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Beate Zschäpe betritt den Gerichtssaal zum Auftakt des NSU-Prozesses in München. © SRF

Neonazis: Die unterschätzte Rolle der Frauen

Jürg Müller-Muralt /  Frauen spielen eine wichtigere Rolle in rechtsextremen Kreisen als gemeinhin angenommen, auch als menschenverachtende Täterinnen.

Die Anklageschrift im laufenden Prozess gegen die mutmassliche deutsche Nazi-Terroristin Beate Zschäpe von Mitte Mai war deutlich: Die Angeklagte sei keineswegs Mitläuferin, sondern Mittäterin. Das Mord-Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sei ein gleichberechtigtes Tötungskommando gewesen, sagte der anklagende Bundesanwalt. Doch die Sprache vieler Medienschaffender verrät, dass sie nach wie vor das Bild der Mitläuferin im Kopf haben, wenn sie über Frauen in der rechtsextremen Szene berichten. Vom Boulevardblatt «Bild», über den öffentlich-rechtlich Sender ZDF bis zur linken «taz» (Tageszeitung): Immer wieder wurde und wird Beate Zschäpe als «Nazi-Braut» bezeichnet. Mitunter war sie auch ein «böses Girlie», eine «gefährliche Mitläuferin» oder eine «zärtliche Katzenmama und Terrorbraut».

Nicht nur Zudienerinnen

Das ist mehr als eine terminologische Lappalie. Der Monsterprozess in München wird das Bild vielleicht dereinst nachhaltig korrigieren, doch bis heute herrscht die Meinung vor, Frauen spielten in Neonazi- und anderen rechtsextremen Kreisen eine eher untergeordnete, zudienende Rolle. Auch wenn es bisher in der öffentlichen Wahrnehmung kaum registriert worden ist: Frauen nehmen in rechtsextremen und Neonazi-Szenen wichtige Funktionen wahr. Bereits im November 2011 hat sich für das Forschungsnetzwerk «Frauen und Rechtsextremismus» Michaela Köttig, Professorin an der Fachhochschule Frankfurt am Main, in einem Offenen Brief zum Fall Zschäpe geäussert. Sie hat die Medienschaffenden dazu aufgerufen, «rechtsextreme Frauen als das zu sehen und darzustellen, was sie sind: mutmassliche rassistische, menschenverachtende Täterinnen.»

Das «sympathische» Gesicht der Nazis

Es ist problematisch, den Rechtsextremismus als ausschliesslich männerdominiertes Phänomen zu begreifen. Martialisches Auftreten, Nazi-Fratze mit Glatze, Springerstiefel und Männlichkeitsrituale: Das sind zwar nicht nur Klischees, aber sie verstellen den Blick auf die Vielfalt dieser Szene, vor allem auch den Blick auf die Rolle der Frauen. Die einseitige Wahrnehmung wird von diesem Milieu teilweise auch bewusst ausgenützt. Sehr häufig betätigen sich Frauen als das «sympathische» Gesicht nazistischer Gruppierungen: Sie mieten Räumlichkeiten, sie stehen hinter Informationsständen, betreuen Kinder bei Sommerfesten. Damit wird die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Ideologie kaschiert. Frauen nehmen also häufig Funktionen in den Bereichen Vernetzung, Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Logistik wahr. In einem Beitrag auf der Internet-Plattform «Netz gegen Nazis» (Link siehe unten) wird auch aufgezeigt, wie Frauen ihre rassistische Ideologie häufig über soziale Strukturen verbreiten: als Mütter in der Kindertagesstätte, im Sportverein, als besorgte und immer hilfsbereite Nachbarin.

Frauen senken Hemmschwelle

Wie vielfältig sich Frauen in der rechtsextremen Szene betätigen, zeigt das Buch «Mädelsache! Frauen in der rechtsextremen Szene» (Link siehe unten). Die aufwändige Recherchierarbeit bestätigt, dass soziales Engagement im vermeintlich vorpolitischen Raum sehr wichtig ist. Die Autoren weisen zudem nach, dass die Hemmschwelle sinkt, die Nationaldemokratische Partei (NPD) zu wählen, wenn eine Frau zur Wahl steht.

Kein friedfertiges Geschlecht

Michaela Köttig vom Forschungsnetzwerk «Frauen und Rechtsextremismus» schreibt in einem zweiten, im April 2013 veröffentlichten Offenen Brief, dass ohne diese logistischen und kommunikativen Funktionen rechte Terrorakte, Morde und Überfälle kaum denkbar wären (Link siehe unten). Aber das ist nur die eine Seite weiblichen Engagements in diesem Milieu: «Zum anderen sind auch in der Vergangenheit seit 1945 extrem rechte Frauen als Anstifterinnen, vorbereitende Kaderinnen, Fluchthelferinnen und gewalttätige Täterinnen in Erscheinung getreten und dafür zum Teil zu Haftstrafen verurteilt worden.» Extrem rechte Frauen handelten «ebenso wie ihre männlichen Kameraden gewalttätig, und aus politischer Überzeugung. Sie sind mitnichten als das ‚friedfertige Geschlecht‘ anzusehen, als das sie mitunter dargestellt werden.»

Rolle der Frauen aufarbeiten

Im Offenen Brief äussert Michaela Köttig die Befürchtung, dass im NSU-Prozess den Unterstützerinnen zu wenig Beachtung geschenkt wird. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden zählt das bisher bekannte Unterstützungsnetzwerk des NSU weit über einhundert Personen. Köttig schreibt, dass gemäss Recherchen der Frauenanteil rund 20 Prozent betrage. Bisher sei aber nur eine einzige Frau vorgeladen worden. Im laufenden Prozess müsse alles getan werden, die Rolle von Frauen «jenseits von Geschlechterstereotypen genau zu rekonstruieren.»

Stärkere Radikalisierung als Männer

Die Zahlen sind bemerkenswert: Der Anteil von Frauen an direkten rechtsextremen Straftaten beträgt je nach Quelle zwischen fünf und zehn Prozent. Bei so genannten Propagandadelikten und Volksverhetzungen sind Frauen allerdings öfter beteiligt als Männer, wie das Netz gegen Nazis schreibt. Gewaltbereite Frauen radikalisierten sich zudem stärker als Männer. Der Grund: Wenn sich Frauen in einer männerdominierten und von Männlichkeitsritualen durchtränkten Umgebung behaupten wollen, müssen sie «fanatischer und gewaltbereiter sein als ihre männlichen Gesinnungsgenossen.» Der Frauenanteil in rechtsextremen Parteien beträgt rund 20 Prozent. In den Netzwerken, Cliquen und Kameradschaften sind es zwischen 10 und 30 Prozent. Die Wählerschaft rechtsextremer Parteien liegt stabil bei rund einem Drittel Frauen.

Diese Zahlen sind in der Broschüre «Mädchen und Frauen in der extremen Rechten» vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Hamburg zu finden (Link siehe unten). Die knappe Dokumentation bietet ausgezeichnetes Material zu Frauenbildern in der extremen Rechten in Theorie und Praxis, zur optischen Erscheinung und zu Organisationsformen, aber auch methodisch-didaktische Anregungen für Schulen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Rechtsextreme in Europa

Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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