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Schuften für 4 Euro pro Tag: Erntehelfer in einer Fairtrade-Plantage in der Dominikanischen Republik © Arte TV

Fairtrade – manchmal nur eine schöne Illusion

Natalie Perren /  «Fair trade» heisst nicht immer «fair produziert». Eine Arte-Dokumentation deckt Missstände in Bananen- und Tee-Plantagen auf.

Wer ein Fairtrade-Produkt in den Einkaufswagen legt, will damit ein Zeichen setzen für eine gerechtere Welt: Kleinbauern in südlichen Ländern sollen für ihre Arbeit einen angemessenen Lohn erhalten, der ihre Existenz sichert und ihre Lebensbedingungen verbessert. Als verantwortungsbewusster Konsument ist man gerne bereit, für Kaffee, Schokolade, Tee oder Bananen etwas mehr zu zahlen, wenn sie das Fairtrade-Label der Max-Havelaar-Stiftung tragen. Nur: Garantiert ein Fairtrade-Siegel tatsächlich faire Produktionsbedingungen?

Der französische Filmemacher Donatien Lemaître besuchte für eine Arte-Dokumentation Plantagen in Mexiko, in der Dominikanischen Republik und in Kenia. Seine Recherchen zeigen, dass es hinter den Kulissen des fairen Handels nicht immer fair zugeht. Neben Gewinnern gibt es auch Verlierer. Zum Beispiel in der Dominikanischen Republik, wo Immigranten aus Haiti für einen Hungerlohn in Bananen-Plantagen schuften.

Erntehelfer aus Haiti profitieren kaum von Fairtrade

Banelino ist ein Vorzeigebetrieb von Fairtrade in der Dominikanischen Republik. Die Kooperative produziert pro Jahr rund 320’000 Tonnen Fairtrade-Bananen für Supermärkte in Grossbritannien. Viele der rund 400 Kleinbauern, die sich Banelino angeschlossen haben, arbeiten nicht mehr selber in den Plantagen, sondern beschäftigen billige Arbeitskräfte aus dem Nachbarland Haiti. Und davon gibt es Tausende seit dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2010. Die Immigranten verdienen häufig nicht mehr als 4 Euro pro Tag, leben unter miserablen Bedingungen und haben meist weder Pass noch Aufenthaltsbewilligung. Ihre Arbeitsverträge entsprechen in keiner Weise den Fairtrade-Richtlinien.

Immerhin: Banelino hat mit der Prämie, die jede Fairtrade-Kooperative erhält, die Pässe und Visa für 20 Angestellte finanziert. Doch insgesamt sind die Arbeits- und Lebensbedingungen der Plantagen-Arbeiter aus Haiti weit entfernt vom Fairtrade-Gedanken und den Standards der Organisation. Und: Das Problem ist schon seit längerem bekannt. Infosperber berichtete schon vor einem Jahr darüber. Damals versuchte die Max-Havelaar-Stiftung die Situation der Haitianer zu beschönigen. Und man beteuerte, fehlbare Kooperativen würden sanktioniert, wenn Kontrollen zeigten, dass Fairtrade-Standards verletzt würden. Geändert hat sich seither kaum etwas.

Bei seinen Recherchen in der Dominikanischen Republik hat Donatien Lemaître noch einen weiteren Missstand ausgemacht: Nicht nur einheimische Kleinproduzenten dürfen das Fairtrade-Siegel auf ihre Bananen kleben, sondern auch Grossgrundbesitzer. Angeblich weil kleine Produzenten allein die Nachfrage nach Fairtrade-Bananen nicht decken können. So mehrt das Gütesiegel für fairen Handel auch den Wohlstand jener, die es am wenigsten nötig haben: Reiche Ausländer, die mit ihren riesigen Plantagen und einem Heer schlecht bezahlter Arbeiter in einem der ärmsten Ländern der Welt Millionen erwirtschaften.

Rainforest Alliance – ein grünes Mäntelchen für Grosskonzerne

Hinzu kommt: Fairtrade Interational spannt zunehmend auch mit grossen Handelsketten und multinationalen Grosskonzernen zusammen. Das nützt der Organisation, weil Fairtrade-Produkte dadurch grössere Verbreitung finden. Vor allem aber nützt es den Konzernen, die dank teureren Produkten grössere Gewinne einstreichen können. Zudem wissen die PR-Strategen von Unilever, Nestlé, Tchibo oder Starbucks: Mit einigen Fairtrade-Produkten im Sortiment lässt sich das Image eines Unternehmens «aufpolieren».

Dass solche Partnerschaften für Konzerne oft nur ein grünes Mäntelchen sind, zeigt der Filmemacher Lemaître mit eindrücklichen Bildern aus einer Tee-Plantage in Kenia. Dort besitzt Unilever 14’000 Hektaren Land. Rund 12’500 Menschen leben und arbeiten ganzjährig auf dem Betrieb – von der Aussenwelt komplett abgeschottet. Sie pflücken im Akkord Blätter für Lipton-Tee, der später mit dem Zertifikat der Rainforest Alliance in den Handel kommt. Das grüne Label mit dem Frosch kennzeichnet landwirtschaftliche Produkte aus Betrieben, die nach Umwelt- und Sozialkriterien arbeiten. Aber das Label der Rainforest Alliance ist umstritten. Kritker werfen der Organisation seit längerem vor, nicht ausreichend strenge Standards zu besitzen, der Industrie nahezustehen und Konzernen bei der Pflege ihres Images zu helfen.

Missstände in Tee-Plantage von Unilever

Klar ist: Die Rainforest Alliance versteht sich primär als Öko-Label, das auf eine nachhaltige Landwirtschaft setzt. Dank des Programms konnten in Kenia Naturreservate, die Teil der Plantage sind, geschützt werden. Eine heile Welt – könnte man denken. Denn auf dem Gelände gibt es auch Wohn- und Freizeitanlagen für die Angestellten, es gibt Schulen, Geschäfte und medizinische Einrichtungen. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen auf der Unilever-Plantage mies. Bezahlt wird nach Erntegewicht. Ethnische Diskriminierung, Korruption und sexuelle Übergriffe durch Aufseher kommen fast täglich vor.
All dies wird in einem Bericht der unabhängigen Forschungs- und Netzwerkorganisation SOMO scharf kritisiert. Doch die Rainforest Alliance will davon nie etwas bemerkt haben. Das ist nicht erstaunlich, denn die Kontrolleure kündigen ihre Besuche vorher an. Und die Plantagen-Aufseher besitzen so viel Macht, dass Tee-Pflückerinnen aus Angst schweigen.
Nimmt man die Label-Standards der Rainforest Alliance genauer unter die Lupe, fällt auf: Da wird mit zwei Ellen gemessen. Sexuelle Belästigung im Betrieb darf es zwar laut Richtlinien nicht geben – falls doch, hat dies nicht automatisch den Verlust des Labels zufolge. Das Fällen von Bäumen oder das Wildern von Tieren auf dem Gelände wäre hingegen für Rainforest Alliance ein Ausschlusskriterium.

Darum lohnt sich Fairtrade – trotz allem

Es gibt aber viele Beispiele für fairen Handel, die zuversichtlich stimmen. Donatien Lemaître hat für seine Dokumentation auch Kleinbauern in Mexiko besucht. Seit die Indios ihren Kaffee an eine Fairtade-Kooperative abliefern, haben sich ihre Lebensbedingungen deutlich verbessert. Reich ist in dem kleinen Bergdorf zwar niemand, doch der Erlös aus dem Kaffee reicht für das Nötigste. Und: Fast alle Familien schicken ihre Kinder in weiterführende Schulen, wo sie eine Ausbildung erhalten.
Solche positiven Prozesse sind mit ein Grund, weshalb es – trotz allem – Sinn macht, Produkte aus fairem Handel zu kaufen. Der Dokumentarfilm auf Arte zeigt aber einmal mehr, dass es beim fairen Handel zuweilen an strengen, unabhängigen Kontrollen mit unangemeldeten Besuchen fehlt. Wenn aber Konsumentinnen und Konsumenten bereit sind, für «faire» Produkte mehr zu zahlen, sollen sie davon ausgehen können, dass der Mehrpreis tatsächlich den Ärmsten zugute kommt. Die Branche ist entsprechend gefordert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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«Fair Trade» und «Bio»

Viele zahlen für fairen Handel und für echte Bio-Produkte gerne mehr. Das öffnet Türen für Missbrauch.

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