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Napoleon bringt Kultur und Zivilisation nach Aegypten © IS

Die Herausforderung des Islam(1): Nordafrika

Erich Gysling /  Die Umwälzungen von Nordafrika bis Asien verändern grundlegend die Beziehungen zum Westen. Sie werden auch komplizierter.

2010 war ein schwieriges Jahr in den Beziehungen zwischen dem Westen und der vom Islam geprägten Welt, und 2011 wurde nicht einfacher. Die Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain, Syrien erforderten von Europa und den USA immer neu eine Antwort auf die Frage: wo, wie soll man Kräfte unterstützen, welche die bisher meistens kooperationswilligen Autokraten (Syrien stellt da die Ausnahme innerhalb der Regel dar)verjagen wollen, bei denen es aber überall auch islamistische Untergruppierungen gibt, die ihre eigenen Werte in die Neuordnung einbringen wollen? Die Moslembrüder in Ägypten beispielsweise oder die Anhänger der Senussi-Ideologie in Libyen?
Man musste, muss sich weiterhin, aus westlicher Perspektive darauf einrichten, dass die künftigen Herrschaftssysteme in der arabischen Welt eigenständiger agieren werden als die früheren. Dass Regierungen in Kairo oder Tunis oder Sana’a den amerikanischen Strategien nicht mehr so eindimensional folgen werden wie die alten. Und dass das für eine stark auf Israels Sicher-heitsinteressen ausgerichtete Politik des Westens Probleme schaffen kann.

Stabilität und Demokratie

Nicht nur die USA, auch westeuropäische Staaten versuchten jahrelang mit militärischen und politischen Mitteln, in Nah- und Mittelost – im eigenen Interesse – Stabilität zu erzwingen. Garniert wurde das mit der angeblich lupenreinen Forderung nach Demokratie. Aber die beiden Ziele widersprachen sich in Wahrheit oft gravierend. Mit demokratischen Ordnungen im Nahen und Mittleren Osten umzugehen ist meistens viel schwieriger als mit autoritären.
Da verhedderte sich der Westen, es gilt in besonders gravierendem Mass für die USA, in Unklarheiten. Demokratie zu schaffen, das war das Ziel (angeblich) des 2003 in Irak geführten Kriegs und noch mehr des Afghanistan-Kriegs seit 2001. Auch im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ging es – angeblich – um solche Ziele: Entmachtung der fundamentalistischen Hamas-Bewegung im Gaza-Streifen, Stärkung der eher gemässigten palästinensischen Kräfte in dem von Israel nach wie vor besetzten Westjordanland.
Aber irgendwann musste man erkennen: die vom Islam geprägte Weltregion kann von aussen nur in einge-schränkter Weise beeinflusst werden. Extremistische Kräfte und Parteien wandern, je nach Aussendruck, von einem Land ins andere. Von Afghanistan beispielsweise nach Pakistan, nach Jemen, nach Somalia. Und Druck von aussen scheint auch im Falle Irans nur beschränkt wirksam, ja vielleicht sogar kontraproduktiv: je drastischer die Sanktionen gegen Iran, desto verhärteter der Kurs des Regimes in Teheran.

Die Angst im Westen

Zehn Jahre nach den al-Qaida-Anschlägen auf das World Trade Centers in New York und das Pentagon in Washington (mindestens 3000 Todesopfer) scheinen die Beziehungen zwischen der westlichen Welt und jener des Islams schwieriger als jemals zuvor. Es gab in diesen zehn Jahren im Westen nur noch wenige von islamistischen Terroristen verübte Attentate – abgesehen von den Anschlägen in Madrid im Jahr 2004 und in London 2005. Es gab anderseits ein verheerendes Attentat in Mumbai (Bombay) und es gab im Herbst 2010 neue Drohungen von fundamentalistischen Extremisten gegen westeuropäische Länder. Bereits geplante Anschläge hätten dank der Aufmerksamkeit von Geheimdiensten in den USA und in Europa gerade noch verhindert werden können, wurde in Washington Anfang Oktober 2010 erklärt.
Viele Menschen in Westeuropa und teils auch in den USA schienen anderseits irritiert durch die immer sichtbarere Präsenz von Muslimen innerhalb ihrer Gemeinschaften – auch wenn sie eigentlich wissen mussten, dass die überwiegende Mehrheit von Musliminnen und Muslimen in westlichen Ländern Extremismus und Gewalt ebenso ablehnt wie die Mehrheit in der eigenen Gesellschaft.

Das gemischte Bild

Was heisst sichtbarere Präsenz? Muslime sind in den westeuropäischen Ländern Minderheiten von zwischen drei und knapp sechs Prozent. Beispielsweise 5,6 Prozent in Frankreich, knapp 4 Prozent in Deutschland, etwas weniger als 5 in der Schweiz und in Österreich, nicht ganz 4 Prozent in Schweden. Die Muslime organisierten sich anderseits besser als in früheren Jahren – und auch wenn die Mehrheit der islamischen Organisationen das Ziel verfolgte, ihre Mitglieder in die Gast-Gesellschaften besser zu integrieren, so gab es anderseits auch überall kleine Organisationen, die eine radikale Interpretation der Religion als Richtschnur anerkannten und der Verdächtigung Vorschub leisteten, der Islam sei generell darauf ausgerichtet, sich abzuschotten, die Rechte der Frauen zu begrenzen, ihnen das Kopftuch oder eine Total-Verhüllung aufzuzwingen und das islamische Recht (shar’ia) in allen Bereichen des Lebens einführen zu wollen.
In der Sichtweise breiter Bevölkerungsschichten im Westen vermischten sich nun verschiedene Ebenen: die Brutalität des Kriegs in Afghanistan mit den vom Fern-sehen ständig vermittelten Bildern über Attentate in Irak; die Berichte über angedrohte oder vollstreckte Todesurteile in Iran; die breitflächig kommentierten (echten oder angeblichen) Meldungen über Irans Atombombenprogramme; sporadische Fernsehbeiträge über Islamisten in Pakistan und Gewaltberichte aus Somalia, Jemen und Westafrika, wo immer wieder westliche Entwicklungshelfer oder Touristen Opfer von Geiselnahmen durch al-Qaida-Sympathisanten wurden.
Verwirrung stiftete zusätzlich der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern: die israelische Regierung brandmarkte jeden Widerstandsakt von seiten der Palästinenser respektive deren Sympathisanten (beispiels-weise der Mitreisenden auf Schiffen der «Free Gaza»-Flotte Ende Mai 2010, von denen durch eine israelische Kommandoaktion neun getötet wurden) als Terror und stellte somit in Abrede, dass das durch Besatzung unterdrückte Volk ein Recht auf Widerstand hat. Die USA übernahmen die israelische Interpretation, die Europäer blieben ratlos. Handelte, handelt es sich beim Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nun nochmals um eine Variante des Konflikts zwischen dem Westen und dem Islam? Und gibt es einen solchen Konflikt überhaupt? Oder wird dieser Konflikt dadurch geschürt, dass immer mehr politische Parteien in immer mehr westlichen Ländern sich auf das Thema Islam «speziali-sieren» und sich immer mehr Publizisten mit diesem echten oder vielleicht doch nur heraufbeschworenen Problem befassen?

Angst und Abwehr

Wenn es um Politik im Westen geht, ist der Befund eindeutig: in Belgien und in Frankreich wurde 2010 ein Verbot des Burka-Tragens erlassen (mit Burka war allerdings generell die Total-Verhüllung, also auch der Niqab, gemeint); in Österreich war man dabei, ein ähnliches Verbot zu diskutieren; in den Niederlanden wurde die anti-islamische Partei von Geert Wilders drittstärkste Kraft; in Schweden gewannen die «Schweden-demokraten», u.a. mit einem gegen muslimische Einwanderer gerichteten Programm, fast sechs Prozent und 20 Sitze im Parlament; in Dänemark forderte die Volkspartei ein Burka-Verbot; in Deutschland gab es verschiedene Gesetzesentwürfe gegen das Tragen von Verschleierung für Personen, die eine leitende Funktion innehatten (Lehrerinnen vor allem). Auch in der Schweiz wurde über die Burka diskutiert (nachdem eine Mehrheit von 57,5 Prozent der Stimmberechtigten bereits 2009 den Bau von neuen Minaretten verboten hatte). Und in den USA entbrannte eine doppelte, schwierige Debatte im Sommer und Herbst 2010. Sie konzentrierte sich einerseits auf die Frage, ob in der Nähe des durch Islamisten-Terror vernichteten World Trade-Centers in New York ein islamisches Kulturzentrum errichtet werden dürfe oder nicht – und sie schlug hohe Wogen, als Anfang September der Pastor einer Mini-Sekte in Florida den Jahrestag des Anschlags in New York (den 11. September) als «Tag der Koranverbrennung» zelebrieren wollte. Die ganz hohe Politik musste sich in die Debatte einmischen, um den Pastor umzustimmen: Präsident Obama, Aussenministerin Clinton, der Truppenbefehlshaber Petraeus im Mittleren Osten und viele Prominente mussten sich mit dem Thema befassen. Was blieb, war jedoch ebenfalls irritierend: eine Mehrheit der US-Amerikaner zeigte tiefes Misstrauen gegenüber dem Islam und wollte nicht erkennen, dass es zwischen Islam und Islamismus respektive Fundamentalismus einen grossen Freiraum gibt.

Teil 2, «Islam und Islamismus», dieser Serie von Erich Gysling erscheint am 4. April 2011 auf «infosperber»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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