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Professor Köhler zerpflückte eine Novartis-Studie und wurde deshalb zensuriert © cc

Protest-Rücktritt: Er durfte Novartis nicht nennen

upg /  Ein Ex-Chefarzt trat als Herausgeber einer Fachzeitschrift zurück, weil er eine Novartis-Studie nicht zerpflücken durfte.

Die grossen internationalen Pharmakonzerne finanzieren fast alle Informationen, welche Ärzte über Medikamente erhalten: Sie zahlen nicht nur

  • für aufwändige «Fortbildungs»-Kongresse,
  • für Zulassungsbehörden wie die Swissmedic,
  • für regelmässige Ärztebesucher,
  • für unzählige klinische Studien.

Nein, sie zahlen zudem fast alle «wissenschaftlichen» medizinischen Fachzeitschriften.
Denn diese finanzieren sich praktisch ausschliesslich durch Pharma-Inserate und durch Sonderdrucke einzelner Beiträge in grosser Auflage, welche die Pharmafirmen grosszügig bezahlen. Die Firmen betreiben mit den Sonderdrucken Werbung für ihre Medikamente.
Von Pharma-Inseraten abhängig
Auch die Einnahmen der kleinen, alle zwei Monate erscheinenden, deutschen Fachzeitschrift «Kompakt Pneumologie» stammen fast ausschliesslich von Pharma-Inseraten. Die Zeitschrift richtet sich an deutschsprachige Pneumologen bzw. Lungenspezialisten und hat eine Auflage von rund 4000 Exemplaren. Sie erscheint im Kölner Biermann-Verlag.
Herausgeber war bis vor kurzem der pensionierte Professor Heinz Dieter Köhler. Er war früher Chefarzt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. In seinen Editorials kritisierte er gelegentlich vollmundige Ankündigungen manch neuer Therapien, die sich oft als teurer, aber keineswegs besser für die Patientinnen und Patienten herausstellen sollten.
«Wissenschaftlich abstruse und moralisch verwerfliche Novartis-Studie»
Der Redaktion des Biermann-Verlags war dies ein Dorn im Auge. Schliesslich könne man es sich bei diesen ‹Kompakt›-Fachzeitschriften, die zu 98 Prozent mit Inseraten finanziert würden, nicht leisten, «die besten Kunden zu vergrätzen» (Zitat aus der «Süddeutschen Zeitung»).
Als besonders heikel stufte die Verlags-Redaktion das geplante Editorial der jüngsten Ausgabe ein. Unter dem Titel «Man glaubt es nicht» wollte Herausgeber Köhler eine Novartis-Studie als «wissenschaftlich abstrus» und «moralisch verwerflich» kritisieren.
Wie die «Süddeutsche Zeitung» SZ berichtet, wollte Novartis an Asthma leidenden Studien-Probanden, die nicht regelmässig einen Steroid-Spray inhalierten, regelmässig den Antikörper Omalizumab spritzen lassen.
Novartis habe für die Studie 104 Asthma-Kranke ausgewählt, von denen dann jedoch nur 17 mitmachten und sogar nur 15 von diesen bis zum Ende der Versuchsreihe. Trotzdem liess Novartis die Studie im Januar 2015 in der Fachzeitschrift «Annals of Allergy, Asthma, Immunology veröffentlichen. Sie kommt zum Schluss, dass die Spritzen für Asthma-Patienten, die nicht dazu gebracht werden können, regelmässig einen Spray zu benutzen, geeignet sind. Eine Antikörper-Behandlung mit den Novartis-Spritzen kostet pro Patient 30’000 Euro jährlich.
Mit diesem Geld könne man für jeden Patienten jemanden einstellen, der ihn jeden Morgen zu Hause besucht und ihm beim Inhalieren hilft, wollte Köhler in seinem Editorial schreiben.
Köhler beabsichtigte zu fragen, welche Ärzte bei einer solchen «Studie» gegen wie viel Geld mitmachen würden, und warum eine Fachzeitschrift eine solche Studie annehme.
Darauf verlangte die Verlags-Redaktion, Köhlers Editorial «zu entschärfen». Sie schlug gleich selber eine «leicht geänderte» Fassung vor, in der die Ausdrücke «wissenschaftlich abstrus» und «moralisch verwerflich» nicht mehr vorkamen. Auch der Name «Novartis» war gestrichen und nur noch von «einer Studie» die Rede.
Köhler informiert Lungenfachärzte über seinen Rücktritt
Diese «leicht geänderte» Fassung wollte Köhler nicht akzeptieren. Man müsse Ross und Reiter, in diesem Fall also Novartis, nennen dürfen.
«Wenn so etwas begründet öffentlich nicht mehr gesagt werden darf, wer soll denn sonst das Korrektiv darstellen?», fragt Köhler in der «SZ».
Über einen E-Mail-Verteiler, der praktisch alle deutschen Lungenfachärztinnen und Fachärzte erreicht, informierte Köhler seine Kolleginnen und Kollegen, dass er als Herausgeber der «Kompakt Pneumologie» zurückgetreten sei: «Beiliegendes Editorial hat zum Konflikt mit dem Verlag geführt, weil Novartis ein Hauptanzeigenkunde ist
Die «SZ» machte diesen Fall am 7. April publik*. Obwohl es um eine Studie des Schweizer Pharmakonzerns Novartis geht, haben Schweizer Medien bisher nicht darüber berichtet.
«Die Gesellschaft toleriert diese Abhängigkeiten»
Die Rücksichten der Lungen-Fachzeitschrift seien kein Einzelfall, erklärt Gerd Antes, Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien beurteilt: «Der Industrieeinfluss auf die Forschung ist viel zu gross». «Aber», fährt er in der «SZ» fort, «es ist zu einfach, nur die Firmen zu beschuldigen. Alle Beteiligten tragen zu den Verantwortungen bei, Medizinfakultäten, Ethikkommissionen, Ärzte und ihre Organisationen, aber auch die Fachzeitschriften, Zulassungsbehörden und sogar Gesetzgeber und Parlamente».
Novartis beruft sich auf eigenen Verhaltenskodex
Novartis weist in der «SZ» die «Unterstellungen und Anschuldigungen» «vollumfänglich als haltlos» zurück. Es habe in dieser Angelegenheit nie einen Kontakt von Novartis zum Biermann-Verlag gegeben.
Zur Asthma-Studie meint Novartis relativierend, sie sei «eher wissenschaftlich interessant als klinisch relevant». Das ist laut Wissenschaftsredaktor und Arzt Werner Bartens in der «SZ» «eine bemerkenswerte Umschreibung dafür, dass die Therapie für Patienten keine Bedeutung hat».
Hans Biermann, Verleger des «Biermann-Verlags», verwahrt sich im Namen der Redaktion dagegen, als «Bande rückgratloser Pharmabüttel dargestellt» zu werden. Die von ihm verlangte Zensur des Editorials dementiert er nicht.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Heinz Dieter Köhler wurde 1994 Professor an die Philipps-Universität Marburg. Köhler ist Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften und Inhaber von elf Patenten im Bereich der angewandten Medizin. Von 2005 bis 2007 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Seit 1986 ist er zudem als Sachverständiger für das Bundesgesundheitsamt tätig.

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6 Meinungen

  • am 12.04.2015 um 14:17 Uhr
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    Danke für diesen Hinweis, Herr Gasche. Da muss man sich tatsächlich fragen, was mit dem Schweizer Journalismus passiert ist. Denn über Verschweigen solcher ‹Studienskandale› im wirtschaftlichen verkaufsfördernden Interesse des Pharmamarketings lässt sich der Erfolg von Novartis natürlich hervorragend verkaufen.

    Wie z.B. der Blick mit seinem Artikel vom 11. April 2015 «Novartis-Aktie geht durch die Decke – Nach Vasella kam das Hoch». So kann man dann leider heuchlerisch festhalten: «Und vor allem: Die neue Führung (mit Joe Jimenez & Jörg Reinhardt) kann in Ruhe arbeiten. Seit Vasellas Abgang ist Novartis skandalfrei."

    Bei solchen Aussagen muss man sich zu Recht fragen, wie unterwandert die Mehrheit unserer Print-, Online- und Massenmedien tatsächlich ist?!

    Wenn die Pharmareferenten von Novartis mit solch einer Studie versuchen, Mengenausweitung zu erzielen, dann ist es ein Skandal, welchen Joe Jimenez und Jörg Reinhardt zu verantworten haben. Es braucht nur einen Arzt, der belegen kann, dass ein Pharmareferent von Novartis mit dieser Studie versuchte, das Präparat zu bewerben 😉 !!!

    Dann werden diese Herren es aber analog zur Studienmanipulation in Japan zum Blutdrucksenker Diovan handhaben, und es als Einzefall darzustellen versuchen. Dann muss eben der ‹aufgeflogene› Pharmarefernet als Bauernopfer dienen.

  • am 12.04.2015 um 15:20 Uhr
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    P.S.: Der Artikel der Süddeutschen Zeitung «Aus Rücksicht auf die Pharmakonzerne» vom 7. April 2015 ist online übrigens frei abrufbar, inkl. abrufbarer Quellenangabe besagter Asthma-Studie zu Omalizumab (Xolair). In der Schweiz zur Behandlung allergischem Asthmas und chronisch spontaner Urtrikaria zugelassen. Seit 1. Dezember 2006 vom BAG mit einer Limitatio in die SL aufgenommen, d.h. kassenpflichtig!

    Es ist deshalb zu erwarten, dass die Pharmareferenten von Novartis mit dieser Studie von Arzt zu Arzt hausieren gehen und bei entsprechenden Menegenausweitungen mit Boni’s ‹fürstlich› vom Management belohnt werden. Interessant wäre die Höhe der angebotenen Rabatte gegenüber den Ärzten deshalb in Erfahrung zu bringen!

  • am 12.04.2015 um 17:05 Uhr
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    P.S. 2: Warum wohl wird im Pharmakodex und Pharma-Kooperationsidex die Offenlegungspflicht von Rabatten bei Bestellungen und Lieferungen seitens der Pharmaindustrie gezielt ausgeklammert (143.1)?!

    Warum wohl versuchen unserer ParlamentarierInnen bei der aktuellen Revision des HMG’s dies auch unter Art. 57a Abs. 2 analog zum Pharmakodex über den schwammigen Begriff ’nicht gebührende Vorteile› bei Bestellungen und Lieferungen von Heilmitteln durchzusetzen, resp.zu legalisieren.

    Dies trotz eindeutig rechtlichem Widerspruch zu Obligationenrecht Art. 400, KVG Art. 56, Medizinalberufegesetz Art. 40 und verpflichtender FMH-Standesordnung oder Standesordnung des Schweizerischen Apothekerverbandes?!

  • am 12.04.2015 um 17:13 Uhr
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    30’000 Euro jährlich? Da stimmt Professor Köhlers Ratschlag tatsächlich hundertprozentig, denn für nur rund 10’000 CHF jährlich käme eine qualifizierte Spitex-Person jeden Morgen – 365 Tage im Jahr – für ca. 20-30 Min., um an die Inhalationstherapie zu erinnern und beim Inhalieren fachgerecht zu unterstützen.
    Damit solche unterdrückten Informationen trotzdem verbreitet werden, gibt es glücklicherweise infosperber 🙂

  • am 15.04.2015 um 12:50 Uhr
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    Ein weiteres Beispiel einer überaus bedrohlichen Entwicklung, deren Beginn ich seit 9/11 beobachten kann. Die europäischen Medien sind unter starkem Druck, politisch, personell und finanziell. Man kann, außer den wenigen Topjournalisten, gar nicht so sehr ihnen die Schuld geben. Es ist die allgemeine gesellschaftliche Tendenz, das alles käuflich sei, die uns hier ins Chaos stürzt. Der Mensch und sein Leben besteht nicht nur aus Geld, sondern hat viel mehr zu bieten. Diese Haltung müssen wir zeigen und entwickeln, zusammen mit dem Solidaritätsgefühl gegenüber den Schwächeren und dem Willen, unsere Grundrechte zu verteidigen. Die Definition des Faschismus sei hier wieder einmal erinnert: das Zusammengehen von Big Money, transnationalen Konzernen und Staat, welches jeden einzelnen von uns bedroht.

  • am 19.04.2015 um 13:20 Uhr
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    Ein hervorragender Beitrag des Infosperber, ich bedanke mich einmal mehr. Ein Erfolg im Kampf gegen das Totschweigen von Realitäten, welche unsere Gesellschaft weiterbringen können. Es darf keine Tabus geben bei Firmeninteressen. Das Verbergen von Tatsachen welche wichtig wären für eine objektive Beurteilung einer Angelegenheit sollte unter Strafe gestellt werden. Die Ursache dafür, das destruktive Konkurrenzkämpfen, ist ein Kind des Raubtierkapitalismus. Die Schweiz täte gut daran, zu guten Werten wie Kooperation, Wahrheit und Transparenz zurück zu finden, und sich von der Usa sowie der EU und ihrem asozialen Verhalten besser abzugrenzen.

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