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Die Demokratische Republik Kongo ist ein bedeutender Exporteur von Coltan © Natasha Mayers/flickr/cc

Über das Blut in unseren Handys

Nico Beckert /  Eine neue EU-Verordnung zu «Konfliktmaterialien» basiert auf Freiwilligkeit. Es gilt weiterhin: Marktgesetze vor Menschenrecht.

Red. Nico Beckert ist Doktorand an der FU Berlin und Freelancer. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit entwicklungspolitischen Themen. In diesem Zusammenhang hat er die Evaluation eines Naturschutzprogramms in Namibia geschrieben – Nachhaltiger Tourismus in Subsahara-Afrika: Anspruch und Wirklichkeit eines neuen Konzepts zur Armutsminderung. Nico Beckert betreibt den Blog «Zebralogs».

Unsere Handys finanzieren Konflikte. So behauptet es jedenfalls eine Vielzahl von Medienberichten. Doch der Zusammenhang ist nicht so einfach. Beispielsweise sind die in Handys, Laptops und anderen Elektrogeräten enthaltenen Rohstoffe nur eine Finanzierungsmöglichkeit von Rebellen und bewaffneten Gruppen. Die vor kurzem auf EU-Ebene beschlossene Verordnung zur Überwindung des Problems «Konfliktmineralien» ist enttäuschend. Sie hätte einen Beitrag zur Überwindung von Kriegen und Konflikten leisten können. Allerdings beruht die Verordnung auf einer freiwilligen Teilnahme der Unternehmen. Sie drohen somit – wie schon andere freiwillige Standards – unwirksam zu bleiben. Die Freiwilligkeit und der fehlende gesetzliche Druck sind zudem ein schlechtes Omen für die Nationalen Aktionspläne Wirtschaft und Menschenrechte, die derzeit in einigen europäischen Staaten verhandelt werden.

Konfliktrohstoffe – eine Finanzquelle für bewaffnete Gruppen und Diktatoren

Gold, Coltan, Zinn und andere Rohstoffe – sie stecken in Handys, Fernsehern, Elektroautos. Ein nicht unbedeutender Anteil dieser Rohstoffe stammt aus Kriegs- und Krisenregionen wie dem Kongo, aus Kolumbien und Myanmar. In diesen Regionen finanzieren sich Rebellen auch (!) über den Abbau und Handel von Rohstoffen.
Doch damit nicht genug: Auch Diktatoren finanzieren sich und ihr Militär über den Export von Rohstoffen. So ist die Demokratische Republik Kongo ein bedeutender Exporteur von Coltan. Die Sicherheitskräfte des Landes, die derzeit mal wieder Proteste der Opposition gewaltsam niederschlagen, werden auch durch die Einnahmen aus den Rohstoffexporten finanziert. Ein weiteres Beispiel ist der Sudan. Seitdem das Land seine Ölvorkommen an den Südsudan verloren hat, ist das Gold der grösste Devisenbringer. Durch die Gold-Einnahmen finanziert der Diktator al-Baschir seine Gräueltaten gegen die eigene Bevölkerung.

Zusätzlich werden beim Abbau von Rohstoffen oft Menschenrechte und Umweltstandards verletzt. Wenn Unternehmen beispielsweise Minen eröffnen oder vergrössern, werden Menschen oft ohne Entschädigung gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben. Auch verschmutzen die Minenbetreiber häufig die Luft sowie das Grundwasser und zerstören dadurch die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung.

Die UN schätzt, dass ein Drittel aller Menschenrechtsverletzungen weltweit im extraktiven Sektor, d.h. beim Abbau von Mineralien, begangen werden. Jedes Mal, wenn wir ein neues Smartphone kaufen, laufen wir also Gefahr, nicht nur Rebellen, sondern auch Diktatoren finanziell zu unterstützen. Ebenso nehmen wir beim Kauf eines jeden Elektroartikels Menschenrechtsverletzungen auf lokaler Ebene in Kauf.

Lösungsansätze: EU setzt auf freiwillige Teilnahme der Unternehmen

Es gibt Bemühungen, die Menschenrechtsverletzungen im Rohstoffabbau zu bekämpfen und dazu beizutragen, dass Rohstoffe nicht mehr als Finanzierungsmöglichkeit von Rebellen und bewaffneten Gruppen dienen. In den USA sind börsennotierte Unternehmen schon seit sechs Jahren dazu verpflichtet, offenzulegen, inwiefern ihre Produkte Konfliktmineralien (1) enthalten – so schreibt es der sogenannte Dodd-Frank Act vor. Dabei müssen die Unternehmen auch darüber berichten, ob Vorprodukte von Zulieferbetrieben Konfliktmineralien beinhalten (2).

Die EU ist dieser Gesetzgebung lange hinterhergehinkt. Doch am 15.06.2016 einigten sich das EU-Parlament und die EU-Kommission auf einen Kompromiss. Dieser sieht folgendermassen aus:

  • Nur die Importeure von Rohstoffen, d.h. Schmelzhütten und Raffinerien, werden gesetzlich verpflichtet, über die Herkunft der von ihnen benutzten Rohstoffe zu berichten. Der Grossteil der europäischen Unternehmen, die verarbeitende Industrie und die Händler von Endprodukten, werden nicht gesetzlich verpflichtet, sondern nur dazu aufgefordert, ihre Lieferketten freiwillig transparenter zu machen. Ein weiter reichender Vorschlag des EU-Parlaments für eine verpflichtende statt dieser grösstenteils auf freiwilliger Teilnahme beruhender Verordnung wurde somit abgelehnt.
  • Die EU-Verordnung erkennt nur Gold, Zinn, Coltan und Wolfram als Konfliktrohstoffe an. Weitere Rohstoffe, die zur Finanzierung von Konflikten beitragen, wie beispielsweise Lapislazuli, von dem in Afghanistan sogar die Taliban profitieren, werden nicht als Konfliktrohstoffe definiert.
  • Laut einem Bericht von Reuters wird es bei der Berichterstattung über die Konflikthaftigkeit von Gold, Zinn, Coltan und Wolfram keine geographischen Einschränkungen bezüglich der Quellen geben. Hier geht die EU-Verordnung also weiter als ihr US-Gegenpart, der Dodd-Frank Act. Letzterer definiert nur Importe aus der DR Kongo und ihren Nachbarstaaten als Konfliktrohstoffe.

Zivilgesellschaft kritisiert Verordnung – Überprüfungsklausel als Lichtblick

Die europäische Zivilgesellschaft sieht die Verordnung bestenfalls als ersten Schritt in die richtige Richtung. Sie kritisiert den Inhalt allerdings auch als nur «halbherzigen Versuch» zur Eindämmung des Handels mit Konfliktmineralien. Diese Kritik ist durchaus angebracht. Denn eine verpflichtende Verordnung auch für die verarbeitende Industrie hätte nicht nur einige hundert Importeure, sondern 800.000 Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichtet.
Ausserdem betont Amnesty International, dass es schon freiwillige Standards zur Überwachung der Lieferketten und zur Berichterstattung über mögliche Konfliktmineralien innerhalb der Lieferkette gibt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich viel zu wenige Unternehmen an freiwilligen Standards beteiligen.
Interessanterweise enthält die Einigung jedoch eine Überprüfungsklausel. Die EU-Kommission ist binnen zwei Jahren dazu verpflichtet, dass EU-Parlament über die Wirksamkeit der Verordnung zu unterrichten. Sollte sie in den Konfliktregionen keine Verbesserungen herbeiführen und sollten die Unternehmen ihre Lieferketten weiterhin intransparent halten, kann die EU-Kommission auch verpflichtende Massnahmen für die verarbeitende Industrie «vorschlagen». Zwar ist die Formulierung («kann vorschlagen») wachsweich. Allerdings lässt sie Spielraum und setzt zivilgesellschaftlichem Engagement ein klares Zieldatum, um die EU an ihre Verantwortung zu erinnern.

Oft übersehen: Strohmänner, weitere Geldquellen von Rebellen, weitere Problemursachen

Allerdings wäre auch eine verpflichtende EU-Verordnung kein Allheilmittel zur Überwindung aller Probleme im Rohstoffsektor geworden. Zunächst geht es in den gewaltsamen Konflikten in der DR Kongo, in Myanmar oder Kolumbien nicht vorrangig um Rohstoffe. Viel häufiger sind es Konflikte um den Zugang zu Macht, Einfluss oder zu Land. Die Rohstoffe, die in Europa gerne in den Mittelpunkt gestellt werden, sind für die Kriegsteilnehmer und Rebellen oftmals nur ein Mittel zur Finanzierung ihrer Konflikte.

Zudem verfügen Rebellen und bewaffnete Gruppen oftmals über eine Vielzahl weiterer Finanzquellen. In der Kriegsökonomie des Ostkongos beispielsweise haben sich viele bewaffnete Gruppen auf den Handel mit Holzkohle, Marihuana, Palmöl, Seife oder anderen Konsumgütern umgestellt – wie Akteure aus der kongolesischen Zivilgesellschaft sowie kongolesische WissenschaftlerInnen betonen.

Kontrollmassnahmen wie sie der Dodd-Frank Act oder die jüngst beschlossene EU-Verordnung vorsehen, werden ausserdem häufig durch Strohmänner umgangen. Rebellen im Ostkongo überlassen die Minen Zivilisten, die jedoch die Gewinne aus dem Minen-Betrieb an eben jene Rebellen zurücküberweisen. Ebenso erpressen Rebellen Schutzzölle auf Transportwegen. Wie die EU und die USA diesem «Geschäftssinn» der Rebellen beikommen wollen, steht in Frage.

Zu guter Letzt umfasst die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien auch nicht die Diktatoren, die über den Export von Rohstoffen ihr Militär und ihre Polizeikräfte ausrüsten. Hier brauchte es andere Mittel, um gewaltsamen Regimen die Finanzierung zu entziehen. Wie die Zusammenarbeit im Flüchtlingsbereich jedoch zeigt, hat die EU gar kein Interesse daran, solche gewaltsamen Diktatoren zu bekämpfen.

Die Konflikte in der DR Kongo, Kolumbien und anderen Staaten werden also nicht durch eine EU-Verordnung beendet, da es den Kriegsteilnehmern nicht um die Rohstoffe geht. Auch wird die Finanzierung von Konflikten durch eine EU-Verordnung höchstens erschwert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Rebellen und vor allem Diktatoren andere Quellen finden, um ihre Gräueltaten zu finanzieren.

Weitere Initiativen notwendig

Eine verpflichtende EU-Verordnung zu Konfliktrohstoffen wäre dennoch ein guter Anfang gewesen. Auf einer solchen Initiative hätte sich aufbauen lassen, um eine fairere und konfliktfreie Produktion zu schaffen. Sie hätte ein Bewusstsein für die Probleme in globalen Wertschöpfungsketten geschaffen.

Die jetzt beschlossene, grösstenteils freiwillige EU-Verordnung zu Konfliktmineralien lässt auch nichts Gutes erahnen für die Nationalen Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte. Wenn auch diese Aktionspläne auf einer freiwilligen Teilnahme beruhen, dann werden weiterhin die Marktgesetze die Menschenrechte übertrumpfen.

(1) Als Konfliktmineralien gelten dabei Gold, Zinn, Coltan (Tantal) sowie Wolfram.

(2) Die US-Gesetzgebung wird allerdings auch dafür kritisiert, dass sie nur einige Rohstoffe umfasst und nur auf die Region der Grossen Seen in Zentralafrika fokussiert.

Dieser Text ist erstmals auf Zebralogs erschienen.


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3 Meinungen

  • am 10.07.2016 um 15:02 Uhr
    Permalink

    Solange unsere Gesellschaft die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen unterstützt, um damit das Kapital einiger weniger zu optimieren (CEO von Grosskonzernen, Diktatoren etc.) wird es Krieg geben. Übermässige Unterschiede in der Ressourcenverteilung ist ein wesentlicher Faktor für Aggression und Krieg.
    Eine Vision, um uns von der Ausbeutungs- zur Potentialentwicklungsgesellschaft zu entwickeln, wo es um die Optimierung zwischenmenschlicher Beziehungen ginge, wäre von Nöten.

  • am 11.07.2016 um 08:52 Uhr
    Permalink

    Oder: Solange unsere Gesellschaft ihre indoktrinierte Verlorenheit mit Konsum kompensieren muss, wird sie Krieg für die Ressourcenumverteilung billigen.
    Lieber Aggression in fernen Ländern als hier bei uns, z.B. wenn man allen ihre Elektronikspielzeuge weg nehmen täte.
    Egoismus, Gier und Verantwortung beginnen nicht erst bei der Konzernleitung. Diese sind aber praktikable Feindbilder, weil sie auch unsere Löhne gering halten und somit unsere Konsumfähigkeit einschränken. Da stört sich die Gier an der Gier.
    Wachstum = Wohlstand, also Markt vor Menschenwürde; das gilt überall und auch wir am Rockzipfel der grösseren Profiteure «wollen» es so. Wir glauben daran bzw. glauben wir nicht daran, dass die Welt auch anders und besser funktionieren könnte. Wir als Gesellschaft.

  • am 9.02.2017 um 18:04 Uhr
    Permalink

    Der Dodd-Frank Act war vielleicht gut gemeint, die Auswirkungen sind leider kontraproduktiv, wie diese Studie der Maryland University zeigt:

    http://www.rhsmith.umd.edu/news/how-dodd-frank-squeezing-middle-class

    Ein anderer Ökonom der George Mason University, Tyler Cowen, bestätigt dies:

    Zitat » …who show that the lending regulations of Dodd-Frank redistributed credit away from the middle class toward wealthier Americans."

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