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Riedberg-Tunnel bei Gampel-Steg: Die Baustelle ruht seit sieben Jahren © A9

Autobahn im Oberwallis: Sizilianische Verhältnisse

Kurt Marti /  Das blamable Resultat jahrelanger Miss- und Vetternwirtschaft im CVP-dominierten Wallis: Knapp 3 Kilometer Autobahn in 40 Jahren.

Was die Umweltorganisationen mit der Alpen-Initiative nicht schafften, ist dem Walliser Baudepartement bis heute gelungen: Die Verhinderung einer vierspurigen Autobahn durchs Oberwallis. Von den geplanten 32 Kilometern sind bis heute knapp 3 Kilometer zwischen Visp und Brig befahrbar, obwohl vom Gesamtbudget von 4,1 Milliarden Franken bereits 1,5 Milliarden verbaut sind. Das aktuelle A9-Chaos im Oberwallis in Kurzform:

  • Die Arbeiten am Riedberg-Tunnel bei Gampel-Steg stehen seit sieben Jahren still, weil die Geologie des Berghanges ungenügend abgeklärt wurde.
  • Im Tunnel bei Visp wurde so miserabler Beton eingesetzt, dass ein Tunnelkilometer neu ausbetoniert werden muss.
  • Im Pfynwald dauerten die Planungsarbeiten so lange an, dass mittlerweile die veränderten Normen eine Revision und Neuauflage der Planung erfordern.
  • Beim Tunneleinschnitt Turtmann hatte man nicht mit dem Grundwasser gerechnet; mitten in der Talebene neben der Rhone!
  • Bei der Auftragsvergabe des Tunnels bei Visp hat der Walliser Staatsrat das Vergabegesetz krass missachtet. Einmal mehr! Weitere Verzögerungen sind die Folge.
  • Seit einem halben Jahr steht das kantonale Amt für Nationalstrassenbau ohne Chef da, weil niemand den Schleuderjob übernehmen will.

Das Ende der Autobahn wagt niemand zu prophezeien

Angesichts solcher Missstände sahen sich die Autobahn-Verantwortlichen einmal mehr gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Am letzten Montag traten der Walliser CVP-Staatsrat Jacques Melly und der Vize-Direktor des Bundesamtes für Strassen (ASTRA), Jürg Röthlisberger, vor die Medien, um die Gemüter zu beruhigen. Melly sprach von einer «schwierigen Situation» und von «Vertrauensverlust». Wann die Autobahn fertig gebaut sein wird, wagte Melly nicht zu prophezeien. Bei gleichbleibendem Tempo könnte es noch Jahrzehnte dauern.

Die regionalen Medien übernahmen brav die Begründungen der Autobahn-Verantwortlichen: Der Berg und das Grundwasser sind Schuld an der Misere, ferner die Umweltorganisationen, die Ingenieurbüros und schliesslich das Vergabeverfahren. Diese Faktoren spielten zweifellos eine Rolle, aber der tiefere Grund liegt im politischen Mehrheitssystem der CVP und damit in der Miss- und Vetternwirtschaft, der Unfähigkeit und Unbelehrbarkeit von Beamten und Politikern sowie in der fehlenden öffentlichen Kritik durch die regionalen Medien.

Die beiden Hauptverantwortlichen für das heutige Autobahn-Chaos im Wallis heissen Jean-Jacques Rey-Bellet (CVP-Staatsrat und Chef des Baudepartementes 1997 – 2009) und Albert Fournier (Chef der Dienststelle für Strassen- und Flussbau 2000 – 2011). Dies soll an drei Fällen exemplarisch aufgezeigt werden:

1. Fall: Bundesgericht stoppt Willkür im Baudepartement

Im Herbst 2004 wurden Rey-Bellet und Fournier vom Bundesgericht brüsk zurückgepfiffen, weil sie die Planungsarbeiten für das Autobahnteilstück im Pfynwald «willkürlich» dem teuersten Anbieter zugeschanzt hatten. Das Solothurner Planungsbüros BSB + Partner AG zog trotz bester Qualifikation und dem günstigsten Angebot haushoch den Kürzeren gegen das Walliser Konsortium mit den beiden Alt-CSPO-Ständeräten Peter Bloetzer und Daniel Lauber. Es roch nach Heimatschutz. Statt drei Millionen wollte der Kanton Wallis seinen Günstlingen rund 4,5 Millionen hinblättern.

Nicht nur die Walliser Regierung spielte bei dieser Heimatschutz-Variante mit, auch die Walliser Justiz stand hilfreich zur Seite. Das von CVP-Richtern dominierte Walliser Kantonsgericht schmetterte eine Beschwerde des unterlegenen Konsortiums ohne viel Federlesen ab. Vor dem Bundesgericht jedoch hatte der Walliser Heimatschutz keine Chance: Die ausgeklügelte Bewertungs-Tabelle, welche das Baudepartement zusammen mit dem Interessenverband der Walliser Ingenieur-Büros eigens für diesen Fall ausgeheckt hatte, bezeichnete das Bundesgericht als «willkürlich».

Laut Bundesgericht hatte der Kanton Wallis «in gravierender Art und Weise das primäre Ziel einer öffentlichen Ausschreibung verletzt, nämlich die Auftragsvergabe an das wirtschaftlich günstigste Angebot». Der Fall schlug hinter den Kulissen hohe Wellen. Bau-Ingenieure und Anwälte in der ganzen Schweiz schüttelten den Kopf über die sizilianischen Verhältnisse im Wallis. In den Walliser Medien hingegen war der Fall kein Thema, ausser in der Oberwalliser Oppositionszeitung «Rote Anneliese», welche die Vetternwirtschaft und das «Chaos im Baudepartement» immer wieder anprangerte.

2. Fall: Ständiger Beschuss durch das Finanzinspektorat

Staatsrat Rey-Bellet und sein Chefbeamter Fournier standen jahrelang unter Beschuss des Walliser Finanzinspektorates. Die Zahl der Rügen war beträchtlich, ebenso die Unbelehrbarkeit des Chefbeamten Fournier. Im Jahr 2004 wurde es selbst dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) zu bunt, so dass es ein externes Ingenieurbüro mit einer Expertise zum A9-Tunnel in Gamsen bei Brig beauftragte. Das Resultat war niederschmetternd: Ineffizienz und Übermarchungen.

Einem Unternehmer wurden Mehrzahlungen von rund 1,4 Millionen Franken ausbezahlt, ohne dass dafür die Verträge abgeändert wurden. Durch einen Berechnungsfehler wurden einem weiteren Unternehmer 213 000 Franken zu viel ausbezahlt. Amtschef Fournier wurde aufgefordert, die Organisation und Funktion seiner Dienststelle zu überdenken und den Betrag zurückzufordern. In seiner Stellungnahme zeigte sich Fournier uneinsichtig und weigerte sich vorerst, den fälschlicherweise ausbezahlten Betrag zurückzuverlangen.

In einem weiteren Fall purzelten die Preise aufgrund einer Beschwerde, die von der «Roten Anneliese» publik gemacht wurde: Plötzlich waren die Unternehmer bereit, die Elektro-Arbeiten am A9-Tunnel Gamsen für die Hälfte des Honorars auszuführen. Offeriert hatte damals auch die Firma des aktuell höchsten Wallisers, CVPO-Grossrat und Landeshauptmann Felix Ruppen. Er reduzierte sein Angebot mirakulös von 2,3 Millionen auf 1,1 Millionen.

Im Jahr 2005 kritisierte das Finanzinspektorat und das ASTRA die unkorrekte Führung von insgesamt fünf Ingenieur- und Architekturmandaten. Leistungen wurden bereits vor der Vergabe und der Ausführung der Arbeiten bezahlt. Zudem wurden Arbeiten aufgesplittet und damit die Finanzkompetenzen nicht eingehalten. Fünf Architekturmandate wurden dem gleichen Büro übertragen, obwohl dieses die teuersten Offerten einreichte. Trotz der mehrfachen Rüge des ASTRA und des Finanzinspektorates zeigte sich Dienstchef Fournier uneinsichtig und Staatsrat Rey-Bellet sorgte nicht für Ordnung im Augiasstall.

3. Fall: Der Vorauszahlungs-Skandal

Auf diesem Sumpf gedieh schliesslich der Vorauszahlungs-Skandal, der 2006 in der ganzen Schweiz Aufsehen erregte. Aufgrund von falschen Rechnungen wurden rund 40 Millionen Franken an ein Baukonsortium ausbezahlt, ohne dass dafür konkrete Leistungen erbracht wurden. Die verantwortlichen Beamten behaupteten, sie hätten gemäss dem gängigen System des Baudepartementes und in dessen Auftrag gehandelt, der damalige Staatsrat Rey-Bellet und sein Amtschef Fournier stritten diese Version hartnäckig ab.

Ohne Skrupel opferten sie ihre Beamten, welche erstinstanzlich vom Bezirksgericht Brig freigesprochen und vor vier Wochen vom Kantonsgericht wegen Urkundenfälschung verurteilt wurden. Dabei hatten sie bloss dem Befehl des damaligen Amtschefs Fournier Folge geleistet, der von ihnen schriftlich verlangte, «dringend alle Massnahmen zu treffen, um das Budget bis Ende Jahr voll auszuschöpfen».

Vetternwirtschaft und Kirchturmpolitik

Das Ausmass des A9-Chaos im Wallis ist nur auf dem Hintergrund des CVP-Mehrheitssystems zu begreifen, welches das Wallis schon seit 155 Jahren im Würgegriff hält. Das ist der Nährboden für Miss- und Vetternwirtschaft. Auch heute noch werden die Posten beim Kanton und in den Gemeinden allzu oft nach parteilichen und nepotistischen Kriterien besetzt. Öffentliche Kritik ist kaum in Mode. Die zahlreichen Medienvertreter lavieren meist zahm und unterwürfig.

Deshalb ist es kein Wunder, wenn über 70 Prozent der Hochschulabgänger nicht ins Wallis zurückkehren und diese Entscheidung mit der Vetternwirtschaft und der Kirchturmpolitik sowie der mangelnden Transparenz und Offenheit auf dem Arbeitsmarkt begründen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war von 2000 - 2010 Redaktor der «Roten Anneliese»

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