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Bericht über Quartalszahlen der Credit Suisse als Ehrerbietung vor CEO Brady Dougan © srf

Ein Staatsfernsehen würde nicht anders berichten

upg /  SRF-Tagesschau wieder einmal als Sprachrohr von Behörden und einer Lobby: Weder kritische Fragen noch eine Stimme anderer Meinung.

Gemäss den Publizistischen Leitlinien der SRG muss die Tagesschau «Ereignisse und Entwicklungen nicht nur abbilden, sondern auch kritisch prüfen».
Nach eigenen Angaben will die Tagesschau «Informationen auswählen nach

  1. Aktualität,
  2. Relevanz und
  3. Zuschauerinteresse.»

Nehmen wir als Beispiel die Tagesschau vom Dienstag 21. April 2015. Nach einem ausgezeichneten Schwerpunkt über das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer berichtete die Tagesschau unter anderem über eine Medienkonferenz, an der die Credit Suisse CS ihren Vierteljahrsabschluss bekannt gab.
-
1. Ist dieser Quartalsabschluss der CS aktuell?
Wohl nur, wenn jede Pressekonferenz und jedes Communiqué als aktuelle News behandelt werden sollen.
2. Sind diese Pressekonferenz und die Quartalszahlen relevant für die Meinungsbildung?
Wohl kaum. Weder ist relevant, dass CS-CEO Brady Dougan zum letzten Mal vor seinem Abgang Zahlen präsentierte, noch waren die Vierteljahreszahlen selber relevant.
Es besteht zudem der Verdacht, dass Dougan seine letzten Zahlen geschönt hat, um seinen Abgang in einem guten Licht erscheinen zu lassen. SRF übernahm die Zahlen, ohne sie zu hinterfragen, mit der Schlagzeile: «Dougan verabschiedet sich mit Milliardengewinn».
Die beschränkte Aussagekraft von Bilanzen und Konzernzahlen ist zur Genüge bekannt. Man kann sie mit ziemlich viel Ermessensspielraum beeinflussen durch veränderte Bewertungen von Nutzungsrechten, Anlagen, Immobilien oder Goodwill, sowie mit Rückstellungen und Reserven etc. Überdies rechnen CS (IFRS) und UBS (US-GAAP) nach unterschiedlichen Standards ab.
Ohne nähere Analyse sind veröffentlichte Zahlen wenig informativ.
In welchen andern Ländern berichtet die Tagesschau über Quartalsberichte oder auch über Jahresberichte quasi als Pflichtstoff, wenn nichts Ausserordentliches vorlag? Deutschland? Frankreich? England? Holland? Schweden? Norwegen?
3. Hat die Tagesschau die Informationen kritisch hinterfragt?
Nein.
Viele Zuschauenden hätten vielleicht gewünscht, dass folgende Frage gestellt werden:

  • Wie viel hat Brady Dougan während seiner 8 Jahre als CEO der CS insgesamt verdient?
  • Wie hat sich die ungewichtete Kapitaldeckung der CS während seiner Amtszeit entwickelt? Je höher die Kapitaldecke, desto geringer das Risiko für Steuerzahlende, wegen ‚Too big to fail’ zur Kasse zu kommen.
  • Hat die CS die ausgewiesene Gewinnsteigerung auf dem Buckel der Sparer und Hypothekenbesitzer erzielt? Sparer werden mit Null-Zinsen abgespiesen und Inhabern von Libor-Hypotheken knöpft die CS heute eine doppelt so hohe Marge ab wie früher.

Statt auf solche Fragen antworten zu müssen, sorgte sich die Tagesschau um die berufliche Zukunft von Brady Dougan, worauf dieser erklärte «Es gibt vieles, was ich machen könnte, aber sicher nicht mehr CEO einer börsenkotierten Bank!»
Hoppla. Was hat Dougan jetzt plötzlich gegen börsenkotierte Banken? Sind ihm diese zu stark reguliert? Hat er noch zu wenig verdient? Warum hat er die Nase voll? Die Zuschauenden konnten sich nur wundern.

Der Verwirrung mehr: Die Zuschauenden erfuhren, dass das gute Quartalsergebnis «vor allem im Investmentbanking» erzielt worden sei. Doch am Schluss forderte die Tagesschau-Redaktorin überraschend: «Der neue CEO muss vor allem das Investmentbanking weiter reduzieren, zugunsten des Vermögensverwaltungsgeschäfts…»
Warum? Wurde nicht eben gesagt, das Investmentbanking habe am meisten zum Gewinn beigetragen?
Als Grund erwähnte die Redaktorin lediglich, dass das Investmentbanking «zu viel Kapital bindet».
Die Tagesschau setzte voraus, dass die Zuschauenden wissen, was das Binden von Kapital bedeutet und was «Investmentbanking» ist.
Am Schluss blitzte noch eine kritische Bemerkung auf: Die CS verfüge immer noch über eine «ungenügende Kapitaldecke».
Warum also vorher nicht die Frage an Brady Dougan, ob er mit den ausgewiesenen Gewinnen endlich die Kapitaldeckung erhöhen wolle, anstatt hauptsächlich die Aktionäre profitieren zu lassen?
Fazit: Die Tagesschau berichtete wie ein Sprachrohr der Credit Suisse.

Einseitige Promotion für verdichteteres Bauen
Über vier Minuten lang berichtete die gleiche Tagesschau über eine Immobilien-Studie von «Wüest und Partner».
1. Sind die Resultate dieser Studie aktuell?
Generell nein: Dass verdichtetes Bauen Landschaftsflächen spart, ist bekannt. Neu und in diesem Sinn aktuell war lediglich die konkrete Zahl, dass man mit verdichtetem Bauen in der Schweiz zusätzlich 2,5 Millionen Einwohner ansiedeln könnte, ohne zusätzliche Flächen zu beanspruchen.
2. Sind das Thema und dieser (theoretische Befund) relevant für die Meinungsbildung?
Ja.
3. Hat die Tagesschau die Informationen kritisch hinterfragt?
Nein.
Während über vier Minuten kamen nur Promotoren des verdichteten Bauens zu Wort. Es war keine Stimme gegen verdichtetes Bauens zu hören. Zum Beispiel hätte man einen Ecopop-Exponenten die Frage beantworten lassen können: «Die Schweiz könnte 2,5 Millionen mehr Einwohner haben, ohne eine zusätzliche Fläche zu verbauen, also ohne grosse ökologischen Schäden?»

Fazit: Die Tagesschau berichtete wie ein Sprachrohr der Lobby des verdichteten Bauens.
Worüber die Tagesschau NICHT informiert hat
Die Zuschauenden wissen nie, über welche aktuellen, für die Meinungsbildung relevanten und interessanten Geschehnisse nicht informiert wurde. Hier drei Beispiele, über die die Tagesschau vom 21. April 2014 hätte berichten können:

  • Besuch des chinesischen Präsidenten in Pakistan mit Grundsatzentscheid für 45 Mrd-Deal zur Erschliessung der Seidenstrasse.
  • In Deutschland: Endlager für hochradioaktiven Atommüll um Jahrzehnte, eventuell sogar um 150 Jahre verzögert, mit gewaltigen Mehrkosten. Das ergab eine Analyse der behördlichen deutschen Arbeitsgruppe Endlager-Suchkommission. Aktuell und relevant für die Meinungsbildung: In der Schweiz sind Endlagersuche und Streit um die Höhe der Rückstellungen für den Atommüll brisante Themen.
  • Zahlreiche NGOs und überraschenderweise die Prominenten Cornelio Sommaruga und BEKB-Präsidentin Antoinette Hunziker Ebneter haben eine Unternehmensverantwortungsinitiative vorgestellt. Hier gäbe es sogar einen Bezug zum Füchtlingsstrom; missachtete minimale Sozial- und Ökostandards sind einer von vielen Gründen für die Auswanderungen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Von 1985-1996 beim Fernsehen DRS, u.a. Leiter des Kassensturz.

Zum Infosperber-Dossier:

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7 Meinungen

  • am 23.04.2015 um 16:55 Uhr
    Permalink

    Mich wundert, dass Du Dich noch wunderst…

  • am 23.04.2015 um 17:38 Uhr
    Permalink

    Ins gleiche Kapitel gehört dir unsäglich unkritische Berichterstattung über die EU-Flüchtlingspolitik. Verwundert rieb ich mir die Augen als ich den SRF-Korrespondenten aus Brüssel letzten Sonntag hörte. Er sprach im Imperativ und völlig ohne Kompetenz. Mich wundert aber leider gar nix mehr. Schlimmer als russische oder ungarische Newssendungen.

  • am 24.04.2015 um 10:11 Uhr
    Permalink

    Zur Medienberichterstattung über das Flüchtlingselend: bei 10 vor 10 und im Radio wird die Ursache einseitig und nur der «Abschottung von Europa» zugeschoben, inkl. Bilder der errichteten Mauern in Bulgarien und sonst an der Ostgrenze. Kein Wort darüber, dass die Ursache der Flüchtlingsströme in den Herkunftsländern zu suchen ist und dass man dort ansetzen müsste!!
    In diesem Zusammenhang würde es mich interessieren, wenn Sie , Ursgasche, uns die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative näher vorstellen würden – vielen Dank!

  • am 24.04.2015 um 12:25 Uhr
    Permalink

    Dass man das Flüchtlingsproblem an der Wurzel anpacken muss, habe ich auf Infosperber dargelegt (http://bit.ly/1JlFmzf). Über die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative, welche einen der wunden Punkte aufgreift und diesen verbessern will, haben grosse Medien berichtet. Infosperber konzentriert sich auf das, was grosse Medien übersehen oder nicht veröffentlichen wollen.

  • am 24.04.2015 um 13:25 Uhr
    Permalink

    Berechtigte Kritik anhand konkreter Beispiele, danke UPG!
    Meiner Wahrnehmung nach würden eigentlich alle Beiträge der Tagesschau und 10vor10 diese drei Kriterien nicht erfüllen.
    Ist es Schlamperei, schlechtes Handwerk oder gezielte Desinformation? Bei einem minimalen Berufsstolz müsste Schlamperei ausgeschlossen werden können… um so schlimmer!
    Sogar in der Kultsendung Kontext wird unkritisch berichtet. Im Bericht über den ersten Kampfgaseinsatz vor 100 Jahren, über den Erfinder, der später wegen der Stickstoffgewinnung zwecks Kunstdüngerherstellung den Nobelpreis erhalten hatte, durfte ein Vertreter der chemischen Industrie unwidersprochen verkünden, dass ohne Kunstdünger die Erde nur gerade 2 milliarden Menschen ernähren könnte. Das ist objektiv falsch und muss leider als PR qualifiziert werden.
    Studien verschiedener unabhängiger Institute haben ergeben, dass mit organischen bzw biologischen ergo nachhaltigen Produktionmethoden mehr Menschen ernährt werden können, als mit den «konventionellen» (welche Konvention?).
    Ob der Verzicht auf Widerspruch zu diesem Chemie-Werbespruch einer journalistischen Ignoranz oder einer «Anpassung» entspringt… weiss ich nicht.
    Den Beitrag selbst fand ich – bis auf die eingeschmuggelte Lüge – sehr informativ.

  • am 27.04.2015 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Es scheint mir klar, dass eine Berichterstattung nicht objektiv sein kann, schon nur wegen der (nicht-)Auswahl der Themen, selbst wenn nichts falsches gesagt wird. Und es ist auch klar, dass die Zeit für eine sorgfältige Behandlung fehlt.

    Jedoch sollten keine leicht überprüfbaren Unwahrheiten verbreitet werden, wie in einigen der Beispielen hier, und es sollte eine Möglichkeit der nachträglichen Fehlerkorrektur bestehen.

    Weiss jemand hier, ob die deutschen Fernsehnachrichten einen besseren Ruf als die schweizerischen haben?

  • am 29.04.2015 um 14:01 Uhr
    Permalink

    einen besseren Ruf? – wer macht denn diesen «Ruf"?

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