Obama

Barack Obama mit Burmas Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi © Screenshot

«Change» mit Hilfe des Volkes: der neue Obama (2)

Robert Ruoff /  Zum Amtsantritt schlägt Barack Obama neue Töne an. Er mobilisiert seine Anhänger und verspricht mehr persönliche Präsenz im Land.

Der erste Teil dieses Beitrages zeigte die verbiesterte Reaktion auf Obamas Wiederwahl in der sektiererischen rechten politischen Szene. Und er greift mit einer gewissen ironischen Distanz die Bett- und Frauengeschichten amerikanischer Generäle und Washingtons politische Insiderspiele auf.
In diesem selbstbezogenen Polittheater verfolgt ein offenkundig inspirierter und entschlossener Präsident einigermassen unbeirrt seine Agenda. Und er beabsichtigt ausdrücklich, seinen erfolgreichen Wahlkampf-Apparat nun auch für die Durchsetzung seiner Politik einzusetzen.
Ein vorrangiges strategisches Ziel ist die Stärkung der amerikanischen Position im Pazifik, während im Nahen Osten von Irak über Syrien bis Israel und Gaza wieder die Gewalt explodiert.

Die pazifische Aussenpolitik

Mit seiner historischen Reise nach Thailand, Burma/Myanmar und Kambodscha und der Teilnahme am Ostasien-Gipfel zeigt US-Präsident Barack Obama klar die Richtung. «Historisch» ist der Besuch, weil Obama als erster amerikanischer Präsident Myanmar besucht – trotz ursprünglicher Bedenken der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, mit der er aber die Verständigung findet. Für die «historische» Bewertung von Obamas politischer Leistung wird mitentscheidend sein, welche Fortschritte sein Besuch für die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten in Myanmar bedeutet.

Er selber erklärt zu seinem Besuch: «Es würde elend lange dauern, wenn wir auf eine perfekte Demokratie warten wollten.»

Sicherheit durch Zusammemnarbeit

Die ganze Asien-Reise zeigt, wie wichtig Obama die Ankurbelung und Stärkung der amerikanischen Wirtschaft auch durch die Expansion nach Asien ist. Die wirtschaftliche, politische und militärische Präsenz der USA im pazifischen Raum insbesondere gegenüber der immer stärkeren globalen Supermacht China ist ein strategisches Ziel. Der Ausbau und die Festigung einer Sicherheitsstruktur und der Zusammenarbeit mit alten und neuen Partnern in Asien wird deshalb ein Schwerpunkt der Aussenpolitik in seiner zweiten Amtszeit sein. Dabei geht es auch gegenüber China um Kooperation, nicht Konfrontation. Die asiatische Supermacht ist ein zu wichtiger Wirtschaftspartner, und der US-Präsident setzt in seiner gesamten Sicherheitspolitik auf Zusammenarbeit und den Ausgleich der Interessen «mit anderen Zentren der Macht», wie es in seiner offiziellen Sicherheitsstrategei für die USA heisst.

«Leading from behind» war sein Führungsprinzip im Umgang mit dem arabischen Frühling: in Lybien tat er das auch mit militärischen Mitteln, wobei er die Führungsverantwortung den Europäern in der Nato überliess. In Ägypten wirkte er durch die handfeste Diplomatie seiner Aussenministerin Hillary Clinton. Und in Syrien, ebenfalls unter Clintons Federführung, hat er, anders als George W. Bush in Irak und Afghanistan, nicht eine Marionette zum Regierungschef gemacht, sondern sorgfältig nach vertrauenswürdigen Partnern gesucht und schliesslich das neue Oppositionsbündnis mit seinem Chef, Scheich Ahmed al-Chatib, anerkannt. Während die EU, mit Ausnahme Frankreichs, noch zögert (s. dazu Andreas Zumach in WoZ 46/2012: Was die USA richtig machen).

Obama und der Nahe Osten

«Der Nahe Osten ist gefährlicher geworden», stellte die ehemalige US-Botschafterin in der Schweiz, Madeleine M. Kunin, im Interview zu Obamas Politik kurz vor der Wiederwahl fest. Kunins Einschätzung bestätigt sich auf tragische Weise. Im Bürgerkrieg in Syrien ist kein Ende abzusehen, und die Ausdehnung auf Nachbarländer – Libanon, Türkei, Israel – droht täglich. Und über den Einsatz von NATO-Einheiten an der Seite der Türkei wird bereits verhandelt. Das wäre dann eine weitere Stufe auf dem Weg zur Internationalisierung des Konflikts, sprich: zu einem europäischen Krieg.

Gleichzeitig nähert sich der Gewaltausbruch zwischen der palästinensischen Hamas und Israel mit der massiven Mobilisierung von 75’000 israelischen Reservisten der bedrohliche Phase eines Bodenangriffs. Obama unterstützt «Israels Recht auf Selbstverteidigung», er bedauert die Opfer an Menschenleben. Hinter den Kulissen arbeitet er mit seiner Administration «an der Deeskalation und der Rückkehr zu einer friedlichen Lösung», wie ein Sprecher sagte.

Israels brutaler Querschläger

(Jakob Kellenberger, der ehemalige Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK, beklagt in einer Kolumne in der «SonntagsZeitung» sowohl die Rücksichtslosigkeit der Hamas-Führung gegenüber der eigenen Bevölkerung und den tendenziell unverhältnismässigen Einsatz von Gewalt durch Israel. «Die Regeln des humanitären Völkerrechts gelten aber auch im Falle der sogenannten Selbstverteidigung.»)

((Die Frage ist, ob Israel nicht bewusst den bewaffneten Konflikt mit der Hamas zum gegenwärtigen Zeitpunkt gesucht hat. Nach der Wahl in den USA, während Obama seine Aufmerksamkeit nach Asien richtet. – Die gezielte Tötung des Hamas-Führers Jabari und Aufrufe zu extremer Gewalt aus Israels Regierung und ihrem Umfeld werfen diese Frage auf. Siehe dazu u.a. die SF-«Tagesschau» vom 18. November)).

Ebenfalls in diesen Tagen meldet die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA, dass der Iran seine Kapazität zur Anreicherung von Uran mit einer zweiten, unterirdischen Anlage in Fordo massiv ausbaut und nach wie vor die Kontrolle der Anlage von Partschin «untergräbt», die angeblich abgebaut werden soll.

In dieser angespannten Lage ist Barack Obama dabei, die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden – «the end of a decade of wars», sagte er in seiner Siegesrede nach der Wahl -, und einen neuen Krieg zur Verhinderung einer iranischen Atombombe mit einer Mischung aus Wirtschaftssanktionen und politischer Diplomatie wenn irgend möglich zu vermeiden. Aber die Zeit läuft und die Lage im ideologisch aufgeheizten Nahen Osten mit seinen unberechenbaren Akteuren ist nur noch schwer zu kontrollieren. Die einen führen Krieg, wie Assad in Syrien, um den Rest ihrer Macht zu erhalten, die anderen provozieren Krieg, wie die Hamas und Israels Netanyahu, um ihre Machtposition zu sichern, zu verlängern oder auszubauen.

Und der Iran arbeitet weiter unnachgiebig an seiner nuklearen Kapazität und nähert sich so der roten Linie, die auch Obama gezogen hat: er wird nicht zulassen, dass der Iran in den Besitz einer Atombombe kommt. Und dabei schliesst er einen Militärschlag nicht aus.

Amerikanische Agenda: Selbständige Energieversorgung

Dabei hat der amerikanische für seine zweite Amtszeit eine ganz andere Tagesordnung. Obama will in erster Linie sein Land wieder auf den Pfad zu Wachstum und Wohlstand bringen, als mächtiges und attraktives Beispiel für die Welt, auch «compassionate and tolerant», ein Land mit Mitgefühl und Toleranz.

Ziemlich weit oben auf der Prioritätenliste steht die Unabhängigkeit der USA von ausländischem Erdöl und Erdgas. Und das Ziel scheint erreichbar. Der «World Energy Outlook 2012» der Internationalen Energie-Agentur sieht die USA ab 2020 als «weltweit grössten Ölproduzenten» und ab 2030 sogar als Erdölexporteur. Obamas Politik der Senkung des Energieverbrauchs und der Einsatz neuer Technologien – zum Beispiel Öl aus Schiefer – tragen dazu bei.

Friedensorientierte Aussenpolitik nach US-Interessen

Das kann auch positive Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben. James Baker, von 1989 – 1992 US-Aussenminister unter George H.W. Bush, hat damals noch öffentlich festgestellt: «Der Mittlere Osten ins unser Interessengebiet, und wenn wir es für notwendig halten, werden wir auch intervenieren.» Die beiden Kriege gegen den Irak und die Intervention in Zentralasien (Afghanistan) haben gezeigt, was damit unter anderem gemeint war.

Unabhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten kann für Obama und die USA auch bedeuten: Unabhängigkeit von Zwang zur militärischen Intervention, um die Energiezufuhr für die amerikanische Industrie zu sichern. Oder, aus europäischer und mittelöstlicher Perspektive: Die Selbstversorgung der USA mit Energie kann zu einem abnehmenden Interesse der pazifischen Macht Amerika an den Zuständen im arabisch-israelischen Raum führen – und zu mehr Verantwortung und Last für Europa.

Klimapolitik als technologische Herausforderung

Weniger klar ist, ob die Autonomie der Energieversorgung auch ökologischen Nutzen bringt. Bisher setzt Obama vor allem auf neue Technologien: Weniger Benzinverbrauch, auch Aufbau der Produktion erneuerbarer Energie.

Die Gewinnung von Erdöl und Gas aus Sand und Schiefer im weiten Land der USA wühlt aber gewaltige Landschaften auf. Das besonders Treibhausgas Methan wird freigesetzt, das noch schädlicher ist als CO2. Und die teilweise krebserregenden Chemikalien, die zur Ölgewinnung eingesetzt werden, können sich im Erdreich und im Grundwasser ablagern. Kurz: der politisch-ökonomische Vorteil der Selbstversorgung wird mit erheblichen ökologischen Nachteilen und mit grossen Risiken erkauft.

In diesem Widerspruch bewegt sich der wiedergewählte Präsident. Er hat «dem Mittelstand und den Familien» versprochen, die Wirtschaft weiter anzukurbeln, und die Selbstversorgung mit Energie kann durchaus auch Arbeitsplätze wieder zurückbringen in die USA. Die Nähe der Produktion zu vergleichsweise kostengünstigen Energieressourcen ist vorteilhaft. Aber das Schadensrisiko für Mensch und Umwelt ist hoch.

Will der Präsident bei den Massnahmen gegen den Klimawandel wirklich liefern, wird er nicht nur die Unterstützung des New Yorker Bürgermeisters Bloomberg sondern auch die aktive Zustimmung der Bevölkerung brauchen.

Schuldenabbau und Mehreinnahmen von den Reichen

Bei der Budgetpolitik hat er diese Zustimmung offenbar. Bei einer Umfrage kurz nach der Präsidentschaftswahl waren 53 der Befragten der Meinung, die Republikaner seien schuld, wenn es keine Einigung gäbe. Lediglich 29 Prozent würden Obama die Schuld zuweisen, während 10 Prozent beide Seiten verantwortlich machen. – Und eine Mehrheit unterstützt Obamas Ziel, kein Budget zu unterschreiben ohne eine Steuererhöhung für die Reichsten. Offen bleibt, bei welchem Einkommen die Grenze für diese neuen Steuersätze zu ziehen ist.

Da auch die Republikaner Umfragen lesen, geht es bei den Budgetverhandlungen zuallererst darum, bei der Rangelei am «fiscal cliff» nicht selber über die Steuerklippe zu stürzen. Keiner will in die Rolle des Schuldigen zu geraten, wenn die Gespräche scheitern sollten, und keiner will allein für missliebige Entscheidungen stehen.. So haben beide Republikaner wie Demokraten nach dem ersten Treffen (am Freitag 16. November 2012) betont, wie konstruktiv die Gespräche zumindest über den Gesprächsrahmen doch verlaufen seien.

Aber da die Materie kompliziert ist und die Zeit knapp, hat der republikanische Fraktionschef John Boehner vorgeschlagen, kurzfristig die bestehenden Steuersätze erst mal zu verlängern, einschliesslich der «tax cuts» für die Reichsten. Er will zuerst nur einen provisorischen Budgetrahmen zu beschliessen. Die wirkliche Debatte über Steuererhöhungen und Einsparungen würde so auf das Jahr 2013 verschoben – eine Verschiebung, die dem Präsidenten den Schwung des Wahlerfolgs nehmen und den Republikanern wieder mehr taktischen Spielraum geben würde.

«Das hatten wir schon mal», heisst es aus dem Weissen Haus.

Und noch etwas: Die Budgetpolitik ist für den Präsidenten nicht nur eine Frage von Dollar und Cent. In seiner Sicherheitsstrategie definiert er ein finanziell und wirtschaftlich gesundes Amerika als eine wesentliche Bedingung für die Sicherheit des Landes – noch vor der militärischen Stärke.

Mobilisierung des Wahlkampteams

Kaum zurück vom Wahlkampf traf sich Obama in der Hauptstadt mit Gewerkschaftern und Vertretern der Zivilgesellschaft, um über sein politisches Programm zu sprechen: Neue Chancen für die illegalen Einwanderer – vor allem Hispanos, die ihn zu zwei Dritteln gewählt hatten -, Schaffung von Arbeitsplätzen und die Budgetverhandlungen. Die Gewerkschaften sicherten ihm dafür die gleiche Unterstützung zu wie bei der Präsidentschaftswahl.

Und in der gleichen Woche griff der Präsident zum Hörer für ein Konferenztelefon mit 30’000 seiner Wahlkampfaktivisten. Er rief sie dazu auf, ihre Arbeit fortzusetzen und bei den Budgetverhandlungen weiter Druck auf die Republikaner auszuüben. «Wir haben in der ersten Amtszeit gelernt, dass die Wahlen nur der Anfang und nicht das Ende der Arbeit sind.»

Er wies im gleichen Atemzug darauf hin, dass er bereit sei, bittere Pillen zu schlucken – die Einsparungen im Budget werden Sozialprogramme nicht verschonen –, und neben Erfolgen auch Frustrationen zu verarbeiten. Aber er selber werde klar die Richtung weisen und vor allem häufiger von Washington ins Land reisen, «weil es gut ist für meine Seele.» Und wohl auch für seine Politik.

Obamas Kavallerie bleibt einsatzbereit

Das Wahlkampf-Hauptquartier in Chicago bleibt mit einem kleinen Team besetzt, und die Aktivisten überall im Land werden mit der Technik ausgerüstet, die sie zur Kommunikation und Mobilisierung brauchen. Die Organisation der Wahl-Kampagne sei von Anfang auf lange Dauer angelegt gewesen, erklären Obamas führende Wahlkampfmanager.

Das ist «Change» bei Obama selber. Etliche Demokraten haben ihm vorgeworfen, dass er sich in der ersten Amtszeit vom Washingtoner Insider-Spiel habe einfangen lassen. Jetzt ist er offenbar bereit, mit den 30’000 Wahlkampf-Aktivisten weiter zu arbeiten und die Mailing-Liste der 13 Millionen Anhänger zu nutzen, um seiner Politik zum Durchbruch zu verhelfen.

Der wiedergewählte Präsident selber stellte bei seiner ersten Pressekonferenz als wiedergewählter Präsident fest, dass er von einem wichtigen Druck befreit ist: «Auf mich wartet keine weitere Wahl.»

Die nächsten zwei Jahre bis zu den Midterm-Wahlen des Senats 2014 dürften spannend werden. Danach beginnt traditionell die Zeit des Präsidenten als lahme Ente. Was Überraschungen nicht ausschliesst. Obama hat bereits 2010 gezeigt, dass er auch die «lame duck»-Periode zu nutzen versteht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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US-Wahlen 2012

Am 6. November wird nicht nur der Präsident, sondern auch der Kongress gewählt. Mit Folgen für die Welt.

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