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Winston Churchill 1946 in Zürich © SRF

Die ersten Bilder fallen_Die Schiwoff-Affäre 2_10

Jürgmeier /  Der Auftritt der Kabarettistin Elsie Attenhofer wird vorzeitig abgebrochen. Victor Schiwoff hängt das Bild seines Kriegshelden ab.

Red. Am 19. Dezember 1956 wurde der VPOD-Sekretär Victor Schiwoff verhaftet, später «wegen unwahrer Behauptungen gegen die Interessen der Schweiz zu einem Monat bedingt verurteilt» (Historisches Lexikon der Schweiz), sowohl aus der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft VPOD ausgeschlossen. Sechzig Jahre danach publizieren wir auszugsweise die ihn betreffenden Fichengeschichten aus dem Buch «Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss – Eine literarische Reportage aus dem Kalten Krieg» von Jürgmeier als Serie.

  • Hier finden Sie alle Folgen der Serie «Die Schiwoff-Affäre – vor 60 Jahren»

«Er schloss einen Präventivschlag nicht aus»

Winston Churchill, der damalige englische Oppositionsführer, spürte nichts, ahnte nichts, erfuhr es nie, dass sein Kopf rollte, am 19. September 1946, am letzten Abend seines rund einmonatigen Aufenthalts in der Schweiz, während er auf dem Herrliberger Landgut «Schipf» des Zürcher Medizinprofessors von Meyenburg Termitenhügel mit totalitären Staaten verglich. (1) In einem Barocksaal, der von Kerzen beleuchtet war, die bei einer allfälligen Machtergreifung der Kommunisten in der Schweiz, so Churchill, umgehend verlöschen würden. Weil dann kein Platz mehr wäre «für all die Dinge, die das Leben lebenswert machen». (2)
Sätze, die den Kommunisten Victor S. noch mehr in Rage gebracht hätten, als die kurze Ansprache auf dem Münsterplatz, in der Churchill nur andeutete, was er zuvor ausgesprochen hatte – am Morgen in der Aula der Universität, ein halbes Jahr zuvor in der berühmten Rede von Fulton, Missouri, in der zum ersten Mal der «Eiserne Vorhang» fiel.
Aus Angst, für allfällige aussenpolitische oder wirtschaftliche Unbill verantwortlich gemacht zu werden, hatte die Zürcher Regierung im Voraus in Bern um Absolution gebeten, für den neutralitätspolitisch heiklen Auftritt des englischen Kriegspremiers, und von Aussenminister Petitpierre den beruhigenden Bescheid erhalten, die Landesregierung habe keinerlei Einwände gegen die «Zürcher Rede» des Briten, schliesslich finde die Ansprache nicht öffentlich, sondern «innerhalb des Universitätsgebäudes statt, andrerseits wurde uns ausdrücklich zugesichert, dass die Rede nicht politischer Natur ist, sondern im Wesentlichen eine Ermunterung der Jugend darstellt, für den Frieden und gegen den Krieg zusammenzuarbeiten». Im Übrigen kam Churchill nicht als offizieller Staatsgast in die Schweiz, sondern auf Einladung eines privaten Komitees, das nicht öffentlich in Erscheinung trat, diskret die Kosten des gesamten Aufenthaltes, rund 60’000 Franken, übernahm und dem Vertreter von Bally, Ciba, Georg Fischer, Geigy, Hofmann-La Roche, Interfranck/Bank für Anlagewerte, Nestlé, Sandoz, Schweizerische Rückversicherung, Sulzer, Volkart, Wander und Zürich-Unfall angehörten.
Während Victor S. das Konterfei seines Kriegshelden von der Wand nahm, las dieser im Grand Hotel Dolder das Glückwunschtelegramm von Bundesrat Petitpierre, der dem Verfasser der Dissertation «Churchills Schweizer Besuch 1946 und die Zürcher Rede» Jahre später verriet, was der 1945 abgewählte Sieger des Zweiten Weltkrieges dem Schweizer General a.D. Guisan in inoffiziellem Gespräch kundtat. Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, «um den Kommunismus innerhalb und ausserhalb Russlands zu bekämpfen. Er schloss einen Präventivschlag nicht aus, der mit Hilfe der Atombombe möglich sein sollte. Über kurz oder lang würde es ohnehin zu einem Zusammenprall zwischen Ost und West kommen. Die Schweiz müsse auf der Hut sein, sie werde von den Westmächten als wichtiger Vorposten einkalkuliert, der den Feind an der Landesgrenze oder im Réduit so lange binde, bis die Kriegsmaschinerie der Westalliierten wieder auf vollen Touren laufe, was einige Monate dauern könne.» (3)
Victor S. hätte das Porträt Churchills nicht nur vom Nagel genommen, hätte den Kopf des bulligen Briten auf den Boden la gheie, wenn er gewusst hätte, wie weit dessen Überlegungen gegenüber dem einstigen «Kriegsbruder» Sowjetunion gingen, nur ein Jahr nach der Kapitulation des «Dritten Reichs», als er Deutschland gemeinsam mit Frankreich schon wieder eine Führungsrolle im Nachkriegseuropa zudachte.
Während seine Demontage auf Victor S.‘ Tapete einen dunklen Fleck hinterliess, schlief Winston Churchill bei den Darbietungen der Kabarettistin Elsie Attenhofer ein, so dass ihr Auftritt vorzeitig abgebrochen werden musste. Der hohe Gast war ganz einfach müde, der spätere Literatur-Nobelpreis-Träger soll bis morgens um sieben an seiner «Zürcher Rede» gefeilt haben. Die ZürcherInnen dankten es ihm, obwohl damals die wenigsten Englisch verstanden, mit «anhaltendem Applaus» in der Alma Mater, mit «unbeschreiblichem Beifall» auf dem Münsterhof. Zürichs SchülerInnen hatten frei, viele Angestellte nahmen oder bekamen eine verlängerte Mittagspause. Rund 25’000 hätten sich zwischen die Zunfthäuser zur Waag und zur Meisen, das Eisenwarengeschäft Pestalozzi und das Fraumünster gedrängt, als Churchill der Schweiz eine Vorbildrolle zudachte, weil sie «trotz ihrer Vielfalt zu einer Einheit geworden» (4), sei die Menge «förmlich aus dem Häuschen geraten». «Der Krieg war vorbei, die Schweiz gerade noch davongekommen, aber unsicher, wie gut das Gewissen zu sein hatte», interpretiert der Journalist Markus Somm fünfzig Jahre später das eidgenössische «Churchill-Fieber» (5). «Aussenpolitisch stand man im Abseits, zur Gründungsversammlung der Uno war die Schweiz nicht einmal eingeladen worden. Der Ruf der Schweiz schepperte. ‹Sechs Tage arbeiten die Schweizer für die Nazis›, sagten die Engländer im Krieg, ‹am siebten beten sie für den Sieg der Alliierten.› Zwei lange Jahre hatte man in Moskau betteln müssen, um mit der Sowjetunion endlich diplomatische Beziehungen aufnehmen zu können. Die Stimmung war schlecht, aber jetzt kam der Sieger Churchill und machte einen glauben, man sei wieder aufgenommen im Kreis der anständigen Nationen.»
Bis in den Limmatquai hinein seien die Leute gestanden, erzählt Victor S., der die Hände im Hosensack liess, als das tausendfache Fleisch- und Knochengeklopfe losging, der nach dem antifaschistischen Zwischenspiel schon wieder antibolschewistische Töne ausmachte. Die Reden von Fulton und Zürich waren für ihn ein Fanal, eine grosse Enttäuschung, dass Churchill – dieser «phantastische Staatsmann, der mitgeholfen hat, zusammen mit der Sowjetunion, die Nazis zu zerschlagen» – das alte Lied anstimmte, dass aus seinem Munde plötzlich «eine Attacke gegen den Kommunismus kam». Jetzt zerbrach die Allianz des Zweiten Weltkrieges auch an Victor S.‘ Bürowand. Zurück blieben die aus der Zeitung geschnittenen Fotos der «vier Heiligen» – Marx, Engels, Lenin, Stalin -, «aber auch nicht mehr lange», schmunzelt Victor S., und er schmunzelt charmant, «ich bin kein grosser Götzenverehrer».

«Im Herzen war ich immer Kommunist»

Er konnte es nicht wissen, damals, welche Bedeutung diese Frage noch bekommen würde. Auch der dank später Geburt Davongekommene stellt sie ihm, warum er, als Mitglied der ersten Stunde, 1947 die PdA verlassen, 1953 der Sozialdemokratischen Partei beigetreten, aus der er 1957 ausgeschlossen wurde, und Anfang der Sechzigerjahre in «die Partei» zurückgekehrt sei. «Im Herzen war ich immer Kommunist», beteuert er. Es ist in seinem Gesicht zu lesen, er spricht nicht gern darüber, dass er ein «Doppelleben» führen musste, glaubte führen zu müssen. Weil er in Bern studieren wollte, auf Einkünfte angewiesen war, im Statistischen Amt arbeitete, den Kindern der Berner Aristokraten Nachhilfestunden gab und die Unterstützung seiner Professoren brauchte, die einem Kommunisten das Studium schwer gemacht, damals. Der Kalte Krieg hatte schon begonnen, nach 48, Tschechoslowakei, die Verhärtung. Und so gab es zwei S., musste es zwei S. geben – den Marxisten, in seinen vier Wänden, mit seinen Büchern – Marx, Engels, Lenin -, seiner Ideologie, und S., der zu vorsichtigem, clandestinem Verhalten gezwungen war.

  • Der nächste Teil der Serie «Die Schiwoff-Affäre – vor 60 Jahren» erscheint in wenigen Tagen.

(1) Max Sauter: Churchills Schweizer Besuch 1946 und die Zürcher Rede, Dissertation 1976
(2) do.
(3) do. «Über diese Besprechung hat mir alt Bundesrat Petitpierre berichtet. Die hier vertretene Ansicht darf nicht ganz wörtlich genommen werden. Sie zeigt jedoch, wie sehr sich Churchill 1946 mit dem Gedanken einer bevorstehenden militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion beschäftigt.»
(4) do.
(5) Tages-Anzeiger, 18.9.1996

Victor S.: Victor Schiwoff, geboren am 22. November 1924 in Meiringen. Der Vater war Russe, die Mutter Polin; beide schlossen ihr Medizinstudium in Zürich ab. Kurz vor Matura-Abschluss wurde Victor Schiwoff vom Militär einberufen – 300 Aktivdiensttage. 1945 als jüngstes Parteimitglied bei der Gründung der Partei der Arbeit dabei. 1946 den Matura-Abschluss nachgeholt. 1947 bis 1951 Studium mit Abschluss als Dr. rer. pol. Nach verschiedenen Tätigkeiten 1954 erste Arbeiten für den VPOD, u.a. die Studie zum 50-Jahr-Jubiläum «Das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst», 1955 Wahl zum Sekretär der VPOD-Sektion Luftverkehr, 1956 die sogenannte «Schiwoff-Affäre», mit Ausschluss aus VPOD. Nach einer kurzen Zeit der Stellenlosigkeit verschiedene Arbeiten, u.a. als Hilfsmaler und Packer in einer Buchhandlung. 1960 bis 1971 Redaktor beim «Vorwärts» in Genf, wo er als Mitglied der PdA in den Gemeinderat von Meyrin und in den Grossrat des Kantons Genf gewählt wurde. 1971 bis zu seiner Pensionierung 1989 Zentralsekretär VPOD, in Zürich. Am 5. April 2006 gestorben.

Elsi S.: Elsi Schiwoff, geborene Wettstein. Am 3. Januar 1925 in Meilen geboren. Ausbildung: Handelsmatura in Neuenburg, Latein-Matur in Zürich, Diplom für französische Sprache und Zivilisation an der Sorbonne in Paris. Tätigkeit als Verwaltungsangestellte in Treuhandbüros, Wohn-Bau-Genossenschaft und Gewerkschaft GBI. Politisches Engagement: hauptsächlich in Genf-Cointrin. Am 20. März 2004 gestorben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Das Buch «Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss – Eine literarische Reportage aus dem Kalten Krieg» von Jürgmeier ist 2002 im Chronos-Verlag, Zürich, erschienen.

Zum Infosperber-Dossier:

Cover_Staatsfeinde

Die Schiwoff-Affäre – vor 60 Jahren

Am 19.12.56 wird VPOD-Gewerkschafter Victor Schiwoff verhaftet. Eine Fichengeschichte aus dem Kalten Krieg.

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Eine Meinung zu

  • am 12.12.2016 um 16:18 Uhr
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    Das Besondere an der Nachkregszeit war ja: Hier wurde ein Begriff von Demokratie neu entwickelt, der sich von dem der linken Tradition wesentlich unterschied, an dem Traditionalisten, Konservative, Rechte endlich gleichberechtigt teilhaben konnten.

    Die USA waren sicher der große historische Vorreiter dafür; vor allem, seitdem Roosevelt den propagandistischen Linksruck korrigieren musste, um via seiner vier Freiheiten die Republikaner mit ins Kriegsboot zu holen. Aber Churchill hat auch dazu beigetragen, indem er den Unterschied zwischen kommunistischer und freiheitlich-demokratischer Staatsform herausarbeitete. Und die Schweiz hat da enorme wertvolle Vermittlungs- und Versöhnungsarbeit geleistet. Der Eugen Rentsch Verlag z.B.: Seine deutsche Übersetzung von Russell Kirks Hauptwerk gehört zu meinen gehüteten Bücherschätzen. (Ein anderes Schmuckstück, auf das die Schweizer stolz sein können: die Arbeit der «Moralischen Aufrüstung» in Caux.) Kurzum, die Schweizer hatten keinen Grund, sich für die Zeit vor 1945 zu schämen, aber die Zeit nach 1945 war die Zeit ihrer großen Verdienste.

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