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Doris Leuthard: «Die Stromproduzenten möchten natürlich Strom verkaufen.» © srf

Finanzierung der Energiewende hängt in der Luft

Hanspeter Guggenbühl /  Die heutige Regulierung hemme Investitionen in neue Kraftwerke und gefährde die Stromversorgung. Das kritisiert die Strombranche.

Die Atomkatastrophe in Japan brachte – auf dem Papier – eine Wende in der Schweizer Energiepolitik: Bundesrat und Parlament beschlossen letztes Jahr ein Verbot von neuen Atomkraftwerken, den Umstieg auf erneuerbare Energie und Gaskraftwerke sowie eine Reduktion von CO2 und andern klimawirksamen Gase. Gleichzeitig verschob Energieministerin Doris Leuthard die Öffnung des Schweizer Strommarktes aufs Jahr 2015.

Ohne Markt keine Investitionen

Eine Mitwirkung an dieser neuen Energiepolitik habe die Strombranche «vergeblich angeboten». Das beklagt Kurt Rohrbach, Präsident des Verbandes Schweizer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und Chef des Stromproduzenten BKW. In seiner «Standortbestimmung» am jährlich stattfinden VSE-Stromkongress in Bern kritisierte Rohrbach am Montag folgende politischen Rahmenbedingungen:

o Der Umstieg von Atom- auf erneuerbare Energie und Gaskraft erfordert in den nächsten Jahrzehnten Investitionen in neue Kraftwerke und Stromnetze, die sich in dreistelliger Milliardenhöhe bewegen. Diese würden nur getätigt, wenn sie wirtschaftlich sind. Die heutige Regulierung des Strommarktes verhindere diese Investitionen, erklärte Rohrbach. Dazu verwies er insbesondere auf eine umstrittene Bestimmung in der heutigen Stromverordnung. Demnach müssen die Stromversorger alle Verbraucher, die auf eine Teilnahme am – nur teilweise geöffneten – Schweizer Strommarkt verzichten, zu Selbstkosten beliefern. Weil die internationalen Marktpreise höher sind, bleiben heute auch marktzutrittsberechtigte Grossverbraucher dem Strommarkt fern. Diese Regelung, so sagte Rohrbar jage jedem Investor «den kalten Schauer über den Rücken» und sei «Gift für die langfristige Versorgungssicherheit».

o Die vollständige Öffnung des Schweizer Strommarktes sei darum «endlich zu vollziehen», forderte Rohrbach. Auch für das Stromabkommen mit der EU, das die Strombranche anstrebt, und das Bundesrätin Doris Leuthard noch im laufenden Jahr 2012 abschliessen möchte, müsse die Schweiz ihren Strommarkt liberalisieren. Diese inländische Marktöffnung, so erklärte Gastrednerin Doris Leuthard am VSE-Kongress, lasse sich aber frühestens 2015 realisieren; ursprünglich sollte der Schweizer Strommarkt spätestens 2014 auch für Kleinverbraucher geöffnet werden. .

Hemmnisse für neue Kraftwerke

In der Luft hängt laut Strombranche auch der Umstieg auf erneuerbare Energie und Gaskraftwerke, mit denen der Bundesrat die Atomenergie ersetzen soll: Bei den heutigen Vorschriften, die einen Ausgleich zwischen Nutz- und Schutzinteressen anstreben, seien die bundesrätlichen Ausbauziele für die Verstromung von Wasserkraft und weiteren erneuerbaren Energien «unrealistisch». Für neue inländische Gaskraftwerke, so erklärte Rohrbach weiter, gebe es unter den heutigen Bedingungen (hundertprozentige CO2-Kompensation) ebenfalls «keine wirtschaftliche Grundlage». Und Investitionen für den Aus- und Umbau der Stromnetze scheiterten an der Praxis der Elektrizitätskommission, die als Regulator die Netztarife tief halte.

Die Standortbestimmung des Stromverbands-Präsidenten stand in deutlichem Kontrast zum Ausblick, den Bundesrätin Doris Leuthard der versammelten Strombranche präsentierte. In ihrem Tour d’horizon sprach die Energieministerin alle hängigen Fragen der globalen und nationalen Energiepolitik an, konkretisierte wenig und verbreitete die Hoffnung, mit Fortschritten in Forschung und Technik lasse sich die Energiewende vollziehen. Für Investoren stelle die Stromversorgung einen vielversprechenden «Wachstumsmarkt» dar, erklärte Leuthard weiter. Zweifel an diesem Optimismus äusserte TV-Journalist Kurt Aeschbacher, der den VSE-Kongress moderierte und mit Blick auf die gesunkenen Aktienkurse der Stromunternehmen erklärte: «Mit Investitionen in die Strombranche habe ich viel Geld verloren.»


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Eine Meinung zu

  • am 18.01.2012 um 16:06 Uhr
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    Ohne Markt keine Investition? – das kann schon sein. Umgekehrt, wo ein Bedarf, da entsteht ein Markt. Und wenn der (verzerrte) Markt nicht funktioniert, der Bedarf nicht mehr gedeckt werden kann… dann spätestens braucht es bessere Regulierungen. Die Verschwendung eindämmen, damit der Grundbedarf gedeckt werden kann. Die Mengenrabatte müssen endlich weg!
    Wie steht es mit den Investitionen in die Sicherheit und Endlagerung? Gibt es da einen Markt? Glaube nicht, also deshalb keine genügenden Investitionen? Rückstellungen zur Bewältigung eines GAU? auch da gibt es leider keinen Markt… der doch alles regeln würde, Halleluja!

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