Sperberauge

Via Marignano nach Waterloo

Jürg Müller-Muralt © zvg

Jürg Müller-Muralt /  Historische Bezüge sind immer hübsch, aber manchmal heikel. Vor allem, wenn die Fakten nicht stimmen.

«Newsnet liefert schnellen und hochwertigen Journalismus», heisst es auf der Homepage von Newsnet, das die Internet-Auftritte von «Tages-Anzeiger», «Basler Zeitung», «Berner Zeitung» und «Bund» mit Multimedia-Beiträgen versorgt. Schnell schon, aber nicht immer hochwertig, wie folgendes Beispiel zeigt. Die Berichterstattung der Nationalratsdebatte vom 9. September 2013 zum Fatca-Abkommen mit den USA beginnt tief in der Geschichte: «1515 bei Marignano: Die Schweizer erleiden eine schwere Niederlage. Dies beendete nicht nur die territorialen Ansprüche der Schweiz – auch die Reisläuferei, das Wirken in fremden Kriegsdiensten, findet damit ein Ende.» Und nun eben, fast 500 Jahre später, erlebten auch die Schweizer Banken ihr Marignano, schreibt Newsnet.

Heiss begehrte Schweizer Krieger

Historische Bezüge in journalistischen Beiträgen machen sich immer gut; aber nur, wenn sie stimmen. Im vorliegenden Fall ist allein schon die historische Parallele gewagt bis windschief. Wie der Autor allerdings zur Behauptung kommt, Marignano sei auch das Ende der fremden Kriegsdienste gewesen, ist völlig schleierhaft. Eher das Gegenteil ist richtig, sie kamen erst so richtig in Schwung. Kurze Zeit nach Marignano, 1521, schloss Frankreich ein Abkommen mit der Eidgenossenschaft über Solddienste; es war der Beginn staatsvertraglich geregelter Solddienste. Die Eidgenossenschaft gehörte zu den gefragtesten Kriegsdienstleistern Europas. Auf den Schlachtfeldern des Kontinents kämpften über die Jahrhunderte rund 1,5 Millionen Schweizer Söldner. Sie waren bekannt für ihre Brutalität und ihr Draufgängertum – und deshalb heiss begehrt und stark gefürchtet zugleich.

Spuk endet erst 1848

Für fast alle europäischen Mächte standen sie im Einsatz. Zeitweise stammte jeder dritte Infanterist der französischen Armee aus der Schweiz. Während der Französischen Revolution fanden im August 1792 beim Sturm auf die Tuilerien 760 Schweizer den Tod, die als Mitglieder der königlichen Garde den bereits leeren Palast zu verteidigen hatten. Und auch im 19. Jahrhundert mussten Befreiungsbewegungen nur zu oft gegen Schweizer Söldnertruppen im Dienste untergehender Fürstenhäuser kämpfen. Erst die Bundesverfassung von 1848 setzte dem Spuk ein Ende.

Wir wollen jetzt nicht sagen, Newsnet habe mit dem Marignano-Bezug sein Waterloo erlebt. Das wäre ebenfalls ziemlich windschief. Aber ein kleiner Bildungs-Input sei erlaubt: Das ausgezeichnete Buch des Journalisten Jost Auf der Maur lesen («Söldner für Europa») oder das Löwendenkmal in Luzern besuchen.


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2 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 11.09.2013 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Jürg Müller-Muralt ist, wie leider noch andere Journalisten, die bei infosperber über Schweizer Geschichte schreiben, über dieselbe nicht so im Bild, wie ich es von einem guten Maturanden erwarten würde. Selbstverständlich war der Spuk 1848 nicht zu Ende, es gab schliesslich noch laufende Verträge und Übergangsbestimmungen, und die legale Möglichkeit des Söldnerwesens dauerte bis ins frühe 20. Jahrhundert noch an. Näheres bzw. Genaueres könnte man beim Militärhistoriker Jürg Stüssi-Lauterburg bzw. bei einem Besuch in der Militärbibliothek erfahren. Also:

    a) Nach der Abwahl 1854 wurde Bundesrat Ochsenbein mangels Pension legaler General bei der Fremdenlegion, er war auch noch 1870/71 französischer General.

    b) tausende von Schweizern dienten im Krimkrieg, mindestens bei der Reserve, sowohl bei den Engländern als bei den Franzosen usw. Ich schreibe die Geschichte des Aargauer Obersten Gehret, der in den Krimkrieg ging, weiterhin bei den Franzosen diente und beim Neuenburger Handel von 1857 es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffte und sich auch deswegen dann im Berner Bremgartenwald erschoss.

    c) die Geschichte der Fremdenlegion ist hochinteressant, da waren Schweizer dabei, und zwar noch sehr lange legal.

    PS, Die Versuche, einen Kitschpatriotismus auf mittelalterlicher Grundlage durch einen «Verfassungspatriotismus» fortschrittlicher Schweizer mit der Jahreszahl 1848 zu ersetzen, führen zu neuen falschen Idealisierungen. Ich habe z.B. Cedric Wermuth darauf aufmerksam gemacht, dass die Linksradikalen von damals die Verfassung von 1848 selbstverständlich ablehnten, für deren Annahme sogar in gewissen Kantonen durchaus eine Gefahr darstellten, und zwar aus ihrer Sicht mit genau so verständlichen Ablehnungsgründen wie diese bei den Konservativen vorhanden waren. Jacob Burckhardt, einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Kleinstaats-Idee, liess die Euphorie von 1848 kalt. Ich selber teile sie perspektivisch aus der Sicht von Jakob Robert Steiger und Ignaz Paul Vital Troxler, von denen ich tatsächlich mehr halte als von Karl Marx und von den meisten Bundesräten unserer Geschichte. 1848 wies in die richtige Richtung, sollte aber so wenig wie Sempach, worüber ich derzeit ein Winkelried-Filmteam berate, heroisiert und mythisiert werden.

    Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster

  • 06 Jürg Müller-Muralt
    am 11.09.2013 um 14:06 Uhr
    Permalink

    Sie haben natürlich recht, lieber Herr Meier, die fremden Kriegsdienste sind 1848 nicht mit einem Schlag unterbunden worden. Aber in der Bundesverfassung ist der Abschluss von Soldtruppenverträgen mit dem Ausland verboten worden, wenn auch bestehende Verträge noch erfüllt werden durften. Ein kurzer, glossierender journalistischer Beitrag hat nicht den Anspruch, eine umfassende Geschichtsschreibung zu ersetzen. Nur kreuzfalsch darf er nicht sein, und das ist mein Beitrag nicht.

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