Power_plant_goesgen_80x60mm_300dpi_cmyk1-2

AKW Gösgen: Kann mit einem Langzeit-Betriebskonzept unbefristet weiter dampfen © Alpiq

Nationalrat spielt in der Atomfrage auf Zeit

Hanspeter Guggenbühl /  Der Nationalrat will die Laufzeit der alten AKW nicht beschränken. Ausnahme: Das AKW in Beznau. Neue AKW aber werden verboten.

Rund 20 Stunden debattierte der Nationalrat über die Vorlage zur «Energiestrategie 2050». Die gestrigen Atombeschlüsse bildeten den emotionalen Höhepunkt und Abschluss. Dabei setzte sich die Mehrheit der vorberatenden Kommission in den meisten Punkten durch:

  • Neue Atomkraftwerke werden verboten, wie das der Bundesrat und beide Parlamentskammern schon 2011 und 2012 beschlossen hatten. Diesen Entscheid bestätigte der Nationalrat gestern mit 115 gegen 77 Stimmen deutlich.
  • Ebenfalls verboten wird die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennstäben.
  • Die bestehenden Atomkraftwerke dürfen nach einem «Langzeit-Betriebskonzept» im Zehn-Jahres-Rhythmus weiter laufen, «solange die Sicherheit gewährleistet ist»; die Formulierung «steigende Sicherheit» wurde abgelehnt. Die Betreiber müssen dazu zwei Jahre vor Ablauf von 40 Betriebsjahren ein Betriebskonzept für die folgenden zehn Jahre einreichen. Dieses Prozedere kann für die (noch nicht 40-jährigen) AKW Gösgen und Leibstadt alle zehn Jahre wiederholt werden. Theoretisch können diese beiden grossen Atommeiler damit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weiter betrieben werden.

Lebensdauer der AKW Beznau wird befristet
In einem wesentlichen Punkt aber wich der Nationalrat von der Mehrheit seiner Energiekommission ab: Die Laufzeit der ältesten Schweizer Atomkraftwerke in Beznau und Mühleberg wird befristet auf maximal 60 Jahre. Für Mühleberg ist das allerdings bedeutungslos, nachdem die BKW Energie AG als Betreiberin bereits früher beschlossen hat, diesen Meiler 2019, also nach 47-jähriger Betriebszeit, abzuschalten. 
Relevant ist die Befristung hingegen für die Reaktoren Beznau I und Beznau II, die der Axpo gehören. Der Entscheid dazu ergibt sich aus einem Minderheitsantrag von CVP-Nationalrat Karl Vogler zu den Übergangsbestimmungen. Diesem Mitte-Links-Antrag, der so kompliziert ist, dass ihn möglicherweise nicht alle Abstimmenden verstanden haben, stimmte der Nationalrat mit 101 gegen 94 Stimmen zu.
Gemäss diesem Antrag müssen die Betreiber der heute schon über 40-jährigen AKW ihr Langzeit-Betriebskonzept bis zwei Jahre vor dem 50. Betriebsjahr einreichen. Dieses Langzeitbetrieb gilt dann aber nur einmal für zehn Jahre, also bis zum 60. Altersjahr. Beznau I kann damit noch bis 2029, Beznau II bis 2031 laufen. Die Betreiber der AKW Gösgen und Leibstadt hingegen können ihr Betriebskonzept «für jeweils (also immer wieder) zehn weitere Jahre einreichen», was theoretisch einer unbegrenzten Lebensdauer gleichkommt.
Rechte und linke Niederlagen
«Das Glas ist halbvoll», kommentierte der Grünliberale Martin Bäumle nach den Beschlüssen der Ratsmehrheit. Denn abgelehnt wurden sowohl rechte wie linksgrüne Minderheitsanträge. Beispiele:
Die Rechte, bestehend aus SVP, FDP und einigen CVP-Abweichlern, will den Atomausstieg abschwächen. Sie stimmte gegen das Verbot von neuen Atomkraftwerken und für den unbefristeten Weiterbetrieb aller alten Atomkraftwerke gemäss bisherigem Gesetz.
Die linksgrüne Minderheit hingegen strebt einen schnelleren Ausstieg an. Ein Antrag von Martin Bäumle verlangte, dass die Laufzeit von allen bestehenden Atomkraftwerken auf 60 Jahre befristet wird. SP-Mann Max Chopard beantragte, die Laufzeit der AKW Beznau und Mühleberg auf 50 Jahre zu befristen – und unterlag ebenfalls. Die linksgrüne Minderheit wird darum heute dem Volk wohl empfehlen, die grüne Ausstiegs-Initiative anzunehmen, welche die Laufzeit aller AKW auf 45 Jahre begrenzt.
Nächste Station: Ständerat
In der Gesamtabstimmung stimmte der Nationalrat der umfangreichen Energiestrategie mit 110 gegen 84 Stimmen zu; die unterlegene Minderheit setzte sich aus FDP- und SVP-Leuten zusammen. Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Dieser wird frühestens im Juni darüber debattieren – und wohl erneut über zahlreiche Mehr- und Minderheitsanträge abstimmen.

Nachtrag: Nein zur Ausstiegs-Initiative

Heute Mittwochmittag beschloss der Nationalrat mit 120 gegen 71 Stimmen, dem Volk die grüne Atom-Ausstiegs-Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Für die Initiative stimmten neben Grünen und SP auch die Grünliberalen, während die übrigen bürgerlichen Fraktionen geschlossen dagegen stimmten.
Dieser Entscheid war zu erwarten; er fiel aber im Nationalrat weniger deutlich aus als in der vorberatenden Energiekommission (16 zu 8 gegen die Initiative). Dem Beschluss der Abstimmungsparole ging eine vierstündige Atomdebatte voraus, an der sich vor allem die linksgrünen AKW-Gegnerinnen mit engagierten und teils gefühlvollen Voten profilierten. Auch über diese Vorlage wird noch der Ständerat entscheiden. Falls dieser in der Vorlage zur Energiestrategie eine Befristung der AKW-Laufzeit beschliessen sollte, ist ein Rückzug der Initiative möglich.

DIE ATOMKRAFTWERKE IN DER SCHWEIZ
In der Schweiz sind heute fünf Atomkraftwerke (AKW) in Betrieb. Das Älteste, Beznau I, ist 45 Jahre alt, das jüngste, Leibstadt, 30-jährig. Alle AKW zusammen produzieren – bei jährlichen Schwankungen – rund 25 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) Strom pro Jahr. Das entspricht einem Anteil von knapp 40 Prozent am (ebenfalls jährlich schwankenden) Stromverbrauch in der Schweiz. Der Anteil des Atomstroms ist im Winterhalbjahr höher, weil die AKW in der Regel im Sommer während einigen Wochen revidiert werden.
Nachstehend die wichtigsten Daten zu den Schweizer Atomkraftwerken, gegliedert nach Alter:

  • AKW Beznau I, in Betrieb seit 1969. Installierte Leistung 365 Megawatt (MW), Produktion im Jahr 2013: 3,012 Mrd. kWh.
  • AKW Beznau II, in Betrieb seit 1971. Leistung 365 MW, Produktion 2013: 2,846 Mrd. kWh.
  • AKW Mühleberg, in Betrieb seit 1972. Leistung 373 MW, Produktion 2013: 2940 Mrd. kWh.
  • AKW Gösgen, in Betrieb seit 1979. Leistung 985 MW, Produktion 2013: 6,382 Mrd. kWh.
  • AKW Leibstadt, in Betrieb seit 1984. Leistung 1220 MW, Produktion 2013: 9,691 Mrd. kWh.

Beim Bau der Schweizer Atomkraftwerke rechnete man anfänglich mit einer Lebensdauer von 30, später von 40 Jahren. Die Szenarien, die der Energiestrategie zugrunde liegen, rechneten – unverbindlich – mit einer Laufzeit von 50 Jahren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 9.12.2014 um 20:39 Uhr
    Permalink

    Die Sicherheit als Kriterium wäre schon richtig. ABER, wer kann die Sicherheit denn überhaupt verlässlich garantieren? Prinzipiell kann das niemand. Bis diese Erkenntnis Allgemeingut wird, muss dringend das ENSI gestärkt und von Filz befreit werden. Wie macht «man» das?

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...