Kommentar

kontertext: Demokratie zurückerobern – jetzt!

Alfred Schlienger © zvg

Alfred Schlienger /  Der Kongress «Reclaim Democracy» hat eindrücklich gezeigt: Widerstand gegen Trump, Le Pen, Blocher & Co. ist so nötig wie möglich.

Das organisierende Denknetz Schweiz rechnete optimistisch mit 1000 Teilnehmenden – und es kamen fast doppelt so viele. Während dreier Tage, vom 2. bis 4. Februar, wimmelte es im Kollegiengebäude der Uni Basel förmlich wie in einem Bienenkorb: An vier Plenarveranstaltungen und in 50 Ateliers diskutierte ein hoch konzentriertes und bunt gemischtes Publikum aus allen Alters- und Geschlechtergruppen, wie Demokratie und Menschenrechte gegen die überall um sich greifende Ökonomisierung von Politik und Gesellschaft, gegen Ausgrenzung, Rassismus und Sexismus stark gemacht werden können (Programm). Gibt es zurzeit ein aktuelleres, brisanteres, gewichtigeres politisches Thema?

Jede Veranstaltung, die ich an diesem Kongress erlebt habe, war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Leute standen zusätzlich an den Wänden, sassen am Boden, die Hörsaaltüren blieben offen, damit auch jene mithören konnten, die im Raum keinen Platz mehr gefunden hatten. Auch die Plenarveranstaltungen in der Aula waren regelmässig überfüllt, so dass sie in zusätzliche Hörsäle übertragen werden mussten. Allein schon dieser immense Zuspruch von Jung und Alt, diese Neugier, Debattierlust und Ausdauer waren ein Riesengewinn und machten Mut für die notwendigen Fortführungen. Mehr als ein Jahr Vorbereitungszeit und rund 3500 Stunden Freiwilligenarbeit haben diesen Kongress möglich gemacht. Man darf wohl davon ausgehen, dass das Denknetz diesen Schwung mitnehmen und in weitere, vertiefende Aktivitäten umsetzen wird.

Von Printmedien totgeschwiegen

Deutlich bescheidener als das Publikumsinteresse und die gebotene Fachkompetenz der auftretenden nationalen und internationalen ExpertInnen fiel das Medienecho auf den Kongress aus. Soweit ich das überblicke, hat von den Printmedien nur die «WOZ» über den Anlass berichtet. Dass von den lokalen Medien sowohl die «bz Basel» (AZ-Medien) als auch Blochers «Basler Zeitung» den dreitägigen Kongress totschwiegen (und ihn die «Tageswoche» mit einem unbedarften Erlebnisbericht aus offensichtlich unkundiger Praktikantenhand bediente), passt in die wenig erbauliche Basler Mediensituation. Aktiver am Puls der Zeit zeigten sich hingegen verschiedene Radios und Online-Plattformen. Gleich mehrere Sendungen widmete Radio Bern «RaBe» dem Kongress, und SRF berichtete sowohl im «Echo der Zeit» («Feminismus im Aufwind») als auch in «Blickpunkt Religion» über Einzelaspekte des Programms. Für das Online-Magazin «Journal B» lieferte Gerhard Meister einen Kongressbericht. Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig diese kleinen, flexiblen Plattformen und alternativen Radios für eine breite und demokratierelevante Information sind.
Die vergleichsweise schmale mediale Wahrnehmung zu diesem in seiner Art einzigartigen Kongress kann hier in diesem Rahmen nicht umfassend vervollständigt werden. Dafür war das Programm erfreulicherweise auch viel zu reichhaltig. Es soll aber in gebotener Kürze auf zwei Ateliers hingewiesen werden, die sich mit dem Themenkreis «Medien und Demokratie» beschäftigt haben, der den kontertext-Schreibenden besonders am Herzen liegt.

Demokratie braucht Medien

Werner A. Meier und Manuel Puppis (Universität Fribourg) fokussierten auf die Kommerzialisierung und die Krise der Medien. Sie stellten unter anderem die folgenden Thesen zur Diskussion:

  • Medien brauchen keine Demokratie, aber Demokratie braucht Medien.
  • Aber welche Medien?
  • Die meisten Medien sind kommerziell institutionalisiert – und haben dadurch ein konfliktives Verhältnis zur Demokratie.
  • Auch Service-public-Medien und Community-Medien sind nicht notwendigerweise demokratieaffin.
  • Demokratiesensibler Journalismus ist alles andere als ein Selbstläufer.

Mit vielfältigem Zahlenmaterial veranschaulichten sie die Entwicklung der Medienkrise. Das Problem der Pressekonzentration zeigte sich besonders sprechend anhand einer Statistik aus dem Kanton Zürich: Verfügte der Kanton 1968 noch über 21 Tageszeitungen / 13 Wochenzeitungen / 12 Anzeiger, waren es im Jahr 2013 noch: 4 Tageszeitungen / 8 Wochenzeitungen / 23 Anzeiger.
Dieser Verlust an Vielfalt in der meinungsbildenden Presse bei gleichzeitig markantem Anwachsen der Gratisanzeiger erweise sich für die Demokratie als höchst problematisch.

Direkte Medienförderung ist unverzichtbar

In ihren Schlussfolgerungen betonten die beiden Referenten, dass Medien und Journalismus nur dann unverzichtbar seien, wenn sie sich in den Dienst der Demokratie stellten. Eine technologieneutrale, konvergente direkte Medienförderung (Print und Online) sei dafür in sehr naher Zukunft dringend notwendig. Als Vorbild für eine solche Förderung verwiesen sie auf Skandinavien: Dort werde die Medienförderung nicht an den Inhalten festgemacht, sondern an den professionellen redaktionellen Bedingungen sowie an einer Ausrichtung an den Rechten und Pflichten von Journalisten, wie sie etwa auch der Schweizerische Presserat formuliert habe. Aus Basler Sicht kann man hier anfügen, dass zum Beispiel ein Kampfblatt von Blochers Gnaden wie die «Basler Zeitung», das die journalistischen Standards notorisch verletzt und deshalb vom Presserat immer wieder abgemahnt werden muss, wohl eher nicht zum Kreis der förderungswürdigen Presseprodukte gezählt werden dürfte.
Ein weiteres Atelier war der linken und linksliberalen Medienoffensive gewidmet. Roman Berger, ehemaliger USA-Korrespondent des «Tages-Anzeiger», berichtete von der Bewegung Free Press, die 2003 von Linksliberalen in den USA gegründet wurde. In kaum einem westlichen Land seien Fusionsrausch und Pressekonzentration so ausgeprägt wie in den USA. Das habe wesentlich beigetragen zum Phänomen des riesigen «Flyover Country» zwischen Ost- und Westküste, das vom professionellen Journalismus nicht mehr erreicht werde. Die so entstandenen News-Wüsten bildeten eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Trump-Wahl. Die Medienkrise sei deshalb immer auch eine Demokratiekrise. «Information hat einen Preis, ist aber keine Ware, die dem Markt überlassen werden kann», so Berger. Ziel müsse es sein, alle Bürgerinnen und Bürger mit den für das Funktionieren der Demokratie notwendigen Informationen zu versorgen.

Medienoffensive: Das «Project R»

«RosaRot», die Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen, plädierte dafür, dass eine Medienoffensive nur links sein könne, wenn sie auch feministisch sei, und mit der WOZ durfte man sich herzhaft freuen, dass sie in der aktuellen Medienkrise das einzige meinungsbildende Printmedium der Schweiz ist, das seine Auflage und Reichweite markant steigern konnte. Am meisten Neugier weckte das noch immer etwas geheimnisumwobene «Project R», das der Medienjournalist Christof Moser vorstellte. Geplant sei ein digitales Magazin, produziert von 8 bis 9 festangestellten JournalistInnen (u.a. Constantin Seibt) und mit einem Freelance-Budget von 400 Stellenprozenten. Die Grundmotivation schöpfe das «Project R» aus der Tatsache, dass die Schweizer Zeitungsverleger immer mehr aus der Publizistik aussteigen. Deshalb sei es unumgänglich, ein zukunftsträchtiges publizistisches Projekt unabhängig von den Verlegern zu entwickeln. «Wir wollen auf die grossen Themen gehen und so den Unterschied im öffentlichen Diskurs herstellen», betonte Moser. Als Trägerschaft sei eine Genossenschaft gegründet worden, das Crowdfunding starte in Kürze, auf Werbung werde verzichtet, das Magazin soll 2018 online gehen. Man darf gespannt sein.

Breite Koalitionen schaffen!

Dieser ganze Demokratie-Kongress war ein fulminanter und kraftvoller Einstieg in eine zentrale gesellschaftliche Debatte. Für den Anfang mag es vielleicht sinnvoll gewesen sein, diese Diskussion in tendenziell linken, feministisch, ökologisch, wirtschaftskritisch, wissenschaftlich und/oder befreiungstheologisch inspirierten Kreisen zu starten. Demokratie braucht aber auch die Gegenmeinung, den möglichst breiten Diskurs. Die Rückeroberung der Demokratie ist nicht nur ein linkes Anliegen. Es betrifft liberale und bürgerliche Kräfte, die sich nicht dem autoritativen, rechtskonservativen Mainstream verschrieben haben, genauso. Das Denknetz ist deshalb gut beraten, wenn es für einen nächsten Schritt die Netzwerke der Demokratie-Verteidiger über den linken Kuchen hinaus erweitert und Koalitionen knüpft mit allen Kräften, die an einer lebendigen und werteerhaltenden demokratischen Kultur interessiert sind.

Insofern fand die Juso-Präsidentin Tamara Funiciello, die von der Kongressleitung zu einem Rückblick auf diesen Demokratie-Kongress eingeladen worden war, die richtigen Worte. Sie zeigte sich begeistert von der Vielfalt der Alternativen, die aufgezeigt worden seien; beschrieb eindringlich die schöne Erfahrung, nicht alleine zu sein mit seinen Ideen und Wünschen; betonte aber auch, dass nach dem Reden nun das Handeln folgen müsse. Und: «Nicht-Einigkeit ist gar nicht schlimm, das ist doch der Anfang von Demokratie.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Alfred Schlienger, Theater- und Filmkritiker, u.a. für die NZZ; ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule; Mitbegründer der Bürgerplattform RettetBasel!; lebt in Basel.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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Eine Meinung zu

  • am 16.02.2017 um 16:09 Uhr
    Permalink

    "Koalitionen … mit allen Kräften, die an einer lebendigen und werteerhaltenden demokratischen Kultur interessiert sind"
    Wenn eine Kultur wirklich darauf festgelegt wird, linke Werte um jeden Preis zu erhalten, dann kann sie keinen Widerspruch dulden – und dann ist sie auch nicht «lebendig».
    Gut, es gibt immer ein leichtverführbares bürgerliches Publikum für solche Projekte. Das war in den Zeiten der «Einheitsfront» vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ja auch nicht anders. Aber ernsthafte Liberale müssten eigentlich den Haken erkennen und die Angel scheuen.

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