähnen, die Kostüme und das Bühnenbild, das hinten aufsteigt bis in die Schweizer Berge, die unsere Banken und das Geld der Welt beschirmen. Kurz, um im Stück zu bleiben: Die Arbeit ist ihr Geld wert.

Und die Schauspieltruppe – im Kern und alphabetisch: Therese Dürrenberger, Ralf Harster, Franziska Hartmann, Daniel Lommatzsch, Sebastian Rudolph, Maria Schrader, Patrycia Ziolkowska -, beutet die eigene Ware Arbeitskraft aus bis an die Grenzen physischer Erschöpfung (ohne die Anstrengung je durchscheinen zu lassen). Die Textarbeit sowieso, die ständige, ununterbrochene Präsenz im Vorder- und im Hintergrund, der wortlos sekundenschnelle Wechsel der Charaktere durch die kurze Geste, die Position, das Spiel mit dem Publikum, Tanz und Gesang – die Schauspielerinnen vor allem mit, man möchte sagen, goldenen Stimmen -, die Spannung über die Bühne und den ganzen Raum hinweg, all das ist hohe Schauspielkunst bei jedem und jeder, und ein Ensemble im Sinn des Wortes zugleich, für Zuschauerinnen und Zuschauer Genuss und Augenweide.

Auch wenn es tödlich endet. Es beginnt, fast krude, mit der Geschichte des gierig verarmten Paars, bevor es sich in einer manchmal fast ekstatischen, theatralischen Aktion und einem kurzen Moment der revolutionären Empörung – fast nur der Vollständigkeit halber – hinaufschraubt zum Schlusschoral, a capella, zu dem die Instrumente verstummen und nur noch die menschlichen Stimmen durch die grosse Halle am Schiffbau klingen. Wie eine unendliche Geschichte, eine Liturgie von Geld und Tod und Tod und Geld.

Bis sie schliesslich hinaufsteigen zum goldenen Gral des Geldes und darin verschwinden.

Weitere Veranstaltungen im Rahmen des Projekts «Arm und Reich»

  • 16.5., 19 Uhr: Die Kontrakte des Kaufmanns, von Elfriede Jelinek
  • 23./24.5., jeweils 20 Uhr: Hard to Be a God, von Kornél Mundruczó
  • 27./28.5., jeweils 20 Uhr: Money – It came from Outer Space, von Chris Kondek und Christiane Kühl
  • 30.5., 20.15: Colin Crouch

Alle Veranstaltungen des Projekts «Arm und Reich» finden im Schiffbau des Schauspielhaus Zürich statt, Schiffbaustrasse 4, Zürich.

Hinweis

Wer sich noch mehr beschäftigen will mit Geld und seinen zwingenden Eigenschaften, kann das in Zürich im Theater an der Gessnerallee tun. Dort beschäftigt sich das Kollektiv «Neue Dringlichkeit (nD)» vielfältig mit dem Geldfluss und seinen verschiedenen Richtungen. Von Shakespeares «Kaufmann von Venedig» über den «Bankraub» bis «Let’s Talk About Money, Honey» und mehr.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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