Kommentar

NZZ-Krise als Symptom der Schweizer Medienszene

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsPhilipp Cueni ist Redaktor des Medienmagazins Edito+Klartext ©

Philipp Cueni /  Eine Zeitung ist dem Verwaltungsrat ausgeliefert. Die Wirren um die NZZ-Führung haben Symptomcharakter für unsere Medienszene.

Noch ist vieles offen bei der NZZ: wer wird neuer Chefredaktor, wie reagieren die Aktionäre auf das Verhalten des Verwaltungsrates? Wohin steuert die NZZ?
Doch seit der überraschenden und schnellen Trennung von Markus Spillmann sind Fakten bekannt, welche eine Einordnung der NZZ-Wirren in einem grösseren Massstab ermöglichen.
Zuerst die Fakten: Chefredaktor Markus Spillmann ist nicht freiwillig gegangen, wie zuerst versucht worden ist zu kommunizieren. Es gab zwischen dem Verwaltungsrat und Spillmann Dissens zu Führung und Strategie, aber auch (oder vor allem?) Differenzen zur publizistischen Ausrichtung der NZZ. Gemäss mehreren Quellen hat der Verwaltungsrat einstimmig sowohl die Trennung von Spillmann wie auch die Nachfolgepräferez «Markus Somm» beschlossen.
Aber es soll vor diesem Entscheid und danach im Verwaltungsrat auch erhebliche Differenzen gegeben haben. Nachdem durchgesickert war, dass Markus Somm als neuer NZZ-Chefredaktor bestimmt sei, kam es zu negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit. Darauf folgte der Rückzug von Somm, vermutlich war es eher eine Absage an Somm. Dabei haben die klaren Voten gegen Somm aus dem Hause und dem Umfeld der NZZ sicher eine wichtige Rolle gespielt. Unbekannt ist, ob auch die Unklarheiten über den Aktionärsbindungsvertrag von Somm mit der Basler Zeitung ausschlaggebend waren.
Der Verwaltungsrat der NZZ hat in der ganzen Sache von A bis Z eine sehr schlechte Figur gemacht, kommunikativ war das Ganze ein Gau.

  • Symptom 1: Eine erschreckend schlechte Performance des Führungsgremiums eines der wichtigsten Medienhäuser der Schweiz. Von diesem Verwaltungsrat hängen Arbeitsplätze und die Zukunft einer der wichtigsten publizistischen Stimmen der Schweiz ab. Das Handeln des Verwaltungsrates zeigt aber etwas Grundsätzlicheres auf.
  • Symptom 2: Eine Zeitung und ein Medienhaus wie die NZZ mit internationalem Renommee, hohem Qualitätsimage und einer Leserschaft weit über die FDP und sowieso über das Rechtsbürgertum hinaus, eine solche Zeitung kann offenbar durch eine kleine Gruppe aus dem wirtschaftlich-politischen Komplex publizistisch umgepolt werden.

Das ist demokratiepolitisch bedenklich. Zwar ist ein Verlagshaus wie die NZZ ein marktorientiertes Unternehmen der Privatwirtschaft. Aber ein Medienhaus ist keine Schraubenfabrik, sondern hat eine öffentliche Funktion, ist der Leserschaft, der Aufklärung, der eigenen Tradition und ihrer gesellschaftlichen Rolle verpflichtet – und nicht nur dem Verwaltungsrat. Die NZZ stand zwar immer der FDP nahe, sie war aber kein Parteiblatt, sondern sie trug zu einem weltoffenen, kritischen und öffentlichen Diskurs bei.
Eine Zeitung kann sich durchaus an einer Haltung orientieren – aber dennoch journalistisch denken und funktionieren. Eine Zeitung für (partei)politische Ziele zu verwenden, wie das Blocher und Somm bei der Basler Zeitung vormachen, ist hingegen etwas anderes. Das sehen offenbar auch prononciert freisinnige Exponenten und auch der ehemalige langjährige NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler so, welche befürchten, der Verwaltungsrat wolle die Zeitung rechtskonservativ ausrichten.
Zugespitzt formuliert stellt das Beispiel NZZ die grundsätzliche Frage: wer bestimmt in einer Demokratie eigentlich, welche Medien den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen? Nicht nur in der Schweiz sind wir nach der Aera der Parteizeitungen und jener der liberalen Verlegerdynastien in einer neuen Periode angekommen. Jetzt droht Gefahr.

  • Symptom 3: Es droht die Gefahr, dass die Medien, der Journalismus schliesslich in die Hände von wirtschaftlichen oder politischen Interessenvertreter gelangen.

In der NZZ-Krise hat sich aber auch sehr erfreuliches und für die Schweiz ungewöhnliches Phänomen gezeigt – die Rolle und Kraft der Redaktion und der Leserschaft. Abonnenten und Leserinnen der NZZ hatten gegen einen publizistischen Kurswechsel Stellung bezogen. Und 223 Mitarbeitende der NZZ haben nach dem Abgang von Spillmann schnell, deutlich und öffentlich protestiert: «Die Ernennung eines Exponenten nationalkonservativer Gesinnung würde in unseren Augen das Ende der Kultur einer liberalen und weltoffenen NZZ bedeuten».

  • Symptom 4 : Eine vergleichbare Aktion einer Redaktion gegenüber dem Arbeitgeber gab es in der Schweiz so noch nie. Die Wirkung auf den Verwaltungsrat war entsprechend stark. Dass sich ausgerechnet die Belegschaft der als traditionell, behäbig und bürgerlich geltenden NZZ derart zur Wehr setzt, mag überraschen. Sie hat sich dabei auf ein festgeschriebenes Anhörungsrecht berufen. Und plötzlich werden als verstaubt geglaubte Redaktionsrechte oder Redaktionsstatute wieder aktuell.

Einige Redaktionen anderer Medien haben durch ihre Recherchen Transparenz in die Abläufe bei der NZZ gebracht und damit beigetragen, dass der auch als «Putsch» bezeichnete Plan des NZZ-Verwaltungsrates nicht funktioniert hatte. Gut so! Gar nichts gehört hat man vom Verlegerverband «Schweizer Medien».

  • Symptom 5: Normalerweise nehmen die Verleger jeweils vorschnell gegen alle vermuteten Bedrohungen der Medienfreiheit Stellung: gegen den Staat, wenn er die Medien fördern will; gegen die SRG; gegen Qualitätsgutachten, das Bakom, den Presserat, Google. Und wo bleibt die Stellungnahme jetzt, wo ein Verwaltungsrat versucht, die Arbeit einer Redaktion in eine andere Richtung zu dirigieren?

Sie bleibt aus, wo es doch darum ginge, die Rolle der Verlagshäuser als publizistische, als unabhängige Unternehmen zu positionieren und zu verteidigen. Das massive Schlingern eines der grossen und traditionellen Medienhäuser in der Schweiz darf doch der Gemeinschaft der Verleger nicht egal sein. Und schon gar nicht, wenn politische Kreise versuchen, die publizistische Unabhängigkeit zu beschneiden.
Dass politische und wirtschaftliche Interessenvertreter Medien aufkaufen und zu ihren eigenen Gunsten publizistisch ausrichten – dieses Muster kennen wir aus Frankreich und Italien. In der Schweiz haben wir es bei der Basler Zeitung erlebt. Und das Damoklesschwert «Blocher» schwebt weiterhin über der Schweizer Medienlandschaft: die Gerüchte reissen nicht ab, dass nach der BaZ und der Weltwoche weitere Blätter in den Einflussbereich von Blocher gebracht werden sollen, dass sogar grosse Medienhäuser mit Blocher geschäftliche Gespräche führen würden.
Abwehrstrategien oder schon nur eine klare Positionierung gegen eine Berlusconisierung der Schweizer Medien sind keine zu sehen. So darf Blocher genüsslich vermelden, er habe bei einem Abgang von Somm bei der BaZ bereits für die Nachfolge vorgesorgt. So läuft das – und kaum jemand reagiert.
Die Krise bei der NZZ zeigt: Die Schweizer Medienlandschaft ist labiler, als manche vermutet haben. Bei der NZZ scheint der Widerstand aus Redaktion, Leserschaft und Freisinn einen Angriff auf das Traditionshaus und letztlich ein Stück Medienfreiheit vorerst abgewehrt zu haben. Vorerst.

Siehe:
Peter Studer: Seitenblick auf die NZZ, vom 25.12.2014
Christian Müller: Die NZZ wehrt sich öffentlich, vom 17.12.2014
Karikatur von Patrick Chappatte: «Mein Weihnachtswunsch war doch die NZZ», vom 17.12.2014


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Philipp Cueni ist Redaktor des Medienmagazins Edito+Klartext

Zum Infosperber-Dossier:

Business_News_Ausgeschnitten

Medien: Trends und Abhängigkeiten

Konzerne und Milliardäre mischen immer mehr mit. – Die Rolle, die Facebook, Twitter, Google+ spielen können

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 30.12.2014 um 21:27 Uhr
    Permalink

    Meine These ist, dass dasselbe bei Tamedia und Ringier passiert ist, aber die Öffentlichkeit hat sich nicht genügend gewehrt. Beim Tagesanzeiger sind wie bei BaZ und Weltwoche Journalisten abgesprungen oder «gegangen worden». Von einem «Gegen-Tagi» war die Rede. Der Rechtsrutsch beim Blick ist 2014 reibungslos über die Bühne gegangen. Es bleiben noch die Gratiszeitungen zu erwähnen, die mit den Herren Wigdorovits und Stoehlker von Anfang an rechts geprägt waren: Man schoss im SVP-Stil gegen die Classe Politique, und unter Kultur verstand man nur das Unterhaltungsbusiness. Ich habe noch nie eine Gratiszeitung gesehen, die über Ereignisse aus der Hochkultur berichtet.

    Das entspricht dem rechtskonservativen Tenor, wonach nur gut ist, was einen finanziellen Erfolg vorweisen kann. Geistige Werte sind inexistent. So läuft das – mit Ausnahme der NZZ – auch bei den Online-Versionen der Tageszeitungen. Schauen Sie sich mal ein Erzeugnis aus dem Hause Tamedia an und klicken Sie die Kulturspalte an! Bildungsinhalte können Sie hier mit der Lupe suchen. Die Medien sind längst mehrheitlich in der Hand derer, für die Kultur und Anstand nur ein Kostenfaktor sind. Den Verwaltungsräten, die von oben herab bestimmen, gefällt’s, den Verlegern auch. Auf der Strecke bleibt das, was uns von den Tieren unterscheidet: Reflexion, Diskurs und Information.

  • am 31.12.2014 um 11:54 Uhr
    Permalink

    Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind der Leitartikel von Markus Spillmann heute in der NZZ auf Seite 1 sowie der Dank der Redaktion auf Seite 9. Es bleibt die Hoffnung auf einen brillanten Kopf auf den Posten der Chefredaktion.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...