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Russland und China können sich eingekreist fühlen: Raketen, Unterseeboote, Stützpunkte, Konflikte © Solidarité&Progrès

«Antiamerikanismus» ist ein zu billiges Argument

upg /  Wer die westliche Politik in der Ukraine für kurzsichtig und gefährlich hält, ist weder ein Putin-Freund noch ein Hasser der USA.

Wie im Kalten Krieg beginnt wieder Schwarzweissmalerei um sich zu greifen: im Osten das Böse, im Westen das Gute. Den Kritikern der westlichen Politik als Motiv Antiamerikanismus zu unterschieben, sei «zu einfach», erklärte die langjährige Moskau-Korrespondentin der ARD und Autorin mehrerer Bücher über Russland, Gabriele Krone-Schmalz. Sie widerspricht damit dem Auslandchef der «Die Welt» Clemens Wergin, laut dem der «Anti-Amerikanismus» schuld daran ist, dass fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung möchten, dass ihr Land eine Position zwischen dem Westen und Russland einnimmt. Daraus machte er den Titel «Warum die Deutschen Russland lieben».

Auch für Gabriele Krone-Schmalz ist es keine Frage, dass Russland mit der Annexion der Krim das Völkerrecht verletzt hat, erklärte sie in einer ARD-Talkshow. Russland habe das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung auf rechtswidrige Art durchgesetzt.
«Messen mit zweierlei Mass»
Zu den fundamentalen Prinzipien des Völkerrechts gehören die Respektierung der staatlichen Grenzen, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten fremder Staaten sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Entscheidungsorgan ist der Uno-Sicherheitsrat.
Insbesondere die USA müssten sich Kritik gefallen lassen, diese völkerrechtlichen Prinzipien schon mehrmals ebenfalls gravierend verletzt zu haben. Als die USA ohne Uno-Mandat und zudem unter Angabe falscher Gründe den Irak bombardierten und dort einmarschierten, machten andere westliche Staaten in einer «Koaliton der Willigen» mit. Gegen die USA gab es keine Sanktionen, ja nicht einmal Sanktionsdrohungen, und kein internationales Gremium schloss die USA von einer Teilnahme aus. Der Krieg forderte über eine halbe Million zivile und militärische Tote.
Gabriele Krone-Schmalz kritisiert die Rolle der Leitmedien, welche die USA und Russland «mit zweierlei Mass messen» und zudem über die Machtverhältnisse in der Ukraine falsch informierten. Einige von uns ergänzte Beispiele:

Titelgebung in Zeitungen und TV-Talkshows. Eine ähnliche Wortwahl kam bei massiven: Völkerrechtsverletzungen der USA nie vor
«Putins Machtspiele – Gibt es jetzt Krieg?» (ARD Günther Jauch, 2.3.2014)
[«George W. Bushs Machtspiele – Gibe es jetzt Krieg?» Eine solche Schlagzeile gab es damals nicht]
«Spielt Putin mit dem Feuer?» (N24 Talk Michel Friedman, 20.3.2014)
[«Spielt George W. Bush mit dem Feuer?»]
«Putin der Grosse – Wie gefährlich ist Russland?» (ARD Günther Jauch, 23.3.2014)
[«George W. Bush der Grosse – Wie gefährlich sind die USA?]
«Auf Lügen gebaut» (NZZ, 17.4.2014)
Es besteht kein Zweifel, dass zum Beispiel das russische Fernsehen die Ostukraine mit vielen Lügengeschichten eindeckt, die als solche entlarvt werden müssen. Es geht hier nur darum, dass Medien bei uns mit zwei Ellen messen.
[Trotz dem Lügengebäude, mit dem die USA den Einmarsch im Irak rechtfertigten, brachte die NZZ während des Irak-Kriegs keine solche Titel-Schlagzeile.]

«Die Krim-Politik des Kremls als Spiegelbild von Hitlers Raubzügen vor dem Zweiten Weltkrieg» (NZZ, 22.4.2014)
[«Die Irak-Politik der US-Administration als Spiegelbild von Hitlers Raubzügen vor dem Zweiten Weltkrieg»]
«Kriegsgefahr in Europa – ist Putin noch zu stoppen?» (ARD Günther Jauch, 4.5.1014)
[«Kriegsgefahr im Mittleren Osten – ist George W. Bush noch zu stoppen?»]
Geplantes Assoziationsabkommen mit der EU
Es wurde in erster Linie als Chance für die Ukraine, Freiheit und Wohlstand zu erlangen, dargestellt, während die Interessen der EU an der Ausweitung ihres Einflussgebiets kaum Erwähnung fanden. Der Vorschlag Russlands, ein EU-Abkommen mit einer Zollunion mit Russland in Einklang zu bringen, wurde als nicht ernst zu nehmende russische Propaganda abgetan.
Das Assoziierungsabkommen enthält eine militärische Komponente, über welche grosse Medien kaum informierten. Im Vertrag enthalten sind Absichtserklärungen zum Schutz und zur Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Zudem war in Artikel 10 des Vertrages eine stärkere Zusammenarbeit in Militärübungen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und im Krisenmanagement vorgesehen.
Wladimir Klitschko
Medien präsentierten den deutsch Sprechenden wochenlang als Oppositionführer, obwohl er nur einer unter vielen war. Über die Oligarchen – die im Westen und Osten der Ukraine tatsächlich Herrschenden– informierten die Leitmedien unzureichend. Gemäss «Transparency International» ist die Ukraine das korrupteste Land Europas.
Gefangene Militärbeobachter
Die lange der Freiheit beraubten Militärbeobachter hatte die Übergangsregierung in Kiew in die Ukraine eingeladen. Sie wurden von ukrainischen Sicherheitskräften begleitet. Die Militärbeobachter hatten kein direktes Mandat der OSZE, sondern Kiew lud sie auf Basis des «Wiener Dokuments» ein, das vertrauensbildende Massnahmen im Militärbereich regelt. Die Bezeichnung «OSZE-Militärbeobachter» sei deshalb «etwas irreführend», schrieb die NZZ am 3. Mai. Tatsächlich weckten viele Medien den falschen Eindruck, dass es sich um Angehörige der in Genf beschlossenen OSZE-Mission handelte. Die Schweizer «Tagesschau» und «10vor10» sprachen wie viele Zeitungen sogar häufig von «OSZE-Beobachtern», ohne den Zusatz «Militär», oder noch ungenauer von «OSZE-Team» (Tagesschau online 27.4.2014). Auch deutsche Radiosender berichteten über die Freilassung von «OSZE-Beobachtern». Die Gefangennahme war ohne Zweifel rechtswidrig. Die obigen Fakten erklären jedoch, weshalb nur diese Militärbeobachter und keine Mitglieder der OSZE-Mission behelligt wurden.
Bilder des Geheimdienstes
Als Beweis, dass russisches Militär in der Ostukraine mitkämpft, verbreiteten US-Geheimdienste Fotos eines Soldaten, die diesen sowohl in Russland als auch in der Ukraine in Uniform zeigen. Obwohl in Krisenzeiten alle Seiten ihre Propagandaregister ziehen, brachte die «New York Times» die Story auf der Frontseite «Photos link masked men in Ukraine to Moscow» (22.4.2014) und gab als Quelle die «Obama Administration» an. In diesem Fall musste die NYT zwei Tage später dementieren: «Doubts cast on Ukraine’s claims of Kremlin role» titelte die Zeitung, nachdem sich der Photograf Maxim Dondyuk zu Wort gemeldet hatte und erklärte, er habe alle Bilder in der Ukraine geschossen.
Im Uno-Sicherheitsrat vom 2. Mai warfen westliche Mitglieder Russland laut Presseberichten lediglich vor, prorussische Kräfte zu finanzieren. [Über die US-Finanzierung von pro-US-Kräften in Venezuela und andern Ländern liest und hört man in den Medien wenig].
Schutz der Minderheiten
Manche Medien wecken den Eindruck, im Osten der Ukraine sei die Bevölkerung vor allem deshalb mehrheitlich prorussisch, weil sie von den Medien und dem russischen Fernsehen manipuliert werde. Über den mangelnden Schutz und die teilweise Diskriminierung dieser grossen Minderheit im Land selbst berichteten unsere Medien wenig. Selbst der Entscheid des Parlaments nach dem Sturz Janukowitschs, Russisch nicht mehr als Amtssprache anzuerkennen, wurde stark heruntergespielt, weil der neue Präsident diesen Beschluss nicht in Kraft setzte. Über die Alarmstimmung, welche dieser Beschlusses bei den Russischsprachigen im Osten auslöste, wurde nicht informiert.
Ein weiteres Beispiel: Die neue Regierung in Kiew hat Kabel-TV-Sender in der Ostukraine gezwungen, die vier russischen TV-Kanäle NTV, Perviy Kanal, RTR-Planeta und Rossija-24 aus dem Angebot zu streichen, was viele russischsprachige Ukrainer einmal mehr vor den Kopf stiess.
Die russische Minderheit in der Ostukraine ist bestens informiert über die ungeheurliche Diskriminierung der Russischsprechenden im EU-Land Lettland. Diese machen dort 27 Prozent der Bevölkerung aus, müssen mit den Behörden in Lettisch verkehren, sind auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und waren beim Verschenken der vorher verstaatlichten Wohnungen und Häuser leer ausgegangen. Die grosse russische Minderheit ist ein Grund, weshalb Lettland sich vor Russland fürchtet und 2004 der Nato beitrat. In Lettland hat die russische Sprache bis heute noch in keiner Region des Landes einen rechtlichen Status oder Schutz. Lettland ist auch nicht Vertragspartei der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.
Vom Westen und den USA überwachte Wahlen
Die Russland-Kennerin Gabriele Krone-Schmalz ist überzeugt, dass nur ein föderatives System mit einem starken Minderheitenschutz, verschobene freie Wahlen, die im ganzen Land vom Westen und von Russland gemeinsam überwacht werden, sowie eine politische Entmachtung der Oligarchen die nach dem Wegfall der Krim verbleibende Einheit des Landes retten können. Dazu braucht es weniger Boykotte und Ausgrenzungen Russlands als Verhandlungen, welche auch die nationalen Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen.

Hören Sie

  • das Interview mit Gabriele Krone-Schmalz vom 16.4.2014 über «entlarvende Automatismen« in der Ukraine-Berichterstattung.

Lesen Sie


Zum DOSSIER «Die Ukraine zwischen Ost und West»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Russland zwischen Europa, USA und China. Berechtigte Kritik und viele Vorurteile.

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