Bundeskanzleramt_Berlin1-1-1

EU in der Krise: Deutsches Spardiktat oder Wachstumspakt? © angr/cc

Kritik des deutschen Dominanzstrebens (II)

Red. /  Die deutsche Zeitschrift «Internationale Politik» propagiert die Führungsmacht Deutschland. Aber es regt sich auch Kritik.

Deutsche Regierungsberater ziehen neue Restriktionen im Kampf gegen die Eurokrise in Betracht. Man müsse möglicherweise die Souveränität der EU-Staaten auch auf dem Feld der Wirtschaftspolitik aufheben und einen Euro-«Wachstumspakt» in die Wege leiten, heisst es in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift «Internationale Politik». Dies werde nötig sein, sofern sich die Krise mit den bisherigen Spardiktaten nicht in den Griff bekommen lasse. Genau davor warnen seit Jahren einige in- und vor allem zahlreiche ausländische Experten.

Die deutschen Austeritätsforderungen drohten «am Ende die Verschuldungskrise noch (zu) verschärfen», schreibt exemplarisch einer der Kritiker ebenfalls in der neuen «Internationalen Politik». Seine Analyse, die dem deutschen Dominanzstreben innerhalb der EU ein katastrophales Zeugnis ausstellt, kommt zu dem Schluss, die Krisenpolitik Berlins müsse grundlegend umgestaltet werden. Die «Internationale Politik» hingegen legt Vorschläge für Kurskorrekturen vor, die auf den Spardiktaten aufbauen, sie beibehalten und mit zusätzlichen EU-Eingriffsrechten in die Kompetenzen demokratisch gewählter Regierungen die deutsche Hegemonie über Europa weiter verfestigen wollen.

Deutsche Instabilitätskultur

Scharfe Kritik an Berlins Krisenpolitik übt im Rahmen der «Führungs»-Debatte in der Zeitschrift «Internationale Politik» (siehe Link unten) Hans Kundnani vom Londoner Büro des «European Council on Foreign Relations». Kundnani benennt Sachverhalte, die Experten insbesondere im Ausland seit Jahren monieren: Dass Deutschland «auf strengen Sparprogrammen quer durch die Euro-Zone» bestehe, hindere die in der Schuldenkrise feststeckenden Staaten daran, mit einer Wachstumsstrategie gegen die Rezession zu kämpfen – denn dafür müssten sie Ausgaben tätigen. Das Spardiktat könne daher «die Verschuldungskrise noch verschärfen».

Zugleich setze Berlin die Wirtschaft der Krisenländer mit seinen Exportoffensiven «unerträglich» unter Druck. Es sei der Bundesregierung auf diese Weise gelungen, die Arbeitslosigkeit «in Deutschland auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung» zu senken, während sie «in Ländern wie Spanien Rekordniveau erreicht» habe. Kundnani schreibt: «Es hat den Anschein, dass Deutschlands Ansatz für die Euro-Krise nicht so sehr das Wohl Europas als Ganzes im Blick hat, sondern vielmehr Deutschlands eigenes Interesse». Wegen der verheerenden Folgen für die Krisenstaaten spricht der Aussenpolitik-Experte von einer «deutschen Instabilitätskultur».

Kein Entgegenkommen

Ausdrücklich verweist Kundnani darauf, dass andere Hegemonialstaaten in Krisensituationen nicht wie Deutschland nur eigene kurzfristige Interessen bedienten. «Ein Paradebeispiel» hätten demnach «die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg abgegeben»: Sie hätten bekanntermassen «in den fünfziger Jahren den Westeuropäern Handelspräferenzen» eingeräumt und dadurch zwar ihrer eigenen Wirtschaft Nachteile verschafft, jedoch «ihr strategisches Ziel von europäischer Stabilität» erreicht. Ein strategisch operierender Hegemon mache «kurzfristig Zugeständnisse gegenüber denjenigen, die er in seine hegemoniale Ordnung kooptiert hat, um seine Interessen langfristig zu sichern», schreibt Kundnani und ordnet die Zugeständnisse, die die Bonner Republik den übrigen europäischen Staaten zuweilen machte, in eine solche Hegemonialpolitik ein.

In diesem Sinne habe man erwarten können, dass Deutschland den Krisenstaaten zumindest mit einer Reduzierung seiner Handelsüberschüsse oder mit «dem Zulassen einer gemässigten Inflation» entgegenkomme – um das «Überleben des Euro» zu sichern, von dem die Bundesrepublik schon deshalb profitiere, weil seine «Schwäche im Vergleich zur D-Mark der deutschen Exportwirtschaf» nutze. Tatsächlich aber habe Berlin kein Entgegenkommen gezeigt und sich «konsequent geweigert, eine solche Politik zu verfolgen.»

Isoliert wie nie zuvor

Kundnani resümiert: «Deutschlands gewachsene Macht und Frankreichs verhältnismässige Schwäche haben es Berlin erlaubt, seine Präferenzen in der Euro-Zone und der EU durchzusetzen.» Mit dem Fiskalpakt habe Deutschland «seinen Partnern ein deutsches Wirtschaftsmodell verordnen können». Allerdings garantiere Berlin den Staaten der Eurozone «keine Stabilität». Daher habe es bei seinen – erfolgreichen – «Versuchen, Normen zu setzen, Widerstände von anderen Euro-Zonen-Mitgliedern erfahren; mit diesen ist es weiterhin konfrontiert und wird sie aller Voraussicht nach weiterhin zu spüren bekommen». Es herrsche wegen der fehlenden deutschen Zugeständnisse «ein Mangel an hegemonialem Einverständnis». In einem solchen empathischen Sinn sei Deutschland, urteilt Kundnani, «noch kein europäischer Hegemon – und wird wahrscheinlich keiner werden»: Berlin sei «innerhalb der EU zwar so mächtig, aber auch so isoliert wie nie zuvor».

Aufgeregte Debatten

Eine indirekte Bestätigung dieser Einschätzung liefern die Vorschläge für die weitere Bewältigung der Eurokrise, die die «Internationale Politik» wenige Seiten nach Kundnanis Kritik abdruckt. Autor ist Andreas Rinke, politischer Chefkorrespondent der Nachrichtenagentur Reuters in Berlin; er hat sich bereits Anfang letzten Jahres als hellsichtiger Tabubrecher betätigt, indem er in der Internet-Ausgabe der «Internationalen Politik» Angela Merkel zur «EU-Kanzlerin» und den französischen Staatspräsidenten zum europäischen «Vizekanzler» ernannte. Rinke beschreibt in Form eines Zukunftsszenarios neue Streitigkeiten in der EU, mit denen in der Tat zu rechnen ist, weil die deutschen Spardiktate die Krise kaum lösen können. Es tobe, so schildert er eine imaginierte Situation im kommenden Sommer, «eine aufgeregte Diskussion, dass nun Schluss sein müsse mit einer reinen Sparpolitik». Der Reuters-Korrespondent mutmasst, dass «anstehende Wahlen in einigen EU-Staaten» auch in Zukunft «schon wieder Oppositionsparteien an die Macht zu bringen drohen, die eine harte Reformpolitik nicht mittragen wollen und stattdessen grosse staatliche Konjunkturprogramme fordern». Für solche Probleme müsse eine Lösung gefunden werden.

Ein neues deutsches Diktat

Der Vorschlag, den Rinke schildert – er ist im Berliner Establishment bestens vernetzt -, läuft auf eine weitere Aushebelung der nationalstaatlichen Souveränität innerhalb der EU hinaus. Demnach soll «den nationalen Regierungen das Heft auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus der Hand genommen werden»; sie hätten sich diesbezüglich nach den Vorgaben Brüssels zu richten. Wessen Handschrift diese Vorgaben trügen, daran kann nach den deutschen Krisendiktaten der letzten zwei Jahre kaum ein Zweifel bestehen. Rinke mutmasst, die weitgehende Entmachtung der demokratisch gewählten Parlamente, die nach der Finanz- nun auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik erreichen soll, könne analog zum «Fiskalpakt» mit einem «Wachstumspakt» vollzogen werden, den wohl alle EU-Staaten ausser Grossbritannien unterzeichnen würden.

Als eventuelle Zugeständnisse bringt der Reuters-Korrespondent eine Abwandlung der «Euro-Bonds» ins Spiel: «Projekt-Bonds», mit denen die EU-Kommission «wichtige, bereits beschlossene Infrastrukturmassnahmen in schwächeren EU-Staaten zumindest vorfinanzieren darf». Über die Realisierung der Berliner Vorgaben bei relativ geringen, durch die «Projekt-Bonds» verursachten Kosten schreibt Rinke: «Die Neuaufstellung der Euro-Zone ist abgeschlossen.» Dass einige EU-Staaten wohl «von einem neuen deutschen Diktat» sprechen würden, da sie sich mit dem «Wachstumspakt» vermutlich unwiderruflich «auf den Weg einer wirtschaftlichen Liberalisierung» begäben, erscheint in Rinkes Szenario kaum der Rede wert.

——-

Dieser Artikel ist auf der Plattform «German-Foreign-Policy.com» erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.