Dnemark_Grenzkontrollen

Jüngste Grenzkontrollen in Dänemark © cc

So erlebte ich Schweizer die neuen Grenzen Europas

Roman Renz, Stockholm /  Am 7. Januar 2016 kam ich in Schweden an. Noch nie wurde meine ID so häufig und gründlich kontrolliert. Die neuen Grenzen Europas.

Red. Roman Renz, 22, wohnt bei Basel und studiert an der Basler Universität Nordistik. Regelmässig bereiste er Skandinavien mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Noch nie aber hat er die Landesgrenzen so erlebt wie dieses Mal auf der Reise nach Schweden.

Man sagt, Europa sei ein einziges grosses Land geworden. Ein Zusammenschluss von unzähligen Ländern, der die Wirtschaft und auch die Menschen dieses Kontinentes zusammenbringt. Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So bin ich aufgewachsen, ohne jemals eine ID zeigen zu müssen, wenn man mal mit dem Velo nach Deutschland fuhr. Oder mit dem Zug nach Italien. Frankreich. Norwegen. Ungarn. Nie musste ich diese kleine, unbedeutende Karte aus dem Portemonnaie krümeln und einem uniformierten Menschen mit Taschenlampe in die Hände drücken – bis jetzt auf meiner Reise von der Schweiz nach Stockholm.
Mit fremd aussehendem Wisam
Die Reise verlief nicht so, wie ich mir das von früher gewohnt war. Flexibilität war gefordert. Mit äusserst sympathischen Deutschen im 6er Abteil auf dem Sitz geschlafen, bin ich aufgewacht bei Schnee und mit fünfzig Minuten Verspätung vor Lüneburg. Dementsprechend reichte es in Hamburg nicht auf die geplante komplizierte, jedoch kostengünstige Verbindung mit drei Mal umsteigen. Doch weil ich den Zug verpasst hatte, durfte ich dafür den später fahrenden ICE ohne Umsteigen nehmen.
Im ICE lernte ich den in Norwegen wohnenden Wisam kennen, der mich bis Malmö begleiten sollte. Er ist norwegischer Staatsbürger, sieht aber nicht norwegisch aus, spricht dafür Arabisch und Persisch und telefonierte wohl alle 30 Minuten auf Arabisch mit seiner Mutter. Im Gespräch mit ihm auf Norwegisch und Schwedisch kam mir die Situation vom Vorabend in den Sinn, als im Nachtzug kurz nach Basel der Kondukteur lauthals für den ganzen Wagen hörend in sein Funkgerät brüllte, es seien hier zwei Syrer im Zug. Der Kondukteur fuhr fort und buchstabierte in deutscher Manier ihre ganzen Namen. A wie Anton, H wie Hildegard, M wie Müller, bis die zwei dann in Freiburg von der Polizei in Empfang genommen wurden.
Doch dies war nur der Anfang. An der Grenze zu Dänemark stiegen die ersten Polizisten ein, die konsequent alle Identitätspapiere anschauen wollten. Soweit so gut, hatten jedoch viele mit der kleinen Schweizer ID Mühe.
Fragezeichen im Gesicht
Den Höhepunkt der Kontrolle erlebten wir an der Grenze zu Schweden. Bereits in Kopenhagen war es relativ unklar, wie man überhaupt nach Schweden komme. Erst durch Nachfragen bei freundlichen Kontrolleuren in Orange wurde klar, dass man bis zum Flughafen Kastrup fahren und dort den Anweisungen folgen solle. Wir waren nicht die einzigen mit Fragezeichen im Gesicht, Wisam wurde immer mal wieder aufgrund seines südländischen Aussehens von arabisch sprechenden Reisenden angehalten und auf Arabisch zugetextet, worauf er mir die Frage stellte und ich schlussendlich auf Schwedisch/Dänisch erneut das liebe Personal fragte. Darauf ging die Botschaft wieder zurück zu Wisam, der sie dann auf Arabisch übersetzte.
Keine Oma und kein Baby ohne fotografierten Ausweis
Am Flughafen schlussendlich wurde den mehrheitlich erstaunten Zugreisenden mittels Durchsage etwa drei Mal das weitere Prozedere erklärt: Aus dem Zug, hoch in die Flughafenhalle und auf der anderen Seite wieder runter aufs Perron 1. Dort hatte es bereits eine Menschentraube.
Freundliche Herren und Damen in Gelb versperrten jedoch den Weg aufs Perron, wo bereits ein Zug bereit stand, der offenbar aber schon voll war. Hinter dem Zug eine sehr improvisierte Absperrung zum anderen Perron. Nach einigem Warten und nachdem der Zug abgefahren war, liess man uns durch und fotografierte mit aller Seelenruhe unsere Ausweise. Konsequent waren sie, keine Oma und kein Baby durfte ohne Foto der ID durchgelassen werden.
Eines muss man den dänischen Polizisten lassen, freundlich waren sie dennoch. Alle Fragen wurden mit Geduld beantwortet und es wurde immer wieder mit einem Lächeln auf den Entscheid der schwedischen Regierung verwiesen, die anordnete, alle Leute an der Grenze zu kontrollieren.
Nachkontrollen in Schweden
Frohen Mutes packten wir unsere IDs weg, in der Meinung jetzt alle Grenzübergänge passiert zu haben. Dies war aber eine zu frühe Freude, denn wie es sich herausstellte, gab es auch auf der schwedischen Seite des Öresunds eine weitere improvisierte Absperrung. Und unsere IDs wurden nochmals kontrolliert. Trotzdem habe ich es schlussendlich geschafft, nach Schweden einzureisen.
Den skandinavischen Grenzern ein Kränzchen
Konsequent sind sie, diese Skandinavier. Meine ID habe ich in meinem Leben noch nie so oft gezeigt. Auch Wisam war erleichtert, endlich alles hinter sich zu haben. Trotz den Unannehmlichkeiten kann ich jedoch den skandinavischen Grenzern ein Krönchen widmen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich weniger kontrolliert worden bin als Wisam, nur weil ich vielleicht ein wenig europäischer aussehe.
Und so sitze ich nun im kalten Schweden unter Schweden in einem schwedischen Zug samt Internet auf dem Weg nach Stockholm. Spannend beginnt sie jedenfalls, diese erneut kurze Reise in den Norden. Und langsam beginne ich mich zu fragen, ob ich wirklich im Zug in den Norden sitze oder in einer Zeitmaschine, die mich in längst vergessene Staaten im «Osten» reisen lässt…


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Keine

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2 Meinungen

  • am 10.01.2016 um 11:50 Uhr
    Permalink

    Vor einem Jahr habe ich diese Reise auch unternommen. Basel ab im Nachtzug (geht leider bald nicht mehr) um halb Elf, Stockholm an am anderen Tag abends um halb acht Uhr. Wie lange es wohl diesmal dauern würde?

  • am 10.01.2016 um 13:41 Uhr
    Permalink

    Ich kann den Autor mit Jahrgang um 1994 beruhigen, ich war Anfang 1990er als noch nicht ganz 20-Jähriger mit InterRail in Europa unterwegs (nicht nur, aber auch in diesen «längst vergessenen Staaten im Osten") – da waren solche Kontrollen an der Tagesordnung. Besonders wenn man als «InterRailer» häufig nicht ganz so frisch aussah. Die langen Haare taten dann ihr übriges. Der privilegierte Status als weisser Mann hat auch nicht geholfen.

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