Tal_des_Schweigens_Kurt_Marti

Weltliches und kirchliches Zentrum: Regierungsgebäude in Sitten mit dem Turm der Bischofskirche © ktm

Walliser Geschichten aus dem Tal des Schweigens

Red. /  Im Rotpunktverlag ist das Buch «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» erschienen.

Das Wallis wird seit 155 Jahren von der Mehrheitspartei CVP/CSP dominiert. Das Buch «Tal des Schweigens» zeigt mit 18 Geschichten exemplarisch auf, welch schädlichen Einfluss dies auf Politik, Gesellschaft, Medien und Justiz hat und wie die Einschränkung der kritischen Öffentlichkeit funktioniert.

Infosperber veröffentlicht im folgenden drei kurze Auszüge aus dem Buch von Kurt Marti, der von 2000 bis 2010 Redaktor der Roten Anneliese (RA) war und seit Anfang 2012 Mitglied der Redaktionsleitung von Infosperber ist.

1. Auszug: Erinnerungen an die Strafkolonie

Im Herbst 1986 freute sich der Walliser Gefängnisdirektor Michel Evéquoz auf seine Pensionierung an Weihnachten. Über dreißig Jahre war das Gefängnis seine Heimat und sein Herrschaftsgebiet gewesen, eingebettet im Filz der CVP. Artige Gefangene durften in seinem privaten Garten die Rosen jäten. Ein Wallis en miniature. Doch der Abschied sollte bitter für ihn werden. Der damalige Vorsteher des Justizdepartements, Staatsrat Richard Gertschen (CVPO), formulierte es später im Kantonsparlament so: «Man könnte ein Gefängnis mit einem Vulkan vergleichen; während langer Zeit tut sich nichts und plötzlich, ohne dass man weiß warum, erwacht der Vulkan und explodiert.»

Am 6. Oktober 1986 trat der Häftling K. in die Strafanstalt Crêtelongue in Granges ein, um den schlafenden Vulkan zu wecken. Zuvor war er von der Militärjustiz in Zürich zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, weil er den Militärdienst aus politischen Gründen verweigert hatte. In der Logik der Militärrichter waren politische Motive gleichbedeutend mit unethisch. Der Kalte Krieg hatte hüben wie drüben die Relationen etwas verrückt. Doch nun ging die Eiszeit langsam zu Ende. In der Sowjetunion regte sich die Perestrojka.

2. Auszug: Klosterfrauen, Richter und Dichter

In großer Sorge griff Bischof Norbert Brunner von Sitten zum Telefon. Eines seiner Schäfchen hatte sich im politischen Unterholz verirrt und brauchte sofort Hilfe: Benno Tscherrig, Katholik und Anwalt, ehemaliger CSPO-Großrat, erfolgloser Kandidat fürs Gemeindepräsidium von Leuk und für den Nationalrat, ehemaliger Bauernpräsident, langjähriger Sekretär der Region Leuk, Präsident des Oberwalliser Vereins zur Förderung geistig Behinderter, insieme, sowie Präsident und operativer Leiter der katholischen Altersheimstiftung La Résidence. Die Menschen wollten Tscherrig auf der Straße partout nicht mehr grüßen und schnauzten ihn an: «Nicht einmal vor Klosterfrauen machst du halt!» Die Klienten mieden seine Anwaltskanzlei. Ein Ausgestoßener also, hilflos, aussätzig, gebrandmarkt. Ideal, um an ihm ein Exempel der katholischen Barmherzigkeit zu statuieren.

Das Telefon läutete Anfang Dezember 2004 in die Stille des Klosters «Unsere liebe Frau vom Berg». Am Apparat meldete sich die siebzigjährige Klosteroberin Maria-Sinah Prause. Sie hatte auf den Anruf des Bischofs gewartet. Umso mehr erschrak sie über dessen Dreistigkeit. Ohne Umschweife nannte dieser sein Problem: Die linke Zeitung Rote Anneliese (RA) wolle Benno Tscherrig fertigmachen. Sofortige Gegenmaßnahmen seien angezeigt, um Tscherrigs Ruf zu retten. Tatsächlich konnte niemand im Tal behaupten, Tscherrigs Reputation hätte sich verbessert, nachdem die RA auf der Titelseite verkündet hatte: «Tscherrig wütet weiter. Klosterfrauen gefeuert!» Dazu ein Foto der betenden Klosterfrauen, andächtig kniend vor dem Altar der Klosterkapelle. So etwas verfehlte im katholischen Wallis seine Wirkung nicht. Keiner feuert dort ungestraft Klosterfrauen. Auch nicht der Freund des Bischofs!

3. Auszug: Die Drahtzieher des Mattmarkprozesses

An seiner Sitzung vom 1. Oktober 1965 diskutiert der Bundesrat die Zusammensetzung der internationalen «Expertengruppe zur Mattmark-Katastrophe». Einen Monat zuvor hat der Niedergang des Allalingletschers auf ein Barackendorf zuhinterst im Saastal 88 Bauarbeitern das Leben gekostet, darunter 56 Italiener. Wie aus dem brisanten Sitzungsprotokoll des Bundesrates hervorgeht, ist der Chef des Politischen Departements (Außenminister) Friedrich Traugott Wahlen (BGB) sehr besorgt. Er hat einen Telefonanruf aus Rom erhalten. Der italienische Unterstaatssekretär Ferdinando Storchi will, dass ein Italiener in der Expertengruppe Einsitz nimmt. Die italienischen Kommunisten machen diesbezüglich Druck auf die Regierung.

Bundesrat Wahlen verlangt laut Protokoll, dass auf die «italienischen Empfindlichkeiten» Rücksicht genommen wird. Er möchte nicht, dass ein Österreicher in der Expertengruppe Platz nimmt, wie er von Dritten gehört hat. Aus dem Wallis hingegen sei dem Bundesrat lediglich gemeldet worden, «dass das Instruktionsgericht eine Expertengruppe bestellt habe». Über die Zusammensetzung wisse der Bundesrat »nichts Bestimmtes». Deshalb fragt Wahlen seine Bundesratskollegen, ob nicht der Walliser CVP-Bundesrat Roger Bonvin «noch heute» mit der Walliser Regierung Verbindung aufnehmen sollte, «damit diese ihren Einfluss geltend macht, damit der außenpolitische Aspekt der Frage nicht vernachlässigt werde».

Bonvin, Chef des Finanzdepartements, ist bereits bestens im Bild und erklärt seinen Bundesratskollegen, «man» habe den Gerichtspräsidenten «auf die Gefahr» aufmerksam gemacht, die mit der Bestellung ausländischer Experten verbunden sei. Ohne falsche Bescheidenheit diktiert Bonvin dem Gesamtbundesrat die Kriterien für die Expertenwahl: Wenn man Ausländer zuziehe, müssten diese «auch von den Schweizer Experten anerkannt sein». Bonvin will sich laut Protokoll «noch näher im Wallis erkundigen». Doch das Expertenmenü war schon angerichtet. Wahlens Bedenken waren berechtigt, aber sein Ratschlag kam zu spät. Die Walliser Justiz hatte längst im Interesse «ihres» Bundesrates Bonvin und der CVP vorgespurt.

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2 Meinungen

  • am 19.11.2012 um 14:13 Uhr
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    Fast nicht zu glauben, aber ganz offensichtlich wahr, was in diesem Buch erzählt wird. Passende Literatur zu den langen dunklen Novemberabenden. Haarsträubend und beschämend. Als Walliser fühlt man sich nicht sonderlich gut dabei.
    Stefan Bellwalder

  • am 19.01.2013 um 20:22 Uhr
    Permalink

    Ein super Buch, ein wahnsinnig interessantes Buch ! Ich kenne das Wallis auch als «Aussenschweizer". Es ist furchtbar im Wallis zu leben, man wird auf die Seite gestellt, geplagt, ausgelacht, gemobbt, nicht einmal wird man gegrüsst, obwohl man sehr freundlich ist. Das Wallis ist ein «Clan» der zusammenhält gegen «Aussen". Und hier ist alles Lüge und Intrige. Dieses Buch ist ein absoluter Bestseller !

    Johann Zehnder, Saas – Balen

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