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Alltag in Addis Abeba © TVR

Nord und Süd bleiben tief gespalten

Andreas Zumach /  Auf einer Konferenz in Addis Abeba beraten die 193 UNO-Staaten über die künftige Entwicklungsfinanzierung.

Ab Montag (13.7.) sollen die für Entwicklungspolitik und für die Finanzen zuständigen Minister der 193 Uno-Mitgliedsstaaten auf einer viertägigen Konferenz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba über die zukünftige Entwicklungsfinanzierung entscheiden. In allen wesentlichen Fragen bestehen allerdings weiterhin große Differenzen, die auch in monatelangen Vorverhandlungen zwischen den Botschaftern in der New Yorker Uno-Zentrale nicht überwunden werden konnten.

Es sind sehr grundlegende Streitfragen, und mehr denn je ist die Uno gespalten in reiche und arme Länder, in Nord und Süd. Soll die «Entwicklung» armer, «unterentwickelter» Länder vorrangig durch deutlich gesteigerte öffentliche Entwicklungsgelder der reichen Industriestaaten finanziert werden? Das fordern die in der «Gruppe der 77» (G77) zusammengeschlossenen 134 Länder des Südens. Oder sind gewinnorientierte Investitionen privater Konzerne der bessere Entwicklungsweg? Das wollen die meisten Industriestaaten.

Aber das ist nur eine von vielen Kontroversen – in Addis Abeba geht es um viel mehr. Denn diese seit 2002 dritte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung bildet auch den Auftakt für zwei weitere globale Konferenzen in diesem Jahr: Ende September will die UN-Generalversammlung in New York  die Nachfolge der sogenannten Milleniumsziele beschließen. 17 «Ziele nachhaltiger Entwicklung» (Sustainable Development Goals – SDG) sind bereits  seit Monaten ausformuliert worden. Und im Dezember sollen in Paris endlich neue globale Klimaschutzziele vereinbart werden.

Beides aber, Klimaschutz und SDG, braucht Geld. Wenn die Konferenz von Addis Abeba scheitert, befürchten daher viele Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, kann auch in New York und Paris nichts Tragfähiges herauskommen. 

Bei der ersten Entwicklungsfinanzierungskonferenz, die 2002 im mexikanischen Monterrey tagte, hatten sich die beteiligten Staaten auf sechs Handlungsfelder geeinigt, die sie im sogenannten «Konsens von Monterrey» festhielten:

1. Die Entwicklungsländer sollen mehr eigene Mittel für Entwicklung mobilisieren.

Damit war gemeint, dass die Staaten selbst mehr Steuern einnehmen und für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung und Infrastruktur ausgeben sollen. Zwar konnten zahlreiche Länder im ersten Jahrzehnt nach Monterrey ihr Steueraufkommen und in der Folge auch ihre eigenen öffentlichen Ausgaben für Entwicklungsmaßnahmen deutlich erhöhen. Diese Ausgaben stiegen zwischen 2002 und 2011 sehr viel stärker, als die internationalen Entwicklungsgelder. Dennoch haben viel zu viele Länder des Südens bis heute eine erheblich niedrigere Staatsquote als die Industriestaaten, nehmen also viel zu wenig Steuern ein. Zudem verloren die 134 Staaten der G77 allein zwischen 2002 und 2011 durch Steuerflucht und diverse Steuervermeidungstricks transnationaler Unternehmen rund 992 Milliarden US-Dollar. Das ist weit mehr, als diese Staaten in diesem Zeitraum an öffentlichen Entwicklungsleistungen erhielten.

Allein die 57 afrikanischen Staaten, darunter auch die meisten der 50 nach Uno-Definition «am wenigsten entwickelten Länder», verlieren jährlich 50 bis 60 Milliarden US-Dollar durch illegale Finanzströme. Deshalb fordern G77 und viele Nichtregierungsorganisationen die Einrichtung einer Internationalen Steuerorganisation unter dem Dach der Uno, die die Verhandlungskompetenz über Steuerabkommen erhält und den Entwicklungsländern hilft, Steuerschlupflöcher zu schließen. Die Industrieländer lehnen das ab. Sie wollen internationale Steuerpolitik weiterhin im Rahmen der von ihnen dominierten Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordinieren. Unter den 34 Mitgliedsstaaten der OECD befinden sich mit Mexiko, Südkorea und Chile lediglich drei Länder aus der G77. Hauptgrund für diese Haltung ist die starke Lobby transnationaler Konzerne in Brüssel, Washington, Tokio und anderen Hauptstädten. Die Konzerne wollen verhindern, daß die heute bereits zwischen den Industriestaaten der OECD geltenden oder diskutierten Steuerregeln auf die Länder des Südens ausgedehnt werden. Denn in diesen Ländern machen die Konzerne dank ihrer Steuervermeidungstricks bislang noch die größten Profite.

2. Ausländische Direktinvestitionen sollen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken.

Über die Bewertung der Entwicklungswirksamkeit gibt es immer wieder unterschiedliche Meinungen – nicht zuletzt weil einige Länder solch großzügige Gewinntransfers garantieren, sodass zu wenig im Land bleibt. Unstrittig ist, dass in den letzten Jahren des Rohstoffbooms etwa im Bereich Agrarindustrie, aber auch im Bergbau, einige ökologische und soziale Desaster angerichtet wurden. NGOs und G77 fordern daher verbindliche Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards für private Investitionen sowie die Pflicht zur nachträglichen Evaluierung der Wirksamkeit dieser Investionen mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung und die Überwindung von Armut. Der Entwurf der Industrieländer sah das nicht vor.

3. Der internationale Handel soll Motor für Entwicklung werden.

Der globale Freihandel hat bislang weit weniger zur Überwindung der Armut und zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Ländern des Südens beigetragen, als dies bei der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) vor 20 Jahren in Aussicht gestellt wurde. Die G77 und die NGOs fordern von den Industriestaaten mehr Kohärenz zwischen der Handelspolitik und der Entwicklungspolitik. Die Industriestaaten sollten endlich ihre protektionistischen Maßnahmen aufgeben, mit denen sie die eigenen Märkte trotz aller «Freihandels»rhetorik vor allem gegen Landwirtschafts- und Textilimporte aus dem Süden schützen. Zudem fordern die NGOs vor allem von der EU und den USA den Abbau der Agrarexportsubventionen sowie effektive Maßnahmen zum Schutz von KleinbäuerInnen in den Ländern des Südens vor übermächtiger Konkurrenz durch Nahrungsmittelkonzerne aus dem Norden.

4. Die Industriestaaten sollen ihre öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) auf mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erhöhen.

1970 hatte die Uno-Generalversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Industrieländer 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) in Form von finanziellen, technischen oder personellen Leistungen für öffentliche Entwicklungzusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) bereitstellen sollen. Dieses nunmehr 45 Jahre alte Ziel haben bis heute allerdings nur Norwegen, Schweden, Dänemark und Luxemburg erreicht, sowie in jüngster Zeit auch Großbritannien. G77 und NGOs fordern von den Industrieländern einen verbindlichen Zeitplan zur Erreichung dieses Ziels – die wollen sich darauf aber auch in Addis Abeba nicht einlassen.

5. Hochverschuldeten Entwicklungsländern soll ein Teil ihrer Schulden erlassen werden, damit eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung möglich wird.

G77 und NGOs fordern seit langem ein faires und unabhängiges Staateninsolvenzverfahrens, durch das die Verschuldung eines Staates beurteilt und Entscheidungen getroffen werden über Maßnahmen zur Entschuldung und über das «Ob» und «Wieviel» eines Schuldenerlasses. Diese Entscheidungen sollen sich jeweils auf ein unabhängiges Gutachten stützen, das die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses beurteilt, ohne dass der Gutachter selbst – wie bislang üblich – vom Schuldner oder seinen Gläubigern (zum Beispiel dem IWF und der Weltank) abhängig wäre. Wesentliches Kriterium für die Höhe eines Schuldenerlasses soll der Finanzierungsbedarf für die Umsetzung der SDG‘s sein. Im September 2014 forderte die Uno-Generalversammlung mit überwältigneder Mehrheit, den Rechtsrahmen für eine unabhänigiges Staateninsolvenzverfahren zu schaffen. Lediglich Deutschland und zehn weitere Industriestaaten stimmten gegen diese Resolution. Diese Staaten setzen weiterhin darauf, Verschuldungskrisen durch neue multilaterale Kreditvergaben zu verschieben, statt sie durch Schuldenschnitte und -erlasse tatsächlich zu lösen.

6. Die internationale Finanzarchitektur soll unter Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer reformiert werden.

Vor allem müssen die Entwicklungsländer in die Entscheidungen der internationalen Finanz- und Handelsorganisationen stärker einbezogen werden. Vor 13 Jahren als Teil des Konsens formuliert, steht eine Umsetzung bis heute aus. Reformen von IWF und Weltbank, die den Ländern des Südens mehr Stimmrechtsanteile und damit eine gerechtere Beteiligung an den Entscheidungen dieser Institutionen ermöglichen würden, sind noch immer nicht erfolgt. Auch nach ersten seit der Konferenz von Monterrey beschlossenen und im IWF bereits vollzogenen Reformen sind nicht nur die Entwicklungsländer, sondern ist auch die Wirtschaftsweltmacht China in beiden Finanzinstitutionen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. So verfügt etwa Belgien proportional zu seinem nationalen BNE weiterhin über mehr Stimmrechtsanteile als China.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. – Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.

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