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«Kaum zu glauben, dass ich immer noch gegen diese Scheisse protestieren muss» © Bonzo Mc Grue - flickr - cc

Women’s March: «Ein richtiger Volksaufmarsch!»

Lotta Suter /  Der grösste Protest der US-Geschichte (Laura Flanders) könnte nachhaltig sein, weil er weit über die Kritik an Trump hinauszielt.

Red. «Was können wir in dieser unheimlichen Zeit wirklich tun?» – über diese Frage sprach Lotta Suter mit der US-Journalistin Laura Flanders für die WOZ-Gesprächsreihe «Durch den Monat».

Lotta Suter: Rund vier Millionen Menschen in über 500 Städten protestierten am Samstag 21. Januar 2017 in den USA gegen die neue Regierung von Donald Trump. Laura Flanders, Sie waren am Women’s March in Washington. Was haben Sie gesehen?

Laura Flanders: In den letzten Jahren habe ich etliche wohlorganisierte Kundgebungen besucht, an denen die Teilnehmenden alle dieselben Plakate trugen. Diesmal fühlte es sich anders an, spontaner. Und die vielen Leute! Ein richtiger Volksaufmarsch war das! Zuletzt habe ich Ähnliches bei der Antiatombewegung der Achtzigerjahre erlebt.

Hier in Vermont, wo ich wohne, malten viele Demonstrantinnen ihre Slogans mit Farbstiften auf alte Kartons.

Unglaublich, all die handgeschriebenen Plakate und dazu die rosa «Pussyhats»! («Pussy» nennt Frauengrapscher Donald Trump die Vagina; Pussy heisst aber auch Kätzchen, Anm. d. Red.) Hunderttausende haben sich in den letzten Wochen solche Mützen mit Katzenohren gestrickt, zahllose pinke Variationen mit einer einheitlichen, selbstbewussten Anti-Trump-Botschaft. Ich sah ältere Frauen mit dem Slogan «Kaum zu glauben, dass ich immer noch gegen diese Scheisse protestieren muss». Jüngere skandierten: «Wir wollen einen Leader, keinen fiesen Tweeter.» Und auf dem Podium stand nicht die alte feministische Garde, sondern eine neue Generation, die ganzheitlicher denkt und Frauenfragen sehr weit fasst.

An der Demo in Montpelier bezeichnete Bernie Sanders den neuen Präsidenten im ersten Satz schon als Betrüger und Frauenfeind.

Wir sollten den Frauenhass in Donald Trumps Regierung sehr ernst nehmen. Wir müssen verstehen, welche Rolle die Misogynie in seiner Politik spielt. Denn sie war nicht beiläufig, sondern zentral für seinen Sieg. Trumps Frauenfeindlichkeit wurde im Wahlkampf als Sexismus gegen Hillary Clinton personalisiert. Dabei geht die Sache viel tiefer. Trumps Leute haben ihre Attacken auf Frauen im Gamergate-Skandal getestet. Diese hatten die Rollenbilder in Computergames kritisiert und mussten danach um ihr Leben fürchten.

Verstehen Sie Frauenfeindlichkeit und den weissen Machtanspruch als zwei Seiten derselben Medaille?

Ich behaupte, dass die Mobbingtaktiken des Trump-Lagers mittels Angriffen auf Onlinenutzerinnen, Journalistinnen und Politikerinnen entwickelt und verfeinert wurden. Diese neue Rechte ist nicht bloss ein Zusammenschluss weisser Patrioten. Es ist ein rassistisches Patriarchat.

Erschöpfte sich die Demo vom Samstag im Anti-Trump-Ressentiment?

Auf eine gute Art ging der Women’s March weit über Donald Trump und auch über Hillary Clinton hinaus. Denn wir sahen einen neuen, intersektionellen Feminismus, der versteht: Frauenfragen umfassen viel mehr als reproduktive Rechte, und jede fortschrittliche Politik muss Frauenrechte ins Zentrum stellen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Widerstand gegen die Machteroberung der Rechten weitergeht?

Das war der grösste Protest, den wir in den USA je erlebt haben. Wenn ich mich umsehe und umhöre, muss ich einfach daran glauben, dass die Leute heimgehen und sich lokal organisieren. Immerhin haben die Leute nicht bloss in Washington demonstriert, sondern überall im ganzen Land.

Die Allianzen und Bewegungen sind aber heute viel flüchtiger als in den bewegten Sechziger- und Siebzigerjahren.

So wie wir heute nicht mehr einen Job auf Lebenszeit ausüben, gehören wir auch nicht mehr lebenslang zu einer Gruppierung, Bewegung oder Partei. Wir haben heute ein buntes Mosaik aus individuellen Geschichten und vielen Bewegungen. Was uns fehlt, ist ein verbindender Kitt. Dass wir jahrzehntelang bloss eine lose Menge unterschiedlicher Taktiken hatten, machte uns verwundbar für den organisierten Angriff der Trump-Leute. Vielleicht tut sich der spontane Protest vom Samstag mit der gut organisierten Parteiinitiative «Our Revolution» von Bernie Sanders zu strategischen Partnerschaften zusammen. In solchen Koalitionen wäre genug Raum für Kreativität, doch es würde endlich auch die Machtfrage ernsthaft gestellt.

An den Demos vom Samstag sah ich Barack Obamas hoffnungsvollen Wahlspruch «Yes we can». Laura Flanders, was können wir wirklich tun?

Obwohl sich die Demos sehr gut anfühlten, leben wir in einer unheimlichen Zeit. Wir wissen aus der Geschichte, dass die Rechte gewinnen kann. Dass der Faschismus kulturelle Errungenschaften ziemlich schnell zunichtemachen kann. Wir leben zu einem verrückten Zeitpunkt. Die alte Politik hat ausgedient. Erleben wir nun das Erstarken einer neuen fortschrittlichen Bewegung, die versteht, wie Klassenherrschaft, Rassismus und Sexismus zusammenhängen? Oder wiederholen wir sozusagen die letzten Tage der Weimarer Republik? Ich tippe auf die neue Bewegung. Fragt sich bloss, ob wir genug Zeit haben, um zu wachsen.

Dieses Gespräch wurde erstmals in der «Wochenzeitung» veröffentlicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Jede Woche interviewt die in London geborene US-Journalistin Laura Flanders (55) in ihrer Show (www.lauraflanders.com) AktivistInnen aus den USA. Letzte Woche waren es zwei mutige Frauen, die im rechtskonservativen Süden für mehr Bürgerrechte kämpfen.

Zum Infosperber-Dossier:

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US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

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