SchimpanseimZooBasel

Schimpanse im Zoo Basel © Klaus Petrus

Volksinitiative verlangt Grundrechte für Primaten

Tobias Sennhauser /  Menschen haben Rechte, Tiere sind Eigentum. Eine Basler Volksinitiative will das ändern. Und sie ist nicht allein.

«Viele Leute denken, dass an Primaten in der Schweiz nicht geforscht werden darf», sagt Meret Schneider, Projektleiterin der Denkfabrik «Sentience Politics». Tatsächlich leben alleine im Kanton Basel jährlich rund 300 Primaten, die primär zu Forschungszwecken eingesetzt werden. «Massive Eingriffe, wie das Aufbohren der Schädeldecke, sind möglich», meint Schneider. Im Labor würde man die Versuchstiere hungern und dursten lassen, um sie gefügig zu machen.

Geht es nach Meret Schneider, sollen Primaten künftig davor geschützt werden. «Sentience Politics» wird in Basel-Stadt eine kantonale Volksinitiative einreichen. Diese fordert ein Recht auf Leben und Unversehrtheit für Primaten wie Rhesusaffen, Schimpansen oder Gorillas. Eine Untergruppe der Primaten sind die Menschenaffen oder Hominidae, wozu auch der Homo sapiens gehört (Grafik: Sytematik von Primaten und Menschenaffen; Quelle: Wikipedia).

Die Initiative bricht mit der Tradition des ethischen Tierschutzes. Dieser fordert zwar, dass die Tiere um ihrer Selbst willen geschützt werden müssen, doch er unterstellt die Behandlung von Tieren stets einer Güterabwägung. Ist der Nutzen für den Menschen gross genug, kann innerhalb gewisser Schranken jedwelche Praxis im Umgang mit Tieren gerechtfertigt werden, sei es in Tierversuchen oder auch in der Nutztierhaltung.

Mit der Annahme der Initiative würde sich das für die Primaten ändern. Als Grundrechtsträger würden sie beim Recht auf Leben und Freiheit den Menschen gleichgestellt: Ihr Leben und ihre Gesundheit wären geschützt, unabhängig von einem möglichen Nutzen. Zudem könnten diese Rechte vor einem Gericht eingeklagt werden.

«Gemeinschaft der Gleichen»

Die Idee, unseren nächsten Verwandten Grundrechte zu gewähren, geht auf die PhilosophInnen Paola Cavalieri und Peter Singer zurück. Im Jahr 1993 initiierten sie das «Great Ape Project» (GAP) mit dem Ziel, die «Gemeinschaft der Gleichen» auf Menschenaffen auszuweiten. Cavalieri und Singer erhielten Unterstützung von namhaften WissenschaftlerInnen, darunter die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall oder der Evolutionsbiologe Richard Dawkins.

Zu GAP gehört auch die «Deklaration über die Grossen Menschenaffen». Diese fordert ein Recht auf Leben, den Schutz der individuellen Freiheit sowie das Verbot der Folter. Als Begründung wird die Ähnlichkeit des Menschenaffen zum Menschen genannt. «Auch sie haben geistige Fähigkeiten und ein emotionales Leben, die hinreichend sind, ihre Einbeziehung in die Gemeinschaft der Gleichen zu rechtfertigen», heisst es in der Deklaration.

Die Deklaration kommt laut Cavalieri und Singer zu einem besonderen Zeitpunkt. «Nie zuvor war unsere Herrschaft über andere Tiere so durchdringend und systematisch». Ebenso sei aber eine rationale Ethik entstanden, die die moralische Bedeutung der Zugehörigkeit zu unserer eigenen Spezies in Frage stellt. «Die langsame, aber stetige Ausdehnung der Reichweite der goldenen Regel – ‹behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest› – ist weiter fortgeschritten», steht in der Deklaration.

Die Volksinitiative von «Sentience Politics» unterscheidet sich in zwei wichtigen Punkten von GAP. Zum einen geht es bei der Initiative um sämtliche Primaten, wovon die Menschenaffen oder Hominidae bei GAP bloss eine Untergruppe bilden. Zum anderen fehlt in der Initiative das Recht auf Freiheit. Für Meret Schneider hat das politische Gründe: «Mit dem Recht auf Leben und Integrität fordern wir das, was am wenigsten umstritten ist.»

«Das Reden über Rechte sein lassen»

Bislang sind Rechte den Menschen vorbehalten. Laut dem renommierten Zoologen und Verhaltensforscher Frans de Waal soll das auch so bleiben. In seinem Artikel «Tierrecht» räumt de Waal zwar ein, dass Primaten die Auswirkungen ihres eigenen Handelns verstehen, Emotionen weitergeben und Entscheidungen treffen. Und weiter: «Einigen Tieren wie den Schimpansen werden sogar rudimentäre politische und kulturelle Fähigkeiten zugesprochen.» Das emotionale Leben dieser Tiere würde dem unsrigen weit mehr ähneln, als man einst für möglich gehalten hat.

Dennoch hält de Waal moralische Rechte für Primaten für verfehlt. «Rechte sind Teil eines Gesellschaftsvertrags, der ohne Verantwortlichkeit sinnlos ist», meint de Waal. Tiere könnten und wollten nicht gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sein. Er hat einen anderen Vorschlag: «Wie wäre es, all das Reden über Rechte sein zu lassen und stattdessen ein Gefühl für Verpflichtungen zu propagieren?»

Für Meret Schneider beruht diese Haltung auf einem weit verbreiteten Missverständnis. «Rechte sind nicht an Pflichten gebunden», erklärt sie und verweist auf die geltende Rechtslage: «Kleinkinder oder Menschen mit schwerer geistiger Behinderung sind auch nicht in der Lage, Pflichten wahrzunehmen.» Trotzdem würden sie über Grundrechte verfügen.

«Der Staat kennt verschiedene Stellen, um die Grundrechte von Schwächeren zu schützen», sagt Schneider. Dazu gehört die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Grundrechte von Primaten können laut Schneider ähnlich gewährleistet werden. Es bräuchte etwa eine speziell beauftragte Person bei der Kesb oder eine andere Vormundschaftsbehörde.

Wo die Grenze ziehen?

Manchen geht die Forderung nach Grundrechten für Menschenaffen oder gar Primaten zu weit. Manchen geht sie indes nicht weit genug. Dazu gehört der amerikanische Rechtsprofessor Gary Francione. Zwar unterschrieb er damals die GAP-Deklaration. Heute zählt Francione jedoch zu den vehementesten Kritikern.

Die Idee, die hinter GAP steckt, nennt Francione «Theorie der Geistesverwandschaft». Ihr Ziel sei es, herauszufinden, inwieweit Tiere über menschenähnliche kognitive Eigenschaften verfügen. «Ob nicht-menschliche Tiere kognitive Fähigkeiten haben, die den unsrigen ähneln oder nicht, mag wissenschaftlich interessant sein», so Francione in seinem Essay «Empfindungsfähigkeit, ernst genommen». Moralisch gesehen sei das hingegen völlig irrelevant.

Francione lehnt die Vorstellung ab, dass das Ich-Bewusstsein einen besonderen moralischen Stellenwert habe. Das einzige, was für ihn zählt, ist die Empfindungsfähigkeit. «Jedes Wesen, das empfindungsfähig ist, ist sich notwendigerweise seiner selbst gewahr.» Damit überhaupt ein Schmerz vorhanden ist, so Francione, muss ein Bewusstsein – jemand – ihn wahrnehmen. Die Theorie der Geistesverwandschaft sei deshalb grundsätzlich fehlgeleitet und führe höchstens zu neuen Hierarchien in der Tierwelt. Francione fordert stattdessen Rechte für alle empfindungsfähigen Tiere.

GAP-Initiant Peter Singer gibt sich pragmatisch. «Das Great Ape ProjectGAP weist die Idee für Grundrechte für andere Tiere nicht zurück», schreibt Singer in «The Guardian». GAP behaupte lediglich, dass das Argument bei grossen Menschenaffen am stärksten ist. Singer schliesst nicht aus, dass dereinst auch andere Tiere Rechte erhalten.

Vor dem Gesetz eine Person

Seit Beginn des GAP hat sich die Gesetzgebung vieler Länder verändert. 1999 verbot Neuseeland sämtliche Experimente an Menschenaffen. Der bis heute aktuelle Artikel im «Animal Welfare Act» schreibt vor, dass Forschung an Menschenaffen bloss für sie selbst oder ihre Artgenossen geschehen dürfe. Mittlerweile haben ferner Grossbritannien, Schweden und Österreich die Verwendung von Menschenaffen in der medizinischen Forschung verboten. In der Schweiz existiert zwar kein Verbot, doch in der Praxis kommen längst keine Menschenaffen mehr zum Einsatz.

«Tiere sind keine Sachen», heisst es seit 2003 im Schweizerischen Zivilgesetzbuch. Dennoch, so der Zusatz im Gesetzestext, gelten für Tiere die auf Sachen anwendbaren Vorschriften. Sie können deshalb gezüchtet, gehandelt, transportiert, deformiert und getötet werden, sofern es das Tierschutzgesetz erlaubt. In der Buchhaltung spricht man nur noch von «lebendem Inventar». Entscheidend ist also weniger, ob Tiere Sachen sind, sondern ob sie vor dem Gesetz Personen sind.

Rechtsanwalt Steven Wise spricht von einer juristischen Mauer, die Menschen von Tieren trennt: Menschen haben Rechte, Tiere sind Eigentum. Um diese Mauer zu durchbrechen, gründete der US-Amerikaner das «Nonhuman Rights Project» (NhRP). Indem ein Gericht einen Menschenaffen als Rechtsträger anerkennt, will Wise einen Präzedenzfall schaffen. Dazu greift er auf «Habeas Corpus» zurück – ein Recht von (menschlichen) Gefangenen, unverzüglich eine gerichtliche Haftprüfung zu erzwingen.

Steven Wise liess sich von einem historischen Urteil von 1772 inspirieren. Darin kam der afrikanische Sklave James Sumerset unter Berufung auf Habeas Corpus vor ein Gericht und wurde daraufhin frei gesprochen. Das Urteil beflügelte daraufhin die Anti-Sklaverei-Bewegung. Analog will Wise die juristische Grundlage der Gefangenschaft von Menschenaffen aushebeln. Bislang blieb er jedoch ohne Erfolg.

Anders in Südamerika. In Argentinen wurde jüngst die Gefangenschaft der Schimpansin «Cecilia» in einem höchstrichterlichen Entscheid für gesetzeswidrig erklärt. Das Urteil geht auf eine «Habeas Corpus»-Klage der Tierrechtsorganisation «Association of Officials and Lawyers for Animal Rights» zurück, die die Haltungsbedingungen im Zoo der Provinzhauptstadt Mendoza anprangerte. Bereits 2017 soll Cecilia in ein brasilianisches Menschenaffenrefugium gebracht werden.

Auf dem Weg der Antidiskriminierung

Um das «Great Ape Project» (GAP) im deutschsprachigen Raum wieder bekannter zu machen, verlieh die Giordano Bruno Stiftung (gbs) 2011 ihren mit 10‘000 Euro dotierten Ethik-Preis an Paola Cavalieri und Peter Singer. Der Preis sollte ihr tierrechtlerisches Engagement für die Menschenaffen würdigen. 2014 doppelte die gbs mit einer Petition an den Bundestag nach, worin sie ihre Forderung nach Grundrechten für Menschenaffen bekräftigte. Die religionskritische gbs attackiert mit ihrem Engagement gezielt die Vorstellung des Menschen als «Krone der Schöpfung».

So machte auch der Philosoph und gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon in seiner Rede zur Verleihung des Ethik-Preises keinen Hehl daraus, dass das GAP die Chance sei, «unser grössenwahnsinniges Selbstbild ad acta zu legen» und die sakrosankte Trennlinie zwischen Menschen und anderen Tieren zu überwinden. Die Tatsache, dass wir Menschen mit den Schimpansen und Bonobos enger verwandt sind, als diese mit den Gorillas, mache deutlich, dass wir nicht über der Natur stehen, sondern ein Teil von ihr sind.

Für Schmidt-Salomon ist das GAP ferner eine Möglichkeit, Gerechtigkeitsfragen über die Grenze der menschlichen Spezies hinweg auszuweiten. Denn Cavalieri und Singer seien damals ihrer Zeit voraus gewesen. Mittlerweile, so Schmidt-Salomon, sei der Moment gekommen, um nach Rassismus und Sexismus auch die Schranke des «Speziesismus» zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt.

Ähnlich sieht es Meret Schneider von «Sentience Politics». Ihre Volksinitiative betrachtet sie als wichtigen Schritt auf dem Weg der Antidiskriminierung. «Erstmals kann die Schweizer Bevölkerung über die Ausweitung von Grundrechten auf eine nicht-menschliche Spezies abstimmen.» Die Initiative würde eine kritische Reflexion zu unseren kulturell bedingten Schranken ermöglichen, mit denen wir einige Lebewesen von fundamentalen Rechten ausschliessen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Tobias Sennhauser ist freischaffender Publizist und Präsident der Tierrechtsorganisation «Tier im Fokus»

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