Kommentar

CO2-Gesetz: Grossmäulig propagieren, kleinmütig agieren

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Strengeres Ziel, löchrige Mittel. Der Nationalrat beschloss ein bürokratisches CO2-Gesetz mit etlichen Unbekannten. Eine Analyse.

Es wäre aufschlussreich, alle 200 Mitglieder des Nationalrats nach getaner Arbeit zu befragen, was sie in der zweitägigen Debatte zur Revision des vielseitigen CO2-Gesetzes tatsächlich entschieden haben. Und was ihre Beschlüsse konkret bewirken, die sie in Dutzenden von Detailabstimmungen fällten. Die Fragen dürften manche in Verlegenheit bringen. Denn die Folgen dieser Gesetzesrevision sind keineswegs so klar, wie sie Radio, Fernsehen und Zeitungen gestern und heute kommunizier(t)en.

«Grüner und griffiger» – gemessen woran?

Die Mehrheit der Kommentatoren ist sich nach Abschluss der Beratungen im Nationalrat einig: Das CO2-Gesetz sei griffiger, die Klimapolitik grüner geworden. Für dieses Urteil führen sie folgende Eckpunkte ins Feld: Strengeres Ziel zur Reduktion der CO2-Emissionen im Inland, höhere Abgabe auf fossilen Brennstoffen, zusätzlich eine Abgabe von 12 Rappen pro Liter Treibstoff, neu eine Abgabe auf Flugtickets, strengere CO2-Vorschriften für Gebäude sowie neue Fahrzeuge. Ganz falsch ist dieses Urteil nicht, doch es ist zu relativieren und zu differenzieren.

Zur Relativierung: Mit der Revision des CO2-Gesetzes regelt die Schweiz ihre Klimapolitik für den Zeitraum von 2020 bis 2030. Gemessen am langfristigen Ziel, den CO2-Ausstoss bis 2050 netto auf null zu senken, ist dieser Zwischenschritt ungenügend. Die Fassung, die der Nationalrat jetzt beschlossen hat, folgt weitgehend dem Entwurf, den der Bundesrat schon Ende 2017 vorgespurt und der Ständerat im Herbst 2019 mit einigen zusätzlichen Mitteln, insbesondere der Flugticket-Abgabe ergänzt hat. Politisch Rechtsstehende und einige Wirtschaftsverbände, denen schon die bisherige Klimapolitik zu weit geht, lehnen die Gesetzesrevision rundweg ab und werden wohl das Referendum dagegen ergreifen. Für Linke und Grüne ist das Gesetz weiterhin zu wenig streng, aber besser als das bisherige. CVP und FDP folgten – mit partiellen Abweichungen – den Beschlüssen der Mehrheit.

Grossmäuliges Ziel: Ohne Gewähr

Damit kommen wir zur Differenzierung – und zu einigen Informationen, die andere übersehen.

Beginnen wir beim Ziel: Bundes- und Ständerat verlangen in Artikel 3, die Treibhausgase seien bis 2030 um 50 Prozent unter den Stand von 1990 zu senken. Dabei sollten mindestens 60 Prozent dieser Reduktion im Inland erfolgen, der Rest mittels Emissionszertifikaten, also Ablasshandel, im Ausland. Der Nationalrat erhöht diesen Inlandanteil jetzt auf 75 Prozent, das heisst: Bis 2030 muss die Schweiz ihre Treibhausgase allein im Inland um 37,5 Prozent unter das Niveau im Jahr 1990 vermindern.

Zum Vergleich: Von 1990 bis 2018, also innerhalb von 28 Jahren, reduzierte die Schweiz ihre Treibhausgase im Inland lediglich um 14 Prozent. In nur 12 weitern Jahren soll sie diese Emissionen laut Nationalrat nun um weitere 26 Prozent vermindern, also in weniger als der Hälfte der Zeit annähernd doppelt so stark. Dieses Ziel ist zumindest ambitiös. Doch es besteht keine Gewähr, dass es erreicht wird. Denn in Schweizer Gesetzen – von der Energie über den Alpen- bis zum Gewässerschutz – wimmelt es von unerfüllten Zielen. Und kein Parlamentsmitglied muss Sitzungsgeld zurückzahlen, falls die Ankündigungen verfehlt werden.

Höhere Abgaben auf Brenn- und Treibstoff: Im Nebel

Verbindlicher als Ziele sind Mittel, die ergriffen werden, um gesetzte Ziele zu erreichen. So beschloss nach dem Ständerat gestern auch der Nationalrat, dem Bundesrat die Kompetenz zu geben, das Maximum der bestehenden CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen von bisher 120 auf 210 Franken pro Tonne CO2 zu erhöhen. Ob und wann der Bundesrat diese Kompetenz nutzen wird, bleibt im Nebel. Heute beträgt die Brennstoff-Abgabe 96 Franken pro Tonne CO2, was zeigt: Schon das bisherige tiefere Maximum von 120 Franken schöpfte die Regierung nicht aus.

Noch grösser ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis bei der Förderabgabe auf Treibstoffen, besser bekannt unter dem alten Namen «Klimarappen» (den die Erdöllobby erfand, um eine Lenkungsabgabe zu bekämpfen). Die maximale Höhe dieser Abgabe setzten beide Parlamentskammern von bisher maximal 5 Rappen – zeitlich gestaffelt – auf maximal 10 respektive 12 Rappen pro Liter Benzin oder Diesel hinauf. Darauf berichteten gestern viele elektronische Medien, der Nationalrat habe eine Treibstoffabgabe von 12 Rappen beschlossen.

Diese Komplexitäts-Reduktion ist aus mehreren Gründen voreilig: Seit Jahren beträgt die Förderabgabe auf Treibstoff 1,5 Rappen pro Liter Benzin oder Diesel, also nur ein Drittel so viel, wie schon nach heutigem Gesetz möglich wäre. Denn diese bescheidene Abgabe reichte bisher, um das Zuviel an CO2, das aus den Auspufftöpfen von Autos in die Atmosphäre pufft, mit CO2-Reduktionsprojekten im In- und Ausland zu kompensieren. Diesen Kompensationshandel besorgt die «Stiftung Klimaschutz und Kompensation», abgekürzt KliK. Auf die Frage von Infosperber, ob die Erhöhung von heute 1,5 auf 10 oder 12 Rappen tatsächlich nötig sei, um künftige Kompensationspflichten zu erfüllen, antwortete KliK-Geschäftsführer Marco Berg: «Wir werden alles tun, um genügend CO2 kompensieren zu können, ohne den Ansatz von 10 Rappen ausschöpfen zu müssen.»

Dabei ist, und hier wird die Sache nochmals nebulöser, bisher nicht bekannt, wieviel CO2 die Treibstoff-Importeure künftig kompensieren müssen. Denn ein Sektorziel für den Bereich Verkehr als Grundlage für diese Kompensationsmenge muss der Bundesrat erst noch festlegen. Die Höhe der künftigen Treibstoffabgabe ist also eine Grösse, die aus mehreren Unbekannten festgelegt wird.

Verzögerung bei CO2-Regulierungen

Neben Zielen sowie unterschiedlichen Abgaben auf Brenn-, Treibstoff und Flugtickets enthält das umfangreiche CO2-Gesetz eine Flut von Regulierungen. Dazu gehören etwa die Vorschriften zur Begrenzung des CO2-Ausstosses von neuen Personen- und Lieferwagen (deren Löcher Infosperber am 19. Dezember 2019 beschrieb) oder Vorschriften im Gebäudebereich für saumselige Kantone.

Diese Gebäude-Vorschriften verfolgen unter anderem das Ziel, den Ersatz von alten Ölheizungen nur noch in energieeffizienten Häusern zu erlauben. In diesem Bereich aber agierte der Nationalrat gestern zögerlicher als der Ständerat, indem er die Fristen mit Rücksicht auf die Auto- und Erdöllobby hinausschob. Zudem erweiterte er den Kreis der Firmen, die sich mit bürokratischen Zielvereinbarungen von der CO2-Abgabe auf Brennstoff befreien können.

Mit diesen und weiteren Beschlüssen verwässerte der Nationalrat das CO2-Gesetz im Vergleich zur ständerätlichen Fassung. Die damit nötige Differenzbereinigung dürfte das Inkrafttreten des revidierten Gesetzes weiter verzögern, ebenso das von der SVP angekündigte Referendum.

Alles in allem lässt sich heute folgern: Die Klimapolitik des Nationalrats ist weniger grün, als sie scheint.

Weitere Artikel zu diesem Thema auf Infosperber:

– «Das CO2-Gesetz – und die Chance, die das Parlament verpasst»

– DOSSIER: «Die Klimapolitik kritisch hinterfragt»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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Eine Meinung zu

  • am 12.06.2020 um 08:51 Uhr
    Permalink

    Die Lobby und Freunde der Privatisierung und der Konzerne werden versuchen, «den Schaden» für ihre Klientel so klein wie möglich zu halten, womit der wirkliche Schaden für die Menschen und ihre Gesundheit schlussendlich viel grösser ausfallen wird als nötig – kurz: Das Geld und der Profit von Wenigen ist leider immer noch die unbestrittene Nummer 1 in der Schweizer Politik.

    Schon klar, dass man dann die Erfolge in Sachen Klima und Umbau der Gesellschaft in China nicht sehen will – aber diese sind unbestreitbar real und bewundernswert.

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