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Das Volk feiert Aung Suu Kyi nach dem Wahlsieg der Nationalen Liga für Demokratie © Htoo Tay Zar/Wikimedia Commons/cc

Myanmar: Die «Lady» bewegt sich auf dünnem Eis

Peter G. Achten /  Entscheidende Phase beim dritten Anlauf zur Demokratie in Burma: Wer wird «unter» der Demokratie-Ikone Aung San Suu Ky Präsident?

Das alte, von der Militärpartei «Union der Solidarität und Entwicklung» (USDP) beherrschte burmesische Parlament traf sich Ende Januar zu seiner letzten Sitzung. Präsident Thein Sein, als ehemaliger General seit der Öffnung vor fünf Jahren als Zivilist an der Spitze des Staates, sagte unter dem Applaus der Abgeordneten: «Obwohl es Schwierigkeiten und Hindernisse gab, ist uns der Übergang zur Demokratie gelungen.» Dies sei «ein Triumph für alle Menschen in Myanmar». Auch der mächtige Armeechef General Min Aung Hlaing gab sich versöhnlich und versprach die Unterstützung der Militärs. Was also die meisten Kommentatoren, Experten und Pundits noch vor wenige Jahren für unmöglich gehalten haben, ist Tatsache geworden: ein geordneter, friedlicher Übergang von einem halben Jahrhundert Militärdiktatur zur Demokratie oder im burmesischen Militär-Jargon zur «disziplinierten Demokratie».
Gemeinsam in die Zukunft
Nur drei Tage später trat das neue Parlament zusammen. Aus der Regierungspartei USDP ist plötzlich eine kleine Oppositionspartei geworden. Sie hält in den zwei Häusern des Parlaments gerade noch 41 von 657 Sitzen. Doch das Verhältnis täuscht, denn den Militärs stehen laut Verfassung 25 Prozent der Sitze zu – also 166. Dennoch verfügt die Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach dem überwältigenden Wahlsieg vom November mit 390 Sitzen über die absolute Mehrheit. Mithin kann die NLD auch den neuen Präsidenten wählen. Allerdings kann sie nicht die Verfassung ändern. Hier haben die Militärs mit ihren 25 Prozent Sitzen ein faktisches Vetorecht. Überdies stehen den Uniformierten laut Verfassung die drei Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzsicherheit zu.
Im Augenblick agiert die NLD und ihre Führung vorsichtig. Die NLD-Abgeordneten, unter ihnen 110 ehemalige politische Häftlinge, geben sich versöhnlich. Als erstes Geschäft wurde der Präsident des Unterhauses gewählt. Es ist der Jurist und ehemalige politische Gefangene U Wint Myint. Als seinen Stellvertreter aber wählten die Abgeordneten einen Vertreter der Kachin-Minderheit, U Ti Khun Myat von der jetzt oppositionellen USDP.
Verfassungs-Artikel 59 «für die Ewigkeit»?
Die NLD-Führung signalisierte den Militärs, dass man gemeinsam in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit blicken wolle. Auch bestehe man nicht auf einer schnellen Verfassungsänderung. Das ist ein heikles Thema, denn gemäss Artikel 59 der Verfassung kann Aung San Suu Ky nicht als Präsidentin kandidieren, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war und ihre beiden Söhne britische Pässe besitzen. Dieser Passus wurde 2008 von den Militärs in die Verfassung geschrieben. Als Vorlage diente die kurz vor der Unabhängigkeit 1947 geschriebene Verfassung, deren Mitgestalter General Aung San war, der Vater von Suu Kyi.
«Wenn die Militärs mit einer Verfassungsänderung einverstanden wären», so NLD-Gewissen U Tin Oo «würde das ihr Vertrauen in unsere Nation und ihre Sympathie zum Volk zeigen». Der frühere General, der nach 1988 zur NLD wechselte, fügte jedoch hinzu: «Die NLD-Politik gegenüber den Militärs besteht darin, derzeit keinerlei Druck auszuüben.»
So versöhnlich sich Armeechef Min Aung Hlaing auch gibt, sehen das offenbar nicht alle Uniformierten gleich. In einer von der Armee unterstützen Zeitung hiess es Anfang Februar, dass der Verfassungs-Artikel 59 «für die Ewigkeit» nicht verändert werden solle.
Machtanspruch der Demokratie-Ikone
Präsident Thein Sein muss bis Ende März sein Amt abgeben. Das Unter- und das Oberhaus sowie das Militär werden je einen Kandidaten bestimmen. Da die NLD über die absolute Mehrheit verfügt, ist der Wunschkandidat der Nationalen Liga für Demokratie gewiss. Noch unklar ist hingegen, wer kandidieren wird.
U Tin Oo hat sich bereits aus dem Rennen genommen. Präsident Thein Sein, lange ein möglicher Kandidat, liess verlauten, dass er den USDP-Vorsitz übernehmen werde, allerdings kann er dann gemäss Gesetz nicht mehr Staatspräsident werden. Noch immer als möglicher Kandidat gehandelt wird der ehemalige USDP-Unterhaus-Vorsitzende Shwe Mann, dem seit der Öffnung ein gutes Verhältnis zu Aung Suu Kyi bescheinigt wird. Viele gehen auch davon aus, dass Suu Kyis langjähriger Arzt und Vertrauter, U Tin Myo Win, vorgeschlagen werden könnte. Er war einer der wenigen, der Suu Kyi während ihres langjährigen Hausarrests regelmässig besuchen durfte.
Der 70-jährigen Friedensnobelpreisträgerin – respekt- und liebevoll im Lande seit langem auch «The Lady» genannt – ist es jedoch egal, welcher NLD-Parteifreund Präsident wird. Kurz nach dem überwältigenden Wahlsieg äusserte sie nämlich glasklar, dass sie «über dem Präsidenten» stehen werde und die Geschicke das Landes in jedem Fall in letzter Instanz entscheiden werde.
Auf dünnem Eis
In den letzten vier Jahren hat sich in Myanmar viel verändert. Nach 50 Jahren Diktatur gilt für die Burmesen wieder Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Wirtschaftsreformen sollen das total verarmte Land auf die Beine bringen. Doch die Herausforderungen sind auch jenseits der ökonomischen Probleme enorm. Noch immer gibt es zum Teil bewaffnete Konflikte mit nationalen Minderheiten. Ein Religionskonflikt zwischen der buddhistischen Mehrheit (85 Prozent) und der muslimischen Minderheit (8 Prozent) schwelt weiter, insbesondere die Verfolgung der Volksgruppe der Rohingyas.
Von der siegreichen NLD-Partei erwartet das Volk viel und schnelle Resultate. Doch bislang ist von einem durchdachten Wirtschafts- und Sozialprogramm der neuen Mehrheit noch wenig sichtbar. Aung San Suu Kyi, nun in der Realpolitik angekommen, bewegt sich auf dünnem Eis. Denn sie ist nicht mit Südafrikas Nelson Mandela zu vergleichen. Die moralische Deutungshoheit als Friedensnobelpreisträgerin und Kämpferin für die Menschenrechte hat sie bereits verloren, indem sie zum Problem der verfolgten muslimischen Minderheit der Rohingyas hartnäckig schweigt und dazu nur ausweichend Stellung nimmt. Zudem gilt sie innerhalb der Partei als autoritär und als kritikresistent.
Nimmt man allerdings die politische Leistung von Aung San Suu Kyi seit der Aufhebung des Hausarrests 2010 zum Massstab – zumal ihr konzilianter Umgang mit den ehemaligen Peinigern vom Militär – wäre sie gewiss in der Lage, die delikaten und schwierigen Herausforderungen zu meistern. Die Neunerprobe wird die Präsidentenwahl bis Ende März sowie die kurze Zeit danach sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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