Kommentar

Darum ist der tiefe Ölpreis so gefährlich

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsErnst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen ©

Ernst Wolff /  Ein anhaltend tiefer Ölpreis bedroht das US-Finanzsystem. Eine «Rettung» könnten grössere militärische Konflikte bringen.

Der stagnierende Ölpreis bereitet Teilen der US-Wirtschaft und dem US-Finanzsektor grössere Probleme: Er gefährdet nicht nur das Überleben der US-Fracking-Industrie, sondern bringt US- und internationale Grossbanken in erhebliche Bedrängnis. Eine solche Entwicklung könnte sogar das globale Finanzgefüge gefährden.

Erdöl ist eine der Stützen der US-Weltherrschaft

Öl ist nicht nur die meistgehandelte Ware der Welt, sondern für die USA wegen der Bindung des Öl-Preises an den Dollar eine der Stützen ihrer finanziellen Weltdominanz. Um diese aufrecht zu erhalten, ist das US-Militär seit Jahren gezwungen, im Nahen Osten Krieg zu führen. Da diese Politik immer kostspieliger wird und der kriegsmüden US-Bevölkerung immer schwerer zu vermitteln ist, versuchen die USA seit einigen Jahren, sich von ausländischem Erdöl und Erdgas unabhängig zu machen.

Dabei setzten sie vor allem auf die Methode des Fracking. Bis 2014 sah es so aus, als ob sie mit dieser Strategie Erfolg haben würden. Trotz aller Umweltschäden und -risiken wurden immer grössere Öl- und Gasmengen gefördert, eine Firma nach der andern schoss aus dem Boden.

Der Aufschwung der Branche und die damit verbundenen Gewinnchancen entgingen den finanzstarken Spekulanten an den Finanzmärkten nicht. Sie schalteten sich in das Geschäft ein und vergaben Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe. Diese liessen den Fracking-Boom förmlich explodieren und brachten die USA dem Ziel nahe, nicht nur von ausländischen Importen unabhängig, sondern selbst zu einem grossen Exporteur von Erdöl- und Erdgas zu werden.
Als Reaktion öffneten die Saudis den Ölhahn
Das gefiel den Konkurrenten der USA auf dem Weltmarkt nicht – am wenigsten ihrem bis dahin engsten der Verbündeten im Nahen Osten, dem Könighaus von Saudi-Arabien. Da dessen Reichtum fast ausschliesslich auf den Erdölvorkommen des Wüstenstaats beruht, fühlte es sich durch den Fracking-Boom in den USA ernstlich bedroht. Das Herrscherhaus reagierte, indem es die eigenen Fördermengen drastisch erhöhte. Ausserdem machte es seinen Einfluss innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) geltend und sorgte dafür, dass die in den 70er Jahren eingeführte künstliche Drosselung der Fördermengen aufgehoben wurde. Diese hatte den Preis des Erdöls auf hohem Niveau gehalten.

Zum Aufdrehen des Ölhahns durch Saudi-Arabien kam das Ölangebot des Irans, nachdem die Sanktionen Mitte 2015 aufgehoben wurden. Der Ölpreis, der im Januar 2014 noch über 100 Dollar erreichte, sank bis zum Januar 2016 stetig auf den bisherigen Tiefststand von 25 US-Dollar.

Die Fälligkeit von Milliardenkrediten zwingt zum Handeln

Da die Fracking-Industrie der USA je nach Quelle erst ab 45 bis 60 Dollar pro Barrel kostendeckend arbeitet, brachte der Preissturz existenzgefährdende Verluste mit sich. Bis Ende 2015 mussten 42 US-Fracking-Firmen aufgeben und Insolvenz anmelden. Dennoch wurden allein von Herbst 2015 bis zum Jahresende mehr als 50 Milliarden Dollar an zusätzlichen Krediten in die Fracking-Industrie gepumpt: Die Investoren spekulierten auf eine Erholung des Ölpreises.

Tatsächlich kam es ab Jahresbeginn 2016 zu einer Trendumkehr: Seit Januar 2016 hat sich der Ölpreis wieder nach oben bewegt und stieg Anfang Juni 2016 auf etwas über 50 Dollar. Dazu haben mehrere Faktoren beigetragen: Neben Wartungsproblemen in Venezuela (das wegen des niedrigen Ölpreises vor dem Staatsbankrott steht), Waldbränden in Kanada (die den Ausstoss verringerten) und Förderproblemen in Libyen (wegen nicht behobener Kriegsschäden) wirkte sich vor allem die künstliche Verknappung des Angebots durch die grössten Ölhändler aus. Es sind derzeit ganze Flotten von Öltankern auf den Weltmeeren unterwegs, die dem Weltmarkt Öl entziehen, indem sie ihre Ladungen nicht löschen.

Entwicklung des Erdölpreises in den letzten drei Jahren (Quelle Finanzen.net)

Diese Taktik kann allerdings nur funktionieren, bis die Kapazitäten aller verfügbaren Tanker ausgelastet sind und die Kosten dieser Massnahme ihren Nutzen übersteigen – ein Zeitpunkt, der bald erreicht zu sein scheint und den Ölpreis seit einigen Tagen wieder fallen lässt. Am 16. Juni lag er bei 47 Dollar.
Gefährliche Lage im Herbst
Damit steht die internationale Finanzindustrie vor einem riesigen Problem: Die Möglichkeiten der Preismanipulation sind weitgehend erschöpft und ein Anstieg des Preises durch erhöhte Nachfrage ist wegen der weltweiten wirtschaftlichen Stagnation kaum in Sicht. Deshalb droht im Herbst, wenn ein Grossteil der Milliarden-Kredite fällig wird, eine Pleitewelle von Fracking-Firmen, die dazu führen wird, dass zahlreiche Banken leer ausgehen. Das wiederum hat zur Folge, dass im hochriskanten und hochspekulativen Bereich der Derivate Kreditausfallversicherungen in unbekannter Höhe (sehr wahrscheinlich ein Mehrfaches der Summe der vergebenen Kredite) fällig werden.

Die USA haben sich ihren terroristischen Gegner selbst geschaffen

Was also tun, um zu verhindern, dass weitere Fracking-Firmen Insolvenz anmelden, Banken Milliardenkredite abschreiben müssen und das globale Finanzgefüge möglicherweise ins Wanken gerät? Um diese Frage zu beantworten, kann man nach Nigeria schauen: Dort sind mehrere Ölquellen – nach offiziellen Angaben durch Anhänger der radikal-islamistischen Organisation Boko Haram – zerstört worden und haben zu einer Verknappung des Angebots und zu einer Erhöhung des Preises im Land beigetragen.

Es erfordert nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, wie effektiv die Zerstörung grösserer Ölquellen im Nahen Osten den Ölpreis in die Höhe treiben und die Fracking-Industrie mit den hinter ihr stehenden Grossbanken retten könnte.

Da stellt sich die Frage, ob der Isis dargestellt wird als angeblicher Hauptfeind der westlichen Zivilisation, um einen Grund für stärkeres militärisches Eingreifen zu schaffen.

Hinter der Akribie, mit der Isis von den US-Medien derzeit ins Rampenlicht gerückt wird, steht ein Glaubwürdigkeitsproblem der US-Regierung. Denn sowohl der Golf-von-Tonkin-Vorfall, der zum Eingreifen der USA in den Vietnamkrieg führte, wie auch Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen, die als Vorwand für die Bombardierung des Irak und den Einmarsch in den Irak dienten, sind inzwischen als Lügen entlarvt.
Die Führung und der militärisch-industrielle Komplex in Washington scheinen mit Erfolg ein Klima des Hasses und der Angst vor Terroranschlägen zu schaffen. Damit kann es ihnen gelingen, die Mehrheit der US-Bevölkerung von der Notwendigkeit weiterer kriegerischen Auseinandersetzungen zu überzeugen.

Sollte es tatsächlich dazu kommen, hätten die USA wieder einmal die Quadratur des Kreises geschafft. Schliesslich ist der Isis vor allem ein von der US-Politik selbst geschaffener Gegner. Ohne die jahrelang betriebene Destabilisierung des Nahen Ostens durch die USA wäre der Isis nicht entstanden und auch nicht in der Lage, gewaltbereite Anhänger im Ausland zu rekrutieren.
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Siehe auch:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen im Tectum-Verlag, Marburg, 26.90 CHF, sowie des Buches «Kapitalfehler – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen», Eichborn-Verlag 2016, 29.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 3.07.2016 um 21:29 Uhr
    Permalink

    Sie schreiben, die Saudis hätten den Ölhahn gegen die Interessen der USA geöffnet. Ich finde, es war bereits in den Jahren vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion DAS Mittel im AUFTRAG der USA an die Saudis, Russland in die Knie zu zwingen. Das sagten auch massgebende Amis, es sei der Versuch, länger «Atem» zu haben als Russland durch die Ölpreis-Zerstörung, weil Russland fast nur Fossiles exportiert.

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