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Der Stromverbrauch wächst immer noch mit dem Wachstum der Wirtschaft. © südostschweiz

Stromrekord widerspricht Schweizer Energiepolitik

Hanspeter Guggenbühl /  Die Schweiz verbraucht heute 150 Prozent mehr Strom als vor dem Einstieg in die Atomenergie - und verpasst ihre Energieziele.

Ab dem Jahr 2000 sollte der Stromverbrauch in der Schweiz nicht weiter wachsen. Das verlangte das Programm «Energie 2000», das der damalige Energieminister Adolf Ogi 1991 als Reaktion auf das 1990 beschlossene Atom-Moratorium lancierte. Dieses Versprechen verwässerte der Bundesrat zehn Jahre später im Programm «Energie Schweiz»: Er begrenzte den zulässigen Zuwachs des Stromverbrauchs von 2000 bis 2010 auf maximal fünf Prozent.

Rekord beim Stromverbrauch

Doch auch dieses schwächere energiepolitische Ziel hat die Schweiz klar verfehlt. Das zeigt die heute Mittwoch veröffentlichte Statistik des Bundesamtes für Energie (BFE): Wirtschaft und Bevölkerung in der Schweiz konsumierten im Jahr 2010 total 63,5 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom (inklusive Verteilverluste). Dieser Verbrauch ist um 4,0 Prozent höher als im Vorjahr, um 1,8 Prozent höher als im bisherigen Rekordjahr 2008 und um 14,2 Prozent höher als im Ausgangsjahr 2000.

Noch drastischer fällt der langfristige Vergleich aus: Von 1969, als die Schweiz mit der Eröffnung des KKW Beznau I in die Atomenergie einstieg, bis 2010 erhöhte die Schweiz den Stromverbrauch um 150 Prozent, also auf das Zweieinhalbfache.

Wirtschaft als Treiber

Der nationale Stromverbrauch ist eng verknüpft mit der Wirtschaftsentwicklung, gemessen am teuerungsbereinigten Bruttoinlandprodukt (BIP real). Beispiel: Von 1990 bis 2010 wuchs das BIP in der Schweiz um 29 Prozent, der Stromverbrauch um 28 Prozent. Die Energiepolitik war zu schwach, um Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch voneinander zu entkoppeln. Die – ungenügenden – Effizienzverbesserungen von Elektrogeräten und Anlagen wurden stets aufgewogen durch die wachsende Menge an Stromanwendungen, welche die Stromwirtschaft und Elektrogerätehersteller förderten.

Kurzfristige Abweichungen von den langfristig parallel verlaufenden Strom- und Wirtschaftskurven sind vor allem auf die Witterungsschwankungen zurück zu führen. Das zeigte sich letztes Jahr: Gegenüber dem Vorjahr wuchs der Stromverbrauch 2010 mit vier Prozent stärker als die Wirtschaft mit 2,6 Prozent, weil die Wintermonate kälter waren als 2009. Denn rund zehn Prozent des Stromverbrauchs, so schätzt das BFE, wird heute in der Schweiz verheizt.

Wachsende atomare Abhängigkeit

Neben dem Verbrauch hat langfristig auch die Produktion von Strom in der Schweiz stark zugenommen. Seit 1969 entfällt der Grossteil des Produktionswachstums auf den schrittweisen Ausbau der Atomenergie sowie Leistungserhöhungen in einzelnen Atommeilern. Im Jahr 2010 entfielen 38 Prozent der inländischen Produktion auf Atom-, 57 Prozent auf Wasser- und 5 Prozent auf übrige Kraftwerke (vorwiegend Kehrichtverbrennung und fossilthermische Anlagen). Im Winter ist der Atomanteil höher, im Sommer der Anteil der Wasserkraft.

Bisher produzierte die Schweiz unter dem Strich – bei wachsendem Import und Export – im Inland meist mehr Strom als sie verbrauchte. Im Jahr 2010 hingegen resultierte ein kleiner Import-Überschuss von 0,5 Milliarden kWh (den die Schweizer Stromproduzenten mit ihren grossen Kraftwerkbeteiligungen im Ausland locker decken konnten).

Falls der Stromverbrauch weiter wächst und ab 2019 die ältesten Atomkraftwerke im Inland plangemäss abgeschaltet werden, wird der Importüberschuss wachsen. SP, Grüne und Umweltverbände verlangen deshalb eine Energiepolitik, die den Stromverbrauch senkt und die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien stark fördert. Die Elektrizitätsunternehmen hingegen setzen weiterhin auf den Bau von Grosskraftwerken.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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