Kommentar

Wir leben, um für die Krankenkassen zu arbeiten

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Die Einheitskasse hat Vorteile, aber offenbar auch einen Nachteil: Sie spart neben Kosten auch Arbeit

Wir arbeiten, um zu leben. Dachte ich. Und freute mich, wenn es mir gelang, meine freie Zeit zu mehren und meinen nicht besonders üppigen Lebensunterhalt mit möglichst wenig Berufsarbeit zu finanzieren. Inzwischen aber, so fürchte ich, gilt das Gegenteil: Wir leben, um zu arbeiten.

Das gilt speziell für die Schweiz. Beim Arbeiten sind wir Weltmeister. Unser Land hat die höchste Erwerbsquote: Über 90 Prozent der 15- bis 65-jährigen Personen sind erwerbstätig. Unsere mittlere Arbeitszeit liegt ebenfalls weit über dem globalen Durchschnitt. Dazu kommen Millionen von Überstunden. Die Zahl der «Workaholics» dürfte hierzulande die Zahl der Alkohol- oder Sexsüchtigen weit übertreffen.

Das Glück der Schweizerinnen und Schweizer muss in der Arbeit liegen, könnten Aussenstehende meinen. Doch dann erfahren sie (und wir) die Kehrseite: Ein Drittel der Arbeitstätigen leidet heute unter negativem Stress, Tendenz steigend. «Burn-out» und andere psychische Krankheiten nehmen zu – und lassen damit auch die Kosten der Krankenkassen anhaltend steigen.

Das stetige Wachstum von Erwerbsarbeit und Krankenkassenprämien könnten wir jetzt zumindest bremsen: Mit der Einführung einer öffentlichen Krankenkasse. Denn wenn nicht mehr x verschiedene Krankenkassen mit aufwendigem Marketing um Kunden und Kundinnen für die obligatorische Grundversicherung buhlen müssen, so zeigt ein Gutachten der Initianten, liesse sich im Gesundheitswesen die Arbeit von 2250 Personen einsparen.

Doch für die arbeitsame Schweiz scheint das Einsparen von unnötiger Arbeit eine Horrorvorstellung zu sein. Das illustriert eine Schlagzeile, die ein offensichtlich arbeitssüchtiger Redaktor am 17. August auf die erste Seite der «Schweiz am Sonntag» setzte: «Einheitskasse vernichtet 2250 Arbeitsplätze».

Merke: Wir arbeiten nicht für unseren Lebensunterhalt, sondern für die Krankenkassen.


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8 Meinungen

  • am 2.09.2014 um 11:42 Uhr
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    Welch toller Artikel, Herr Guggenbühl. Arbeiten Sie fürs Initiativkommittee? Diese Zahl der Stellen, die angeblich verloren gehen, stammt aus einem Gutachten der Initianten. Seit wann sind staatliche Institutionen dafür bekannt, besonders effizient zu arbeiten? Die Krankenversicherer haben über die Branche einen Verwaltungsaufwand von 5,4% (darin sind sämtliche Lohnkosten inbegriffen). Die IV liegt weit darüber, die oft als Beispiel genannte Suva liegt weit darüber, ausländische Einheitskassenvorbilder liegen weit darüber und brillieren mit Milliardendefiziten. Das Argument, eine Einheitskasse würde sparen und zu tieferen Prämien führen, ist eine unglaubwürdige Behauptung auf tönernen Füssen.

    P.S.: Ich arbeite bei einem Krankenversicherer und kann Ihnen versichern, dass hier effizient gearbeitet wird und tagtäglich diskutiert wird, wie man den Kundenservice bestmöglich sicherstellen kann. Finden Sie mir eine staatliche Institution, die sich im selbem Ausmass ersthaft ums Kundenwohl bemüht.

  • am 2.09.2014 um 14:07 Uhr
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    Dann, Herr Heini, sind Sie offensichtlich ja gerade der richtige Ansprechpartner, um aus Sicht der Krankenversicherer hier Lösungsvorschläge zu den systematisch gehandhabten grundlegenden patientendiskriminierenden willkürlichen kostentreibenden Leistungsrationierungen Ihres Arbeitgebers wie z.B. RSA unter den Kassen, Wirtschaftlichkeitsverfahren der Santésuisse, geheimvertraglich mit Retrozessionen (Provisionen, Bonifikationen, Kickbacks) geförderte Billigstmedizin ohne Beleg der medizinischen Indikations- und Behandlungssicherheit per Versorgungsforschung vorlegen zu können! (Quelle: http://physicianprofiling.ch/VEMSVersorgungssicherheit032014.pdf)

    Falls dem nicht der Fall sein sollte, mögen Sie wohl tatsächlich effizient bei der Kostenoptimierung im wirtschaftlichen Interesse Ihres Arbeitgebers sein! Nicht jedoch bei der kosteneffizienten Förderung der Indikations- und Behandlungsqualität im medizinischen und wirtschaftlichen Interesse aller Versicherten und Patienten der OKP, welche diesen kostenfördernden Pseudowettbewerb schonungslos aufdecken würde.

    Diesen kleinen feinen Unterschied gilt es zu erkennen. Wahrscheinlich sind Sie sich dieser Probleme gar nicht bewusst, weil diese gegenüber den Mitarbeitern und dem Stimmvolk gezielt kaschiert werden!

  • am 2.09.2014 um 15:46 Uhr
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    Sie finden Wettbewerb im Gesundheitswesen unnötig. Das kann ich respektieren. Aber ihre Anwürfe laufen am Ende auf eine ideologische Diskussion hinaus.

    Fakt ist, dass Krankenversicherer auf die Kosten schauen, weil sie im Wettbewerb stehen – als einzige Mitspieler des Systems. Weil dieser Wettbewerb spielt, braucht es z.B. den Risikoausgleich. Das ist nicht kostenlos zu haben. Doch Wettbewerb führt auch im Gesundheitswesen zu besseren Lösungen im Sinne der Versicherten und auch dafür, dass effizient gearbeitet wird. Krankenversicherer sind Treuhänder im Dienste der Versicherten.

    Das heutige System ist nicht perfekt, aber die Schweizer Gesundheitsversorgung gehört zur Weltspitze. Eine staatliche Lösung könnte es nicht besser, sie wäre teurer – und Nullkommnix wäre sie mit Milliarden verschuldet. Es gibt im In- und Ausland genügend Beispiele, die dies aufzeigen.

  • am 2.09.2014 um 16:27 Uhr
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    @Heini: «Die Kosten im Gesundheitswesen können nur aus vier Gründen signifikant gesenkt werden: 1 Weil die Bevölkerung im Durchschnitt gesünder geworden ist; 2 weil weniger behandelt wird; 3 weil die Krankenkassen weniger bezahlen; 4 weil
    Administration und hypertrophe Technologie – administrativ wie medizinisch – eingedämmt werden.
    Punkt 1 ist unrealistisch. Punkt 2 kommt im Rahmen einer adäquaten Qualitätskontrolle einer Rationalisierung gleich, ohne Qualitätskontrolle einer Rationierung. Punkt 3 bewegt
    sich zwischen Illegalität und Unmoral, und Punkt 4 ist eine Notwendigkeit.» Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Vogt – http://www.paulvogt.com/de-wAssets/docs/Gesundheitswesen_0110.pdf

    "Die Krankenversicherer vertreten eine Gesundheitspolitik, die sich weitgehend auf Kostensparen um jeden Preis beschränkt. Dass Ihre Kunden wohl tiefe Prämien, aber auch mehr Nutzen für mehr Geld wollen, scheint ihnen, allen Beteuerungen auf Glanzpapier zum Trotz, entgangen zu sein. (H.H. Brunner & H. Locher 2011: Die Schweiz hat das beste Gesundheitssystem – hat sie das wirklich?)

    Als Mediensprecher der HELSANA kann man von Ihnen doch nur oberflächliche substanzlose fragenausweichende ‹0815› Argumente im wirtschaftlichen Interesse ihres Arbeitgebers erwarten, da Sie nach wie vor zurecht Angst vor der Einheitskasse bekunden. Aufgrund der vorliegenden Interessenskonflikte muss man ihre Glaubwürdigkeit ernsthaft bezweifeln (Ihr Chef Rob Hartmanns beliebt ebenfalls jeweils zu schweigen)

  • am 2.09.2014 um 16:47 Uhr
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    Sie beschuldigen pauschal: die Krankenversicherer, Helsana, Rob Hartmans und mich. Für Sie sind die Krankenversicherer des Teufels (anscheinend) und meine Argumente zählen für Sie nicht, bloss weil ich in der Kommunikation eines Krankenversicherers arbeite. Bei solch geballter Ladung Voreingenommenheit ist eine Diskussion schwierig. Besonders, wenn sie wegen ihrer geballten Faust in der Tasche einhändig schreiben.

    So wie ich Sie verstehe beschuldigen Sie die Krankenversicherer, dass sie auf die Kosten schauen. Das ist richtig. Würden sie es nicht tun, würden die Prämien noch viel rascher ansteigen. Tatsache ist auch, dass hier keine Willkürentscheide getroffen werden. Das BAG macht die Gesetze; wir halten uns daran.

    Und nochmals: Hier kümmert man sich wirklich um den Kunden. Würden wir dies nicht tun, wechselten die Kunden zur Konkurrenz. Überzeugen Sie sich selbst davon; gerne lade ich Sie zu einem Besuch ein.

  • am 2.09.2014 um 17:00 Uhr
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    @Heini: Ich bin Kunde der HELSANA und erlebe als Bittsteller Ihre willkürlichen, nicht auf medizinischen Fakten basierenden willkürlichen Leistungsentscheide ihrer Vertrauensärzte infolge fehlender Versorgungsforschung als teures Versicherungsrisiko und den damit verbundenen administrativen Aufwand meiner mich betreuenden Ärzte bestens! Als Paraplegiker werden mir nicht einmal die Handschuhe und Vaselin für das manuelle Ausräumen des Mastenddarmes bezahlt! Die Folgekosten von Fissuren hingegen problemlos! Ich weiss mich zu wehren, da ich medizinisches Grundwissen habe. Aber wie viele Mitmenschen gehen unter, weil Sie nicht wissen, ab wann es sich um medizinisch nicht gerechtfertigte Rationierungen (nicht Rationalisierung) handelt?!

  • am 2.09.2014 um 18:40 Uhr
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    Die Leistungen in der Grundversicherung sind gesetzlich vorgegeben. Wo ist der Wettbewerb? Beim Prämien einziehen? beim Leistungen bezahlen? Bei den 61 Geschäftsführungen? bei 61 Aufsichtsräten? bei 61 Computersystemen? bei 61 Verwaltungsgebäuden? Eine Einheitskasse ist sicher rationeller und kann auch Missbräuche der Leistungserbringer rascher entdecken! Es ist Zeit für eine Straffung!

  • am 3.09.2014 um 14:31 Uhr
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    @Heini: Apropos Pro & Kontra Einheitskasse: Meine diesbezügliche Meinung kann auf der Facebook-Seite ‹Faire Medikamentenpreise› in der Notiz vom 21. August 2014 öffentlich eingesehen werden.

    Mit meiner heutigen Email an Sie habe ich Sie, resp. die HELSANA überdies erneut dazu eingeladen, mir und InfoSperber gegenüber Stellung zu den vorliegenden belegbaren und deshalb zu diskutierenden Grundproblemen bei der aktuell leider unbefriedigenden kostentreibenden Leistungskontrolle & Leistungs- resp. Versorgungssteuerung im rein wirtschaftlichen Interesse des einzelnen Krankenversicherers nach ökonomischen Kriterien ohne eigentlichen Einbezug des WZW-Kriteriums «Zweckmässigkeit» (medizinische Notwendigkeit, Nutzen über Versorgungs- oder Begleitforschung zum Beleg einer kosteneffizienten Förderung der Indikations- und Behandlungsqualität) einzureichen.

    Bestätigung Ihrer angeblichen kosteneffizienten Leistungskontrolle und Leistungsbeurteilung wäre doch eine viel bessere Werbung und viel wertvoller, als Ihre Kunden mit Rabatten auf Eintrittskarten zu Fussballspielen, für Läckerli-Huus Geschenkboxen, Lockvogelabo für die NZZ, Rabatte auf HPP-Produkte & Sommerschlitteln im Rischli bei Sörenberg zu überzeugen (aktuelle Prime Club Angebote gegenüber Grund- & Zusatzversicherten).

    Letzten Endes kommt es nicht auf die perfekte Bratwurst im Spital darauf an, sondern ob die med. Leistungen des Spitals qualitativ hochwertig sind! So täuscht man eben seine Kunden über oberflächliche PR!

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