Kommentar

Sprachlust: Soll die Verfassung «Ehe» definieren?

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  «Un homme et une femme» war, noch vor dem Film, die Definition eines Ehepaars. Damit das so bleibt, rufen manche nach Gesetzen.

«Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» Dieser Satz soll, wenn es nach der CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» geht, neu in die Schweizer Bundesverfassung geschrieben werden. Denn dort steht im Artikel 14 bisher nur: «Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.» Was «Ehe» bedeutet, wurde als bekannt vorausgesetzt. 1996 schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft zum Verfassungsentwurf, nach Europäischer Menschenrechtskonvention und Rechtsprechung sei die Ehe «eine Verbindung zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts». Und weiter: «Das Institut der Ehe war stets auf die traditionellen Paare ausgerichtet. Eine Ausweitung auf alle Formen des Zusammenlebens würde heute dem Grundgedanken des Instituts Ehe widersprechen.»
Dies hielt der Bundesrat jenen entgegen, die in der Vernehmlassung just eine solche Ausweitung verlangt hatten, darunter zwei Kantone (BE, AR). Aber auch die umgekehrte Forderung, «dass der Schutz einzig für monogame und traditionelle Paare gelten solle», wies er zurück, weil Artikel 14 eben ohnehin so gemeint sei. Nun hält es die CVP für notwendig, diese Einschränkung ausdrücklich nachzuholen, denn: «Man muss die Ehe umschreiben, wenn man die Diskriminierung der Ehe abschaffen will.» Gemeint ist die Benachteiligung gegenüber Konkubinatspaaren, «namentlich bei Steuern und Sozialversicherungen».
Nach kroatischem Vorbild?
Die vorgeschlagene und auch vom Bundesrat befürwortete Verfassungsänderung hat nun die Dachorganisationen von «Lesben, Schwulen und Transmenschen» empört: Sie «finden es inakzeptabel, eine Diskriminierung in der Verfassung festzuschreiben». Sie stellten sich zwar hinter das Hauptziel der Initiative, appellierten aber ans Parlament, es «ohne den diskriminierenden Zusatz» zu erreichen; schliesslich sei «in zahlreichen anderen Staaten die volle Rechtsgleichheit garantiert». Kurz darauf hatten die Organisationen Gelegenheit, gegen eine neue Verweigerung dieser Rechtsgleichheit zu protestieren: als das kroatische Stimmvolk die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» definierte.
Nun kann man der CVP kaum vorwerfen, sie eifere dem kroatischen Vorbild nach: Dort ist auch der Plan umstritten, gleichgeschlechtlichen Paaren die eingetragene Partnerschaft zu ermöglichen. Diese ist bei uns selbstverständlich geworden, wenn auch noch nicht mit voller Gleichberechtigung, etwa bei der Adoption. Es liefe – mit oder ohne Absicht – dem gesellschaftlichen Trend entgegen, würde die Ehe nun in der Schweizer Verfassung als ausschliesslich heterosexuelle Institution festgeschrieben.
Ehe «an der Ehe orientiert»
Lange Zeit war das Wort «Ehe» in diesem Sinn eindeutig; das Digitale Wörterbuch (dwds.de) definiert es als «für das Leben geschlossene, gesetzliche Verbindung eines Mannes und einer Frau zur Begründung einer Familie» und nennt als Ursprung ein «westgermanisches Wort für ‹Gesetz, Recht, göttliches Gebot, Vertrag›». Doch für den Online-Duden ist das Zeitalter solcher Eindeutigkeit vorbei: Er führt neben der Bedeutung «gesetzlich [und kirchlich] anerkannte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» auch diese an: «gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft, die sich an der Ehe orientiert».
Sprache ist auch dazu da, gesellschaftlichen Wandel auszudrücken – aber nicht dazu, ihn zu verhindern oder zu fördern. Auf den Begriff «Ehe» kommen schwierige Zeiten zu: Neben der Zusammensetzung könnte auch die Zweizahl in Frage gestellt werden; ebenso, ob der Staat eine Person noch als «Mann oder Frau» definieren und identifizieren darf. Da hat die Politik sinnvollere Aufgaben, als zwischen Wörterbüchern den Schiedsrichter zu spielen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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Eine Meinung zu

  • am 14.12.2013 um 15:23 Uhr
    Permalink

    Die Verfassung muss die Ehe nicht definieren, denn diese definiert sich von selbst, wie im Artikel bereits erwähnt. Wir sind in einem Zeitalter angelangt, wo man sich entschuldigen muss, dass man sich vom anderen Geschlecht angezogen fühlt. Dass mit diesen Gleichberechtigungsforderungen völlig übertrieben wird, versteht sich von selbst. Damit werden wiederum andere diskriminiert, nämlich die Kinder gleichgeschlechtlicher «Ehepaare» welche mit zwei Müttern ohne Vater und zwei Vätern ohne Mutter aufwachsen müssen. Wo ist das die Gleichberechtigung in den Familien??

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