Kommentar

Stummer Schrei aus dem Maisfeld

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Der Autor ist freier Journalist und lebt in Argentinien. (Der Artikel ist in einer gekürzten ©

Romano Paganini /  Agrarchemikalien von Weltkonzernen greifen in Südamerika Umwelt und Gesundheit an. In Europa und den USA bleibt das Thema tabu.

An den Generalversammlungen von Syngenta, Bayer, BASF, DowChemical und Monsanto werden Agrarchemikalien erst beim Essen der Pausen-Häppchen real. Dann nämlich spielen die zuvor erwähnten Statistiken und Erfolgsrechnungen zum Geschäftsjahr 2012 keine Rolle mehr und die Aktionäre der Agrarchemieindustrie treten in physischen Kontakt mit ihren Produkten. Wieviel Glyphosat, 2,4D oder DDT wohl in den Käse- und Schinkencanapées steckt, die in Basel, Leverkusen und Ludwigshafen serviert werden?

Was unsichtbar in den Organismus der Aktionäre gelangt, gehört auf dem Feld und in den Gewächshäusern der industriealisierten Landwirtschaft zum sichtbaren Alltag. Die dort eingesetzten Herbizide, Pestizide und Fungizide sollen all das töten, was das Wachstum von Soja, Mais und Baumwolle, aber auch von Äpfeln, Birnen, Erdbeeren oder Kiwis einschränken könnte. Die Chemikalien, so sagen Syngenta&Co., haben bei korrekter Applikation keinerlei Folgen für Mensch und Umwelt. Damit verschweigen die Konzerne nicht nur Studien, die das Gegenteil beweisen, sie drücken gleichzeitig auch ihr Verständnis von Natur aus – worin Larven, Käfer und Wanzen keinen Platz haben. Für die Agrarchemieindustrie ist Natur, was Aktien für ihre Aktionäre sind: eine Geldanlage.

Lebensgrundlage der Menschen

Doch Natur ist Lebensgrundlage. Was schon vor Jahrzehnten ein paar aufmerksame BürgerInnen erkannten – in den Medien nannte man sie UmweltschützerInnen – ist heute Teil des öffentlichen Bewusstseins. Deshalb können sich Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut (GMO) und Agrarchemikalien wie Syngenta&Co. nicht mehr hinter den Fassaden ihrer Hauptsitze in Europa und Nordamerika verstecken und darauf hoffen, dass niemand etwas merkt. Zu offensichtlich ist ihr Anteil an der Zerstörung besagter Lebensgrundlagen: sei das durch die Verseuchung fruchtbarer Erde, die Kontamination biologischen Saatguts durch GMO’s oder die Abholzung von Wäldern, um neue Landwirtschaftsflächen zu erschliessen. Hinzu kommen die durch Patente erzwungenen Knebelverträge, bei denen Mais- oder Soja-Produzenten nur zwei Möglichkeiten haben: Sie erfüllen die Konditionen der Herstellerfirmen oder sie sind weg vom Fenster.

Journalist wird versprüht

Über dieses Vorgehen sind in Agrarexportländern wie Argentinien nur aufmerksame BürgerInnen informiert. Oder betroffene Bevölkerungsschichten, wie in Cordoba. Dort wehrten sich während Jahren die BewohnerInnen gegen das Sprühen von Glyphosat und Endosulfan vor ihrer Haustüre; im betroffenen Quartier kam es zu erhöhten Krebsraten und zu Missbildungen bei Neugeborenen. Im August vergangenen Jahres wurden schliesslich ein Sojaproduzent und ein Pilot zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt, weil sie gesundheitliche Schäden der Bevölkerung billigend in Kauf genommen haben. Es war das erste Urteil dieser Art in Lateinamerika.

Ein paar Monate später drangen die Agrarchemikalien dann in die argentinische Hauptstadt. Wortwörtlich. Im Hafen von Buenos Aires explodierte kurz vor Weihnachten ein Container mit Thiodicarb, einem Insektizid von Bayer. Während Stunden lag eine dunstige Wolke über der Metropole; ganze Stadtteile mussten evakuiert werden, Tausende klagten über Atemprobleme, Halsschmerzen und Schwindelgefühle. Die Chemikalie war unterwegs nach Paraguay; in Europa ist Thiodicarb verboten.

Wenige Wochen später stand der Journalist und Bürger Oscar Alfredo Di Vincensi filmend vor der Sprühmaschine des Sojaproduzenten Juan Manuel Zunino im Städtchen Alberti und forderte ihn auf, den gesetzlich festgeschriebenen Mindestabstand von 1000 Meter zu bewohntem Gebiet einzuhalten. Als sich der Journalist kurz wegdreht, drückt Zunino auf das Gaspedal und fährt mit der Sprühmaschine über den Kopf des Journalisten (siehe Link unten). Di Vincensi musste im Spital behandelt werden.

Die Neo-Kolonialherren

Konfrontationen wie jene in Alberti sind Alltag in den Monokulturen Lateinamerikas. Die Menschen, sofern informiert, kämpfen seit Jahren um ihr Land und ihre Gesundheit oder wenigstens um die Einhaltung von Gesetzen – auch wenn diese keinen Sinn machen. Wie will man das Sprühen von schädlichen Substanzen gesetzlich verankern? Konzerne wie Syngenta&Co. kennen diese politisch fragilen Strukturen mit ihren leicht korrumpierbaren PolitikerInnen und verhalten sich ähnlich wie einst die Kolonialherren: Sie verunsichern die lokale Bevölkerung mit Falschinformationen und beuten dann über ihre Mittelsmänner die Ressourcen aus.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde das Silber von Potosí abgezügelt, im 18. und 19. Nahrungsmittel wie Fleisch oder Getreide und heute all das, was potenzielle Geldanlage ist: Gold, Kupfer, Eisen, Litium, Wasser, Fleisch, Getreide oder Öl. Den Herren im Norden – früher stammten sie aus Königsreichen oder Ländern, heute aus Grosskonzernen – ist dabei jedes Mittel Recht. Auch der Verkauf von Produkten, die in Europa verboten sind. Hauptsache, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsenen Machtverhältnisse können aufrechterhalten werden. Ein bisschen Anarchie wie in Alberti kommt da gerade recht. Sie lenkt von den Hintergründen ab. Und die sind bemerkenswert.

DDT der Basler Geigy als Vorläufer

Die Meeresbiologin Rachel Carson fragte bereits 1962 in ihrem Buch «Silent Spring» (»Der stumme Frühling»): «Wie nur konnte ein intelligentes Wesen ein paar unerwünschte Arten von Geschöpfen mit einer Methode bekämpfen, die auch die gesamte Umwelt vergiftet und selbst die eigenen Artgenossen mit Krankheit und Tod bedrohte.» Sie bezieht sich damit auf DDT, das zu dieser Zeit weltweit am meisten eingesetzte Insektizid. DDT stammte aus dem Hause Syngenta (damals J.R. Geigy AG) und Entdecker Paul Hermann Müller wurde 1948 dafür mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.

Wenige Jahre später waren die negativen Folgen von DDT unübersehbar, etwa das Fischsterben durch verseuchtes Grundwasser. Zudem gelangte die Chemikalie durch ihre lange Halbwertszeit in die Nahrungsmittelkette und tötete nicht nur Larven, Käfer und Wanzen, sondern auch Nagetiere und Vögel, die die kontaminierten Tiere frassen. In den USA, so schreibt Carson, blieben ganze Landstriche stumm. Ausserdem lagerte sich DDT im menschlichen Fettgewebe ab und gelangte so auch in die Muttermilch. Die Chemikalie wurde nach langen Protesten Anfang der Siebziger Jahre in den meisten westlichen Industriestaaten verboten. Offiziell. Inoffiziell wird DDT nach wie vor gehandelt und eingesetzt. Wenigstens ausserhalb von Europa.

Aufstieg und Fall

Dieser Widerspruch zwischen Aufstieg und Fall einer Chemiekalie scheint Teil der Strategie von Syngenta&Co zu sein: Zuerst wird ein neues Produkt auf den Markt gebracht, ohne es vorher auf seine Langzeitwirkung untersucht zu haben. Dann wird es als Allheilsmittel verkauft, um es nach ein paar Jahren, wenn der Schaden unübersehbar und die Empörung in der Bevölkerung unüberhörbar geworden ist, verbieten zu lassen. Was mit DDT geschah, geschah später mit Paraquat (Syngenta) oder mit Endosulfan (Bayer) – zumindest offiziell.

Inoffiziell wird gehandelt und gesprüht, was das Überleben im globalisierten Kapitalismus ermöglicht. Die Allheilsmittel heissen heute 2,4-D (Monsanto) oder Glyphosat (Cilag Schaffhausen, später Monsanto) und haben ähnliche Folgen wie früher DDT. 2,4-D war Bestandteil des im Vietnamkrieg eingesetzten Entlaubungsmittels Agent Orange; zu Glyphosat liegen unlängst Studien von Forschern aus Argentinien, Frankreich und zuletzt Deutschland vor (siehe Link unten), die dessen negative Konsequenzen auf Mensch und Umwelt belegen. Und wer diesen nicht glaubt, dem sei eine Reise in eine der Monokulturen zwischen Pakistan, Burkina Faso und Argentinien empfohlen. Die Bezeichnung «versteckter Genozid», wie betroffene ArgentinierInnen das Geschehen bezeichnen, erscheint da plötzlich nicht mehr so unglaublich.

Es fehlt eine breite öffentliche Diskussion

Es spricht nicht für den Fortschritt des von Rahel Carson beschriebenen «intelligenten Wesens», wenn es vierzig Jahre nach DDT noch immer auf Produkte setzt, die seine eigene Lebensgrundlage gefährdet. Und es spricht nicht für das Funktionieren einer Zivilgesellschaft, wenn Firmen wie Syngenta, Bayer oder BASF – die drei grössten Produzenten von Pestiziden weltweit – ihre Hauptsitze in Ländern haben, in denen Werte wie Demokratie, Umwelt oder Menschenrechte hochgehalten werden, ohne dass sich dort Widerstand regt wie in Cordoba oder Alberti. Das sogenannte Umwelt-Bewusstsein scheint zwar vorhanden. Doch eine breite öffentliche Diskussion über die herrschenden Produktionsmethoden in der Landwirtschaft – also über einen wesentlichen Teil der menschlichen Lebensgrundlage – findet möglicherweise erst statt, wenn das «intelligente Wesen» merkt, dass man Geld nicht essen kann.

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Lesen Sie vom gleichen Autor:
«Grünes Gold benebelt Argentinien». 7.10.2012
«Gensoja-Anbau: Ähnliche Gifte wie im Vietnam-Krieg». 29.6.2012
Lesen Sie von Urs P. Gasche:
«Gerichtsurteil: Gensoja von Monsanto ist schuld».

Dieser Beitrag erschien in «JungeWelt.de»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist freier Journalist und lebt in Argentinien. (Der Artikel ist in einer gekürzten Version zuerst in der "Jungen Welt" erschienen.)

Zum Infosperber-Dossier:

Glyphosat

Der Unkraut-Killer Glyphosat

Das in Landwirtschaft (mit «Roundup-Ready»-Saatgut) und Hobbygärten versprühte Herbizid ist in der Kritik.

GVOLogo

Pro und Contra Gentechnik

Genveränderte Nahrungs- und Futtermittel: Was ist erlaubt, was verboten. Wer haftet für Langzeitschäden?

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2 Meinungen

  • am 2.04.2013 um 05:25 Uhr
    Permalink

    Vergangene Woche habe ich auf irgendeinem TV-Sender einen Bericht über den von Syngenta gepuschten Golden-Rice gesehen, der gegen bestimmte Mangelkrankheiten helfen soll und mit allem Nachdruck auf den Philippinen eingeführt werden soll, obwohl nachgewiesen diese Mängel auf den Philippinen nicht bestehen und der Rice z.B. in Indien viel hilfreicher wäre. Es verschlägt einem die Sprache.

  • am 2.04.2013 um 08:12 Uhr
    Permalink

    Lieber Romano,
    danke für die im besten Sinne engagierten Berichte aus der Zone, wo unsere Konzerne noch ohne grünen Anstrich agieren – und auch für die Erinnerung an und Würdigung von Rahel Carson. Herzlich haste

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