KunstmuseumTartuHolocaust

An den Holocaust mit Humor erinnern: zum Lachen? Doch wohl eher zum K... © KMT

Fröhliche KZ-Häftlinge

Jürg Müller-Muralt /  Ein Museum in Estland zeigt Werke, die sich auf künstlerische Weise mit dem Holocaust beschäftigen. Mit schockierendem Resultat.

Estland, Lettland und Litauen sind von der Geschichte stark gebeutelte Staaten. Das Baltikum war lange Zeit Spielball der Grossmächte, die junge Unabhängigkeit dieser drei Staaten ist ihnen ein hohes Gut. Es ist deshalb verständlich, wenn sie sich derzeit von Russland bedroht fühlen und seit langem nach verstärkter Präsenz der Nato als Garantin ihrer territorialen Integrität rufen. Die Angst vor dem mächtigen Nachbarn und die leidvolle Geschichte von Besetzung und Unterdrückung mögen auch Gründe dafür sein, dass im Baltikum manchmal ein etwas irritierender Umgang mit der Vergangenheit gepflegt wird.

Möglicherweise gehört auch eine Ausstellung in Tartu im weitesten Sinn in dieses Kapitel. Im Kunstmuseum der zweitgrössten Stadt Estlands wird derzeit unter dem Titel «Polen – Erinnerung und Vergessen» eine Ausstellung zum Thema Holocaust gezeigt. Gemäss Homepage des Museums geht es um eine Auswahl von Werken zeitgenössischer Kunst, die sich in der einen oder anderen Weise mit dem Albtraum des Zweiten Weltkriegs beschäftigen. Es gehe darum, die eigene Geschichte besser zu verstehen, Minderheiten in der Gesellschaft zu respektieren und wachsendem Extremismus und zunehmender Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten.

Von «Hollywood» zu «Holocaust»

Was dann allerdings gezeigt wird, ist schockierend. So etwa ist ein Bild mit den bekannten Riesenbuchstaben «Hollywood» bei Los Angeles zu sehen, wobei der Hollywood-Schriftzug durch «Holocaust» ersetzt wurde. Was soll das? Uns weismachen, dass die Judenvernichtung durch die Nazis bloss ein Filmereignis ist? Oder: Auf dem Werbeplakat der Ausstellung ist eine durch Schauspieler dargestellte fröhliche Menschengruppe in KZ-Häftlingskleidung zu sehen, die hinter Stacheldraht heiter in die Kamera lächeln. Zwei Videoinstallationen sind besonders abstossend. Die eine zeigt eine Gruppe spielender nackter Menschen in einer Gaskammer von Auschwitz, die andere einen 92-jährigen Überleben des Konzentrationslagers, der offensichtlich unter Druck des «Künstlers» seine auf den Arm tätowierte Häftlingsnummer «auffrischt».

Die Jüdische Gemeinde Estlands und das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem protestierten scharf: Einige der gezeigten Werke «verhöhnen die Erinnerung an den Holocaust», schreibt die Jüdische Gemeinde. Ephraim Zuroff, der Chef des Wiesenthal-Zentrums, verlangte laut Estnischem Rundfunk (ERR) die Schliessung der Ausstellung. Die Ausstellungsmacher rechtfertigten sich damit, dem Trauma des Holocaust bewusst mit Humor entgegentreten zu wollen. Zuroff dagegen findet, ein derart «perverser Humor» habe in keinem Land der Welt Platz, und schon gar nicht in einem Land, in dem Verbrechen nicht nur von Deutschen und Österreichern begangen worden seien.

Museum entschuldigt sich

Der Kurator der Ausstellung, Rael Artel, beruft sich dagegen auf die Freiheit der Kunst, wie der österreichische «Standard» schreibt. In einem Kunstmuseum gebe es keine Zensur. Im Zusammenhang mit der Debatte um «Charlie Hebdo» war auf Infosperber kürzlich zu lesen: «Tatsächlich gibt es Tabus, an die sich auch die schärfsten Satiriker halten. Wer etwa würde es wagen, die Ermordung von Millionen von Juden im Dritten Reich in einer Karikatur als Lachnummer zu zeigen?» Der Autor hat sich ganz offensichtlich in Sachen Schamgrenzen, Tabus und Grenzen der Perversität in unserer Gesellschaft getäuscht.

Immerhin: Das Museum entschuldigte sich wortreich und wich etappenweise vor dem Protest zurück: Am 10. Februar 2015 kündigten die Ausstellungsmacher an, die Videoinstallationen nur noch auf Wunsch und mit einem Kommentar des Kurators zu zeigen; zwei Tage später wurden die Videos vollständig aus der Ausstellung entfernt.

Irritierende Perversitäten

In der estnischen Gesellschaft kommt es in regelmässigen Abständen zu irritierenden und schockierenden Perversitäten im Zusammenhang mit dem Dritten Reich. Zwei Beispiele unter mehreren: Eine estnische Zeitung veröffentlichte vor einigen Jahren eine Anzeige, in der mit einem Bild des Konzentrationslagers Buchenwald für Schlankheitspillen geworben wurde. Und ein estnisches Gasunternehmen wiederum pries seine Dienstleistungen (man wagt es fast nicht zu schreiben) mit einem Bild des Vernichtungslagers Auschwitz an.

Eigenartiges Verhältnis zur Waffen-SS

Auch zur Waffen-SS haben Teile der estnischen Politik ein unverkrampftes Verhältnis. Angehörige dieser besonders brutalen Einheiten werden immer wieder als Freiheitskämpfer gegen die Rote Armee gefeiert. Und immer wieder gibt es Versuche, sie auch offiziell und per Gesetz zu rehabilitieren. Dies ist, wie bereits eingangs erwähnt, vor dem Hintergrund der Geschichte zu sehen: Estland wurde nach zwei Jahrhunderten als zaristische Kolonie erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unabhängig, geriet aber bereits 1939 erneut unter sowjetischen Einfluss. Zwischen 1941 und 1944 war Estland von der deutschen Wehrmacht besetzt und im Anschluss von 1944 bis 1991 wiederum von der Sowjetunion okkupiert.

Trotzdem, so schrieb die «Welt» schon 2012, seien die Rehabilitationsbemühungen der SS «aus deutscher Sicht zumindest irritierend». Die baltischen Staaten erhielten unter den Nazis das Recht auf beschränkte Selbstverwaltung. Allerdings waren die estnischen Selbstverwaltungsorgane und ihre Militär- und Polizeieinheiten tief in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt. So ist zum Beispiel dokumentiert, dass reguläre Polizeieinheiten im besetzten Polen an brutalen Ghettoräumungen beteiligt waren, mit dem Ziel, Juden in deutschen Vernichtungslagern umzubringen. 1944 wurden estnische Freiwillige in der «20. Waffen-Grenadier-Division der SS» zusammengezogen. Sie wurde an der Ostfront gegen die Rote Armee eingesetzt.

Der tragischen Geschichte Estlands zum Trotz: Eine solche Einheit verdient keine nachträgliche Ehrung. Und etwas mehr Sensibilität im Umgang mit den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen könnte in der Gesellschaft des EU- und Nato-Mitgliedes Estland nicht schaden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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8 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 15.02.2015 um 09:18 Uhr
    Permalink

    "Holocaust» ist ein Medientitel, ein Filmtitel, den die mir bekannten Überlebenden von Konzentrationslagern noch vor 40 und 50 Jahren weder gebraucht noch gekannt haben, so wie «Shoa» kein wissenschaftlicher, sondern religiöser Ausdruck ist. Wissenschaftliche Diskussionen sollten nicht auf der Basis zivilreligiöser liturgischer Sprachregelungen erfolgen. Natürlich gibt es eine Hierarchie im Opferkult und etwa 24 Millionen, die fast nie erwähnt werden. Das Thema hat, wie schon Imre Kertesz dartat, sogar seine heitere Seite. Eine mir persönlich bekannte Ueberlebende hat sich von einer deutschen Wiedergutmachungszahlung einen Porsche gekauft, wovon beide Seiten profitierten. Eine Verfilmung ihres Lebens würde sich lohnen.

    PS. Der Begriff «Holocaust» im Zusammenhang mit Deutschland wurde von Dürrenmatts Grossvater Uli in der «Buchsizitig» (1904) in einem humoristischen Gedicht auf Kaiser Wilhelm II. zum mutmasslich ersten Mal gebraucht:

    "Ich bin der Kaiser Schnauzius
    Schnorrantius Logomachus
    Zerschmettre mit der Worte Schwall
    Den Erdball und das halbe All

    Ich rede mit geballter Faust
    Und opfere als Holokaust
    In meinem Zorn die ganze Welt
    Wenn sie sich Mir entgegenstellt"

    Nach F. Dürrenmatt war sein Grossvater ein Antisemit, dafür war Fritz D. 1941 der Meinung, es lohne sich nicht, die Schweiz zu verteidigen, ein Anschluss an Deutschland sei realistisch. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat viele absurde Aspekte, manchmal von den Dürrenmatts mit makabrem Humor kommentiert.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 15.02.2015 um 09:18 Uhr
    Permalink

    "Holocaust» ist ein Medientitel, ein Filmtitel, den die mir bekannten Überlebenden von Konzentrationslagern noch vor 40 und 50 Jahren weder gebraucht noch gekannt haben, so wie «Shoa» kein wissenschaftlicher, sondern religiöser Ausdruck ist. Wissenschaftliche Diskussionen sollten nicht auf der Basis zivilreligiöser liturgischer Sprachregelungen erfolgen. Natürlich gibt es eine Hierarchie im Opferkult und etwa 24 Millionen, die fast nie erwähnt werden. Das Thema hat, wie schon Imre Kertesz dartat, sogar seine heitere Seite. Eine mir persönlich bekannte Ueberlebende hat sich von einer deutschen Wiedergutmachungszahlung einen Porsche gekauft, wovon beide Seiten profitierten. Eine Verfilmung ihres Lebens würde sich lohnen.

    PS. Der Begriff «Holocaust» im Zusammenhang mit Deutschland wurde von Dürrenmatts Grossvater Uli in der «Buchsizitig» (1904) in einem humoristischen Gedicht auf Kaiser Wilhelm II. zum mutmasslich ersten Mal gebraucht:

    "Ich bin der Kaiser Schnauzius
    Schnorrantius Logomachus
    Zerschmettre mit der Worte Schwall
    Den Erdball und das halbe All

    Ich rede mit geballter Faust
    Und opfere als Holokaust
    In meinem Zorn die ganze Welt
    Wenn sie sich Mir entgegenstellt"

    Nach F. Dürrenmatt war sein Grossvater ein Antisemit, dafür war Fritz D. 1941 der Meinung, es lohne sich nicht, die Schweiz zu verteidigen, ein Anschluss an Deutschland sei realistisch. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat viele absurde Aspekte, manchmal von den Dürrenmatts mit makabrem Humor kommentiert.

  • am 15.02.2015 um 13:35 Uhr
    Permalink

    Danke für die interessanten Ausführungen, Herr Meier.

    Nebenbei: Offizieller Gedenktag für die jüdischen Opfer war der 27. Januar. Am 13./14. Februar würde offiziell den Opfern der britisch-amerikanischen Bombardierung der Dresdner Altstadt gedenkt, die sich heuer ebenfalls zum siebzigsten Mal jährt (Filmtipp: «Firestorm over Dresden», https://www.youtube.com/watch?v=dhFLTP5zKqA).

    Herr Muralt hat aber demnächst noch weitere Gelegenheiten, so etwa am 9./10. März die britisch-amerikanischen Angriffe auf Tokyo, der grösste konventionelle Bombenangriff der Menschheitsgeschichte mit 100’000 Toten in einer Nacht. Oder dann am 24. Juli die nahezu vollständige Zerstörung von Hamburg (40’000 Tote, 40’000 Verletzte, selbstredend alles Zivilisten), bevor schliesslich am 6. und 9. August mit Hiroshima und Nagasaki das grosse Finale der militärisch unsinnigen Totalvernichtung unverteidigter Städte folgt.

  • am 15.02.2015 um 15:01 Uhr
    Permalink

    Der von Herr Muralt verlinkte Ausstellungs-Prospekt erklärt es eigentlich selbst:

    "John Smith’s painting *Holocaust* is on display in the exhibition *My Poland. On Recalling and Forgetting* to draw attention to and to discuss the commercialisation of the holocaust. The movie industry, led by hollywood, has converted the sufferings of millions of people into large­scale entertainment and a profitable business. ‘The Shoah is a huge business’ and ‘the holocaust a powerful branch of industry’ are popular slogans in the united States of America that describes this phenomenon. From the beginning of 1990s, hundreds of movies which deal with the topic of the holocaust have been produced. The most famous is Steven Spielberg’s Schindler’s List which tries to represent the historical situation. Ordinary citizens’ knowledge of the death­industry that took place during the Second World War is usually derived from movies, not from high school textbooks. The movie is just a part of the Shoah business, this complex also includes many popular holocaust memorials around the world and concentration camps, led by Auschwitz concentration camp, which has become the heart of southern Poland’s tourist industry. The holocaust has become a virtual event because of the massive amount of talking about it and making the situation pleasing for the public, it has almost changed into a mythological reality, where the real cause and mechanism fades over time."

  • am 16.02.2015 um 08:35 Uhr
    Permalink

    Eine politisch entscheidende Gruppe von Esten hat seinerzeit die Besetzung durch die Wehrmacht offensichtlich als Befreiung von den Sowiets gesehen. Der Holocaust war dort total (es gab dort aber nur 4500 Juden, daher waren die überwiegende Zahl der baltischen Ofer Litauer und Letten).

    Quelle: Michael Mann: The Dark Side of Democracy:

    "The Germans invaded and conquered in June 1941, welcomed as liberators by most locals (Kangeris,1998) . They restored the nationalist regimes and slaughtered those they perceived as aiding the Communist regime, especially Judeo-Bolsheviks. By 1945 only 5 percent of the 160,000 Lithuanian Jews survived. In Latvia 9 percent of the 66,000 Jews survived. Estonian Jews almost all perished, though there were only 4,500 of them. The directors of these terrible events were Germans, and they dominated these tiny puppet states. But they found enough willing Baltic clients, whose participation in genocide was a kind of Plan C, an initially unintended consequence of their choosing a German alliance against a Judeo-Bolshevik enemy.
    The key collaborating organizations came from the far right. In Estonia the fascist Vaps movement led the German puppet regime."

    Wer für laufende Konflikte aus der Geschichte lernen will: Die freiheitsliebenden Balten waren auch schon mal schlecht beraten.

    Werner T. Meyer

  • am 17.02.2015 um 18:52 Uhr
    Permalink

    Im Artikel wurde vergessen zu erwähnen, dass die BRD an SS-Angehörige in den drei baltischen Staaten seit Jahrzenten Renten zahlt!

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