Sprache: Hochdeutsch fremd? Nein, trotz Fremdeln!

Daniel Goldstein /  Für Beat Sterchi ist es Mündigkeit, Hochdeutsch zur Fremdsprache zu erklären: Nur so habe die Deutschschweiz eine eigene Sprache.

«Mut zur Mündigkeit» nennt der Schriftsteller Beat Sterchi sein neues Buch «vom Reden und Schreiben in der Schweiz» (Edition Adhoc). Also muss es eine Unmündigkeit geben, die da zu überwinden wäre. Er hört sie Deutschschweizer Mündern an, sobald diese Hochdeutsch zu reden versuchen, das er als Fremdsprache versteht. «Gestandene Männer und tüchtige Frauen» gäben «persönlichkeitsentstellendes Stammeln» von sich, und es sei unfair, zu unterstellen, das «habe etwas mit einer Form von Muttersprache zu tun». Mündig wäre demnach, allein Schweizerdeutsch als Muttersprache zu verstehen und es ja nicht als Dialekt zu bezeichnen, denn das sei abwertend.
Dass einheimische Kinder in der Deutschschweiz mit Mundart aufwachsen, ist ja unbestreitbar, und Sterchi betont, das sei eine vollwertige Sprache, denn «alle Sprachen sind gleichwertig». Mit der Bezeichnung als Dialekt ist aber nicht zwingend eine Abwertung verbunden: Es geht um regionale Umgangssprachen, und ihre Zugehörigkeit zu einer umfassenderen Sprache ergibt sich aus gemeinsamen Wurzeln und einer gemeinsamen Hochsprache. Diese ist nicht höher an Wert oder Würde, nur eben übergreifend und soweit formalisiert, dass sie überall verstanden wird.
Helvetische Hochsprache
Unbestreitbar ist auch, dass die Schweizer Mundarten weiter vom Hochdeutsch entfernt sind und ohne soziale Unterschiede breiter verwendet werden als die meisten in Deutschland oder Österreich heimischen Dialekte, soweit es sie noch gibt. Sterchi fände es «ungemein angenehm und praktisch, man hätte so etwas wie eine eigene gutschweizerische Hochsprache, die man dem deutschen Hochdeutsch entgegenstellen könnte». Er geht aber nicht so weit, die Erarbeitung eines solchen Hochschweizerdeutsch zu verlangen – vielleicht weil er ahnt, dass dieses wiederum keine Anerkennung als Teil der Muttersprache fände, da auch es separat erlernt werden müsste. Auch brächte es eine Abkapselung vom deutschen Sprachraum mit sich, die er keinesfalls will.
Mit Verlaub: Eine «gutschweizerische Hochsprache» gibt es schon, sie heisst «Schweizerhochdeutsch» und ihre Besonderheiten sind u. a. im gleichnamigen Duden-Band festgehalten. Die Helvetismen, die drinstecken, gehören zur deutschen Standardsprache. Letzteren Begriff findet Sterchi «fürchterlich», und er hat recht, wenn damit eine tatsächlich von jemandem verwendete Sprache bezeichnet werden soll. Sprachwissenschaftlich ist jedoch mit Standard nicht das gemeint, sondern eine Bandbreite in Wortschatz, Aussprache und sogar Grammatik, die hochsprachlich verwendet wird, aber nicht im ganzen Sprachraum genau gleich. Das «deutsche Hochdeutsch» ist nicht das einzige, sondern Hochdeutsch gehört auch Randständigen wie uns.
Werdet wie die Kinder
Wir sollten es uns nicht wegnehmen lassen, sondern Hochdeutsch ebenso drauflos parlieren, wie das Sterchi bei Kindern beobachtet, die es etwa aus den Medien aufschnappen. Nur meint er, es werde ihnen in den Schulen ausgetrieben, bis hin zur «Selbstkasteiung». Falls dem so ist: Es sollte nicht so sein. Vielmehr dürfen, wie es der Autor (u. a. von «Blösch») empfiehlt, durchaus ein Gotthelf oder ein Dürrenmatt als Vorbilder für den selbstbewussten Umgang mit der Schriftsprache dienen – was offenbar heutigen Schriftstellern von den Verlagen schwergemacht wird. Umso lieber pflegen manche den mündlichen, mundartlich geprägten Auftritt.
Wenn Sterchi aufatmet, sobald er Hochdeutsch als Fremdsprache bezeichnen kann, so sei ihm das unbenommen. Als allgemeines Rezept scheint es mir untauglich, denn Schweizerdeutsch hat nun einmal eine engere Verbindung dazu als etwa zu einer lateinischen Landessprache. Auch bei der Sprachverarbeitung im Hirn nimmt Hochdeutsch eine Zwischenstellung ein, wie Constanze Vorwerg (Unis Bern und Wien) diese Woche im Rahmen von «Buch am Mittag» in Bern dargelegt hat.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe», darin:
— über Bundesratsdeutsch (mit Links zu früheren Texten)
— über amtlich angehauchtes Schweizerdeutsch


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» (vom gleichen Verein herausgegeben wie der Duden «Schweizerhochdeutsch») und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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