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1945 allein stehengeblieben, 1966 Mahnmal, 1996 Weltkulturerbe: Der Ginbaku-Dom in Hiroshima © ICAN

Dranbleiben lohnt – Erfolg der Friedensbewegung

Andreas Zumach /  72 Jahre nach Hiroshima beginnen in der UNO erste Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot. Die Schweiz? Stimmenthaltung.

Im März 2017 kommen die Mitgliedsstaaten der UNO in New York zur ersten Verhandlungsrunde über ein Abkommen zum Verbot von Atomwaffen zusammen. Ende Oktober dieses Jahres hatte die UNO-Generalversammlung ein Verhandlungsmandat verabschiedet, demzufolge die Herstellung, der Besitz und der Einsatz von Atomwaffen verboten werden sollen. Künftige Vertragsstaaten sollen sich zudem verpflichten, die Stationierung von Atomwaffen fremder Mächte auf ihrem Territorium zu beenden, den Transport von Atomwaffen über ihr Land, durch ihren Luftraum und ihre Hoheitsgewässer zu unterbinden und sich in militärischen Bündnissen mit anderen Staaten nicht mehr an Nuklearwaffenpolitik und -planung zu beteiligen. Eine zweite Verhandlungsrunde ist für Juni/Juli angesetzt.
Es sind die ersten Verhandlungen dieser Art auf UNO-Ebene, 72 Jahre nach dem verheerenden ersten Einsatz von Atomwaffen gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Dass sie endlich zustande kommen, ist ein grosser Erfolg aller FriedensaktivistInnen, die sich von der ersten Stunde an und seit Jahrzehnten weltweit für die Abrüstung dieser Massenvernichtungswaffen und ihr vollständiges Verbot engagieren: mit Ostermärschen und anderen Demonstrationen, Kundgebungen und Petitionen an die PolitikerInnen; mit Aufrufen zur Dienst-und Befehlsverweigerung an die für einen eventuellen Atomwaffeneinsatz verantwortlichen Soldaten; mit Blockaden und anderen gewaltfreien Aktionen vor Atomwaffenstandorten, oder gar durch das Eindringen in militärische Anlagen und die symbolische Beschädigung von Trägerraketen für atomare Sprengköpfe, womit zum Beispiel die Brüder Dan und Phillip Berrigan Anfang der 80er Jahre in den USA grosses Aufsehen erregt hatten.
In den letzten Jahren beteiligten sich viele Initiativen und Organisationen der Friedenbewegung an der ICAN (international campaign to abolish nuclear weapons – internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen, die gezieltes Lobbying gegenüber den Regierungen der UNO-Mitgliedsstaaten betreibt. Erster Erfolg davon war, dass die UNO-Generalversammlung im Oktober 2015 auf Antrag von Österreich, Brasilien und einiger weiterer Länder eine Arbeitsgruppe einsetzte, die eine Beschlussvorlage für ein Verhandlungsmandat erarbeiten sollte. Im vergangenen August legte sie diese vor.
Der endgültige Durchbruch erfolgte Ende Oktober dieses Jahres, als die UNO-Generalversammlung mit grosser Mehrheit (123 von 193 Mitgliedsstaaten – fast zwei Drittel) die Aufnahme von Verhandlungen beschloss. 38 Länder, darunter fast sämtliche NATO-Staaten und Russland, votierten mit Nein. 16 Länder enthielten sich der Stimme – unter ihnen die Schweiz.

Nukleare Geschlossenheit schwindet
Dieses Abstimmungsergebnis macht deutlich, dass das Lager der 34 Staaten, die entweder selber Atomwaffen besitzen oder aber als Mitglieder der NATO an der atomaren Abschreckungsdrohung und der nuklearen Einsatzplanung beteiligt sind, keineswegs mehr geschlossen ist: von den fünf seit dem Atomwaffensperrvertrag (non proliferation treaty NPT) von 1970 als «legitim» anerkannten «offiziellen» Nuklearmächten votierten die USA, Frankreich, Grossbritannien und Russland mit Nein ,während China sich der Stimme enthielt. Unter den vier seit 1970 hinzugekommenen «illegitimen» Atomwaffenbesitzern stimmten Israel mit Nein, Indien und Pakistan mit Enthaltung und Nordkorea mit Ja.
In der NATO folgten fast alle anderen 27 Mitglieder der dringenden Aufforderung der Bündnisvormacht USA , die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot abzulehnen. Lediglich die Niederlande enthielten sich. Eine Enthaltung war im Vorfeld der Abstimmung auch von Norwegen erwartet worden, nachdem das Parlament in Oslo die Regierung sogar mit grosser Mehrheit zur Abgabe einer Ja-Stimme aufgefordert hatte. Doch die konservative Regierung beugte sich dem Druck aus Washington und votierte mit Nein.
In einem vertraulichen Brief, der der Zeitung des Schweizerischen Friedensrats vorliegt, hatte die Obama-Administration ihre militärischen Verbündeten innerhalb der NATO sowie ausserhalb ( Australien, Japan, Südkorea) wenige Tage vor der Entscheidung in der UNO-Generalversammlung aufgefordert, «gegen die Beschlussvorlage zu stimmen» und falls diese eine Mehrheit erhalten sollte, «an künftigen Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot nicht teilzunehmen». In ihrem Schreiben warnte die US-Regierung, ein Verbotsabkommen würde «zu einem Ende der gemeinsamen Nuklearpolitik der NATO sowie der atomaren Schutzgarantien der USA für ihre Verbündeten in Europa und in der Pazifikregion führen», selbst wenn nur einige wenige der in die US-Atomwaffenstrategie eingebundenen 30 Verbündeten unterschreiben. Überdies würde die weitere Geschäftsgrundlage für das NATO-Bündnis in Frage gestellt.

Nato-Partner kuschen vor Friedensnobelpreisträger Obama
Die Position und das Vorgehen der USA steht in eklatantem Widerspruch zu der Haltung, die die Obama-Administration zu Beginn ihrer Amtszeit Anfang 2009 eingenommen hatte. Als erster Präsident in der Geschichte der USA formulierte Barack Obama Anfang 2009 in einer Rede die «Vision einer atomwaffenfreien Welt». Auch deshalb erhielt er noch im selben Jahr den Friedensnobelpreis. Wie unverdient diese Auszeichnung war, bewies Obama nun zum Ende seiner Amtszeit noch einmal, indem er selbst den ersten konkreten Schritt auf dem Weg zu dieser atomwaffenfreien Vision zu verhindern suchte.
Die USA und fast alle anderen NATO-Staaten hatten schon im Oktober 2015 gegen die Einsetzung der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der Beschlussvorlage gestimmt. Und bei deren Verabschiedung in der Arbeitsgruppe votierten ebenso fast alle NATO-Staaten mit Nein. Zur Begründung ihrer Haltung erklärten die NATO-Regierungen, sie wollten den seit 1970 bestehenden Atomwaffensperrvertrag (NPT) «vor Verwässerung schützen». Darin verpflichten sich die rund 190 Unterzeichnerstaaten, auf die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verzichten und die eigenen Arsenale abzurüsten. Die «legitimen» Nuklearmächte haben diesen Vertrag ratifiziert, die «illegitimen» (Israel, Indien, Pakistan, Nordkirea) haben ihn nicht unterschrieben. Tatsächlich wird der NPT-Vertrag immer mehr geschwächt, je länger die fünf offiziell anerkannten Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien ihre vertraglichen Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllen und an ihrem fraglichen Privileg festhalten.

Die Geschlossenheit der Nato-Regierungen in der UNO täuscht. In den sozialdemokratisch/sozialistischen, christdemokratischen oder liberalen Parteien, die an den Regierungen vieler europäischer NATO-Staaten beteiligt sind, ist die Haltung zu Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot keineswegs einheitlich. Wo sie nicht regieren müssen, zeigen diese Parteien Mut. Im Europäischen Parlament stimmten die Abgeordneten dieser Parteien am Vorabend der Entscheidung in der UNO-Generalversammlung mit grosser Mehrheit für eine Resolution, die die Regierungen der EU-Staaten aufforderte, für die Aufnahme von Verhandlungen zu stimmen.

Ähnlich massiven Druck wie auf die 30 Verbündeten innerhalb und ausserhalb der NATO übte die Obama-Administration auch auf die 54 Staaten der Afrikanischen Union aus. Doch dieser Druck wirkte kontraproduktiv. Die afrikanischen Staaten stimmten – ebenso wie die Länder Latein-und Mittelamerikas – fast geschlossen für die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot. Lediglich Sudan, Mali und Nicaragua enthielten sich der Stimme.

Schweiz extrem neutral: Stimmenthaltung
Unter den zwölf neutralen Staaten Europas, die weder der NATO noch dem früheren Warschauer Pakt angehör(t)en, stimmten zehn Länder mit Ja. Finnland und die Schweiz enthielten sich. Die Schweizer Enthaltung war ein Kompromiss: VBS-Chef Guy Parmelin, der anscheinend besonders Nato-hörige Militärminister, hatte für ein Nein plädiert, während die Berner UNO-Diplomaten und EDA-Vorsteher Didier Burkhalter für eine Zustimmung der Schweiz zu den Verhandlungen waren.

ICAN: «abrüstungspolitische Revolution»
Für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) kommt das Abstimmungsergebnis in der UNO-Generalversammlung «einer abrüstungspolitischen Revolution gleich». Denn «noch nie zuvor» hätten es «die atomwaffenfreien Staaten gewagt, die Atomwaffenstaaten und ihre Alliierten in einer solchen Frage zu überstimmen». ICAN sieht in der Entscheidung auch «eine neue weltpolitische Weichenstellung». Angesichts der Spannungen zwischen NATO und Russland, «die zunehmend auch zu einer Verschärfung der nuklearen Rhetorik und Aufrüstung geführt haben», sei das Votum in New York «von herausragender geopolitischer und diplomatischer Bedeutung».

Die Strategie der Verwässerung
Es ist sehr wichtig, dass die Friedensbewegung die im März beginnenden Verhandlungen in der UNO-Generalversammlung genau und kritisch beobachtet. Denn es besteht die Gefahr, dass sich zumindest Deutschland und andere NATO-Staaten sowie US-Verbündete wie Australien, Japan und Südkorea mit dem Ziel an den Verhandlungen beteiligen werden, ein möglichst schwaches Verbotsabkommen mit zahlreichen Ausnahmen und Schlupflöchern durchzusetzen. Das läge auch im Interesse der Trump-Administration in Washington, die sich mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht an den Verhandlungen beteiligen wird. Eine entsprechende Strategie verfolgten die NATO-Staaten bereits – wenn auch vergeblich – in der Arbeitsgruppe der Generalversammlung. Bei den Vertragsverhandlungen werden die teilnehmenden NATO-Staaten möglicherweise durchzusetzen versuchen, dass die Stationierung von Atomwaffen auf fremdem Territorium oder der Transport von Atomwaffen über ausländische Seehäfen, Lufträume und Landterritorien nicht ausdrücklich verboten wird, oder dass sogar die Beteiligung an der nuklearen Einsatzplanung im Rahmen von Militärbündnissen und die sogenannte «nukleare Teilhabe» (militärische Nutzung von Atomwaffen von Bündnispartnern) erlaubt bleiben – also alle Elemente, welche Änderungen in der Aufstellung des Nato-Bündnisses nach sich zögen. An derartigen Lücken in einem künftigen Abkommen dürften in erster Linie, aber nicht nur die USA ein Interesse haben. Auch die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland haben seit Bestehen des NATO-Bündnisses immer ausdrücklich auf der «nuklearen Teilhabe» bestanden, die im Spannungsfall auch die Bestückung von Kampfflugzeugen der Bundesluftwaffe mit in Deutschland stationierten US-amerikanischen Atomwaffen vorsieht. 1987 gefährdete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem Beharren auf der «nuklearen Teilhabe» sogar zeitweise den Abschluss des INF-Vertrages zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion über den Abzug sämtlicher atomaren Kurz-und Mittelstreckenraten aus Europa. Das hatte Tradition:bereits 1973 hatte die Bundesrepublik Deutschland den Atomwaffensperrvertrag nur mit dem Vorbehalt einer zumindest deutschen Mitverfügung über Atomwaffen im Rahmen einer künftigen gemeinsamen europäischen Militär-und Sicherheitspolitik unterzeichnet.

Die Strategie der Verschleppung

Die Dauer der Verhandlungen in der UNO-Generalversammlung ist nicht absehbar. Sie hängt vom Willen der Beteiligten ab. Über den erwähnten Atomwaffensperrvertrag wurde zwischen 1958 und 1968 knapp zehn Jahre verhandelt. Er trat 1970 in Kraft. Die Verhandlungen in der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz über ein umfassendes Verbot atomarer Testversuche (comprehensive test ban treaty – CTBT) dauerten zwar nur zwei Jahre, bis das Abkommen im September 1996 von der Generalversammlung in New York mit grosser Mehrheit verabschiedet wurde. In Kraft getreten ist der CTBT aber bis heute nicht. Denn dazu müssen die 44 Staaten mit
kerntechnischen Fähigkeiten ihn zuvor ratifizieren, welchen Schritt die USA und einige weitere Länder bislang nicht vollzogen haben. Die Verhandlungen der UNO-Abrüstungskonferenz über ein weltweites Verbot von Chemiewaffen begannen 1969 mitten im Kalten Krieg, führten aber erst 24 Jahre später zu einem Abkommen, das auch in Kraft getreten ist. Die UNO-Abrüstungskonferenz verhandelte jeweils acht bis zehn Jahre Lang über Verbote von Antipersonenminen und von Streumunition. Ergebnislos, weil der für die Konferenz geltende Konsens in beiden Fällen nicht zustande kam. Zwar wurden Vertragsentwürfe jeweils von über 90 Prozent der 61 Konferenzstaten akzeptiert, nicht aber von den USA, Russland, China, Israel und Pakistan. Daraufhin initiierten Nichtregierungsorganisationen und zum Handeln entschlossene Regierungen (Kanada, Norwegen und andere) Verhandlungskonferenzen ausserhalb des UNO-Rahmens. Inzwischen existieren zwei Verbotsabkommen, die jeweils von über 150 der 193 UNO-Staaten ratifiziert wurden.

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Dieser Beitrag ist zuerst in der Friedenszeitung des Schweizerischen Friedensrates erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Andreas Zumach arbeitet als UNO-Korrespondent in Genf u.a. für die «Tageszeitung» (taz Berlin) und «Die Presse» (Wien).

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2 Meinungen

  • am 20.12.2016 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Dieses Dogma, dass die «Friedensbewegung» entweder nur mit Kriege oder Atomare Waffenentruestung zu tun hat ist voellig absurd. Der Author sollte dringend etwas nachforschen. Ein Beispiel wie das Wort «War» in heutige unahaengigen Medien gebraucht wurde ist diese Liste: (die ganze passt gar nicht ins Kommentar Feld)
    –Alle Titeln kann man Googlen–
    ‘Business Elites Are Waging a Brutal Class War in America’
    The Great American Class War. Plutocracy vs. Democracy – Bill Moyers
    There Is A Real War On Americans
    ‘When Did Americans Become the Enemy?’
    ‘Call it what it is: A class war›
    ‘Banks, corporations wage war on working class Americans’
    The Bitter Consequences of Corporate America’s War on Unions
    The War on Democracy (John Pilger Documentary)
    Robert Reich: Most economic policies are just an ideological war on the poor and the disenfranchised
    ‘Is America Ready for a New War on Poverty?’
    ‘The Origins of the Neoliberal War on the Poor’
    ‘Report on the War on Dissent.’
    When the Government Views Its Own Population as the Enemy
    US «Waging War» on Whistleblowers’
    ‘There is a War on Journalism: Jeremy Scahill on NSA Leaks & New Investigative Reporting Venture’

    Je mehr unabhaengige Medien, Intellektuelle und Journalisten, in den 60er Jahren geklebt bleiben, je weniger kann sich die echte «Friedens"Bewegung besinnen, naemlich Aktivismus. (Hinweis auf repeace : Nachschauen empfohlen > http://www.repeace.com/engage/international

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