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«Ohne Humor sind wir alle tot» © Patrick Chappatte in «The International New York Times»

Karikaturen – «eine Abkürzung zu den Gefühlen»

Red. /  «Ein Karikaturist muss Zeit haben, um Distanz zu gewinnen, bevor er seine Arbeit machen kann.»

«Gute Nachrichten ergeben selten gute Bilder, bestenfalls herzige. Als Karikaturist ist es aber meine Aufgabe zu kritisieren. Also brauche ich Probleme. Persönlich wäre ich glücklich, wenn es all die Kriege und Katastrophen nicht gäbe. Beruflich gilt das Gegenteil.» Sagt der Genfer Karikaturist Patrick Chappatte im Tagesanzeiger-Gespräch zum Jahreswechsel vom 4. Januar 2017.

Patrick Chappatte ist Infosperber-Leserinnen und -Lesern bestens bekannt, stellt er uns doch regelmässig seine Karikaturen zur Verfügung. Ohne Honorar. Wofür ihm auch an dieser Stelle gedankt sei.

Im Gespräch mit Jean-Martin Büttner macht Chappatte klar, dass er nicht «nur» zeichnen kann, sondern seine Arbeit und das Verhältnis zur Welt differenziert reflektiert. «Karikaturen», sagt er, «wirken so unmittelbar, weil sie einfach sind. Ihnen geht die Komplexität von Filmen und Texten ab. Dafür versteht man sie auf Anhieb. Karikaturen bieten eine Abkürzung zu den Gefühlen. Gerade deshalb eignen sie sich so hervorragend für die Propaganda. Das haben auch die Nazis gewusst, als sie den Stereotyp des gierigen, hässlichen Juden entwarfen.»

Manchmal sind Karikaturen, gerade ihrer Einfachheit wegen, auch missverständlich. Nach der Ermordung seiner Kollegen von Charlie Hebdo sei ihm und anderen Zeichnern schlagartig bewusst geworden, «dass die Welt nicht mehr dieselbe war. Dass irgendeine Zeichnung von uns irgendjemanden dazu bringen könnte, uns töten zu wollen. Das hat damit zu tun, dass eine Zeichnung global ist, der Humor aber kulturell funktioniert. Damit sind Missverständnisse programmiert. Aber das war uns seit den dänischen Mohammed-Karikaturen von 2005 klar.» Sagt der Mann, dessen Karikaturen in über 60 Ländern veröffentlicht werden.

Gegen die schnelle Zeit in traditionellen, vor allem aber auch in sozialen Medien, setzt er die Distanz des Schweigens. «Die Sozialen Medien verkürzen unsere Aufmerksamkeitsspanne. Wir leben in einer Kultur des Vergessens. Das Teilen von berührenden Bildern wird zu einem narzisstischen Akt … Mir wäre lieber, die Leute würden nach Katastrophen schweigen, bevor sie dieses manische Bedürfnis verspüren, der ganzen Welt ihre Gefühle zuzumuten.»

Nach dem Brüsseler Attentat sei er vor dem Bildschirm gesessen, erzählt er, «und schon wurde eine Galerie von Karikaturen aufgezogen. Ich fragte mich: Was ist hier los? So werden Karikaturen zu einer Verteilware für soziale Netzwerke, Instant-Empathie über das Grauen, sentimental und verlogen. In diesem Tempo kann keine Zeichnung entstehen, die diesem Anlass angemessen ist. Ein Karikaturist muss Zeit haben, um Distanz zu gewinnen, bevor er seine Arbeit machen kann.»

Das gilt u.a. auch für Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politiker.

  • Das ganze Tagesanzeiger-Gespräch können Sie hier nachlesen.

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2 Meinungen

  • am 6.01.2017 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Das intreview im tagi habe ich mit freude gelesen und kann Chappatte nur gratulieren, sowohl fuer seine zeichnungen als auch fuer seine einstellung, die ich voll teile. Complimenti!!

  • am 6.01.2017 um 22:02 Uhr
    Permalink

    @Gabriella Brigg
    Vielen Dank Gabriella, ich hatte es nicht besser sagen können!
    Und besten Dank an Infosperber (Urs P. Gasche) für das Angebot unzensurierter Pressemitteilungen!

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