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Installation von Solarzellen © © Simon Kraus - Fotolia.com

Atomausstieg: Vorschlag des Bundesrats im Klartext

Hanspeter Guggenbühl /  Der Bundesrat will mittelfristig aus der Atomenergie aussteigen. Das ist ein Richtungsentscheid - mehr noch nicht.

«Der Bundesrat hat heute einen Grundsatzentscheid getroffen.» Politisch handle es sich um eine «Weichenstellung». Insofern sei das «ein historischer Tag.» Mit diesen Worten umschrieb Energieministerin Doris Leuthard vor den Medien die Bedeutung der mit Spannung erwarteten energiepolitischen Beschlüsse der Landesregierung. Zur Umsetzung aber brauche es noch «viel Feinarbeit».

Atomausstieg bis 2034

Im Grundsatz schlägt der Bundesrat dem Parlament das mittlere von drei Szenarien vor, die das Bundesamt für Energie (BFE) ausgearbeitet hatte. Demnach sollen die fünf Schweizer Atomkraftwerke (AKW) solange weiter laufen, wie ihre Sicherheit gewährleistet ist. «Es gibt kein fixes Datum», betonte Leuthard, denn die Beurteilung der Sicherheit sei Sache der Experten. «Hypothetisch» rechne der Bundesrat gemäss Szenario 2 mit einer AKW-Betriebszeit von «voraussichtlich» 50 Jahren. Damit würden die Reaktoren in Mühleberg und Beznau zwischen 2019 und 2022 abgeschaltet, das AKW Gösgen 2029 und das AKW in Leibstadt als Letztes im Jahr 2034. Die Stromwirtschaft hingegen rechnete für «Gösgen» und «Leibstadt» stets mit 60 Jahren Laufzeit.

Neue AKW will der Bundesrat nicht mehr bewilligen. Damit weicht er vom heutigen Kernenergiegesetz ab, das die Option für neue AKW offen lässt, die Rahmenbewilligung aber dem fakultativen Referendum unterstellt. Wenn man die Möglichkeit zum Bau von neuen Kernkraftwerken weiterhin offen lasse, so begründete Leuthard, fehle das «politische Signal» an die Wirtschaft, um die Investitionen in alternative Technologien umzuleiten. Darum sei dieser Richtungsentscheid wichtig.

Wachstum stoppen, Atomstrom ersetzen

Im Jahr 2010 verbrauchte die Schweiz 64 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom. Davon decken die Schweizer AKW 40 Prozent. Bis 2050 wird die Stromnachfrage gemäss Trend auf 91 Milliarden kWh steigen; davon entfallen 6 Milliarden kWh auf Pumpstrom für neue Pumpspeicherwerke. Das Angebot an Strom hingegen sinkt nach dem Atomausstieg auf knapp 40 Mrd. kWh. Damit fragt sich, wie die Differenz von 50 Mrd. kWh gedeckt werden soll.

o Einerseits will der Bund die Zunahme der Nachfrage mit einer konsequenten Energiesparpolitik stoppen; damit würde der Strombedarf bis 2050 auf 62 Milliarden kWh sinken.

o Die verbleibende Lücke von 24 Milliarden kWh soll mit zusätzlicher Stromerzeugung aus Biomasse, Wasser-, Wind-, Solarkraft sowie Gaskraftwerken und allenfalls einem Importüberschuss gedeckt werden. Der Rückgriff auf fossile Gaskraft entspreche aus klimapolitischen Gründen «nicht dem Wunschszenario des Bundesrates», räumte Doris Leuthard ein, sei aber als «Brückentechnologie» wohl unvermeidlich. Je stärker sich neue erneuerbare Energieträger durchsetzten, desto kleiner bleibe der Gasanteil oder der Überschuss an Importstrom. Der zusätzliche Ausstoss von CO2, den Gaskraftwerke bewirken, soll mit einer Reduktion des übrigen fossilen Energieverbrauchs kompensiert werden.

Milliarden für den Umbau

Der Produktionswandel erfordert auch die Anpassung der Stromnetze. Allein bis 2020 will die Swissgrid – wie berichtet – Höchstspannungs-Leitungen in einer Länge von tausend Kilometern ausbauen. Zusätzlich erwartet Leuthard Innovationen wie etwa die – seit Jahren angekündigten – «Super-« und «Smart-Grids».

«Das ist nicht zum Nulltarif zu haben», betonte die Energieminsterin gestern vor den Medien. Für den Umbau des Energiesystems rechnet das BFE mit Kosten von 0,4 bis 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts, pro Jahr also zwei bis vier Milliarden Franken. Die Kosten der Stromproduktion würden real um 20 bis 30 Prozent steigen, rechnet BFE-Mann Pascal Previdoli; allerdings liessen sich diese Mehrkosten durch den tieferen Stromverbrauch neutralisieren. Langfristig werde sich eine sparsamere und auf erneuerbarer Energie basierende Stromversorgung auszahlen.

Gesetzliche Umsetzung offen

Bleibt die Frage, wie die Energiewende umgesetzt werden soll. Das hängt auch vom Parlament ab. Vorschläge präsentierte das Bundesamt für Energie gestern in einem 19seitigen «Aktionsplan». Beispiele: Strengere Vorschriften über den Stromverbrauch von Geräten und Anlagen, Lenkungs- oder Förderabgaben auf Strom, Verstärkte Förderung von energetischen Gebäudesanierungen, Ersatz von Elektroheizungen, etc.

Um den Atomausstieg und Aktionsplan umzusetzen, braucht es Gesetzes- und teilweise Verfassungsänderungen. Die Frage, ob der Bundesrat dem Parlament dazu eine Gesamtvorlage oder einzelne Gesetzesänderungen beantragen wird, liess Leuthard gestern offen. Eine entsprechende Vorlage soll Mitte nächstes Jahr in die Vernehmlassung gehen. Danach folgen Vorlagen ans Parlament. Und weil alle Gesetzesänderungen dem fakultativen Referendum unterliegen, wird in letzter Instanz wohl das Volk über den Atomausstieg und die damit verbundenen Massnahmen entscheiden. Der Weg zur atomfreien Schweiz ist damit noch lang und steinig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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