Kommentar

kontertext: Spekulanten-Philosophie

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Dass Intellektuelle Intellektuelle Intellektuelle schimpfen, ist grad wieder in. Antiintellektualismus mit veränderter Funktion.

Eine Schar seltsamer Gespenster geistert zur Zeit durchs Feuilleton der NZZ. Ein als Philosoph präsentierter Autor namens N.N.Taleb und der Feuilletonchef R. Scheu beschwören finstere Gestalten. Diese heissen «die Wohlwissenden» oder die «Intellektuellen-Idioten» (N.N.Taleb) oder «amerikanische Peer-Intellektuelle» (R. Scheu). Manchmal werden sie als «Regierungsbeamte», manchmal als «Insider-Journalisten», gelegentlich als «überhebliche, semiintellektuelle Experten», als «Klasse» oder als «Akademiker-Bürokraten» dem Publikum vorgestellt. Gelegentlich wird Paul Krugman als Beispiel genannt. Nachfragen nach konkreten Personen weist besagter Taleb allerdings ab mit der Versicherung, alles sei nicht so ernst, gemeint sei nur «eine kleine Minderheit». Fest steht aber, dass diese Schemen grosse, gefährliche Macht haben, denn sie können «unsereinem vorschreiben, 1) was wir tun sollen, 2) was wir essen sollen, 3) wie wir reden sollen, 4) wie wir denken sollen…, und 5) wen wir wählen sollen.» (Taleb, NZZ 15.11.16). Die Hauptsünde dieser verdorbenen Spezies besteht darin, dass sie die Erfolge von Trump, Le Pen, Blocher und Konsorten für unerfreulich und erklärungsbedürftig hält. R. Scheu vermerkt rügend: «Unter Intellektuellen hat sich seither (seit Trumps Wahl, FS) die Rede von den Frustrierten, Verlierern, Rassisten, Sexisten und Xenophoben verselbständigt.» (NZZ, 15.11.16)

Die Haut zu Markte tragen

Wir sind also in der Tradition des Antiintellektualismus. Die wuchtige Grundlage für diesen dunklen Geschichtsstrang legte der Literatenfresser Oswald Spengler. Er bestimmte, Bücher müssten sich an der grossen «Tat» messen lassen. Natürlich wird, was Stubenhocker so schreiben, dabei immer für zu leicht befunden. Auch N.N.Taleb verlangt, es müsse «skin in the game» sein. Alles andere ist Drückebergerei. «Vivere pericolosamente!», lautete diese Forderung in der Sprache der italienischen Faschisten. Bei Taleb wiederholt sich die Geschichte allerdings noch nicht einmal mehr als Farce, sondern als billiges Witzchen. «mit einem nichtweissen Taxifahrer ein Bier gekippt» zu haben, «das wäre skin in the game», sagt er. Bescheiden, der Mann.

Taleb sieht «weltweit, von Indien über Grossbritannien bis zu den Vereinigten Staaten» eine «Rebellion» gegen «die Clique der Bloss-die-eigene-Haut-nicht-aufs-Spiel-setzen-Regierungsbeamten (skin in the game)». Ihm selbst kann niemand vorwerfen, dass er die eigene Haut nicht zu Markte getragen hätte. Das «Internationale Biographische Archiv Munzinger» weiss zu berichten, dass er, bevor er zum Philosophen reifte, an der Wall Street eine Karriere als Börsenhändler für Kunden wie BNP Paribas, UBS etc. machte. Er soll dabei «durch Wettgeschäfte» viel Geld verdient haben. Das «Handelsblatt» (14.8.2010) spricht von 35 bis 40 Mio US$ und vermerkt, dass Taleb sich parallel zur Arbeit an seinen Büchern weiter als Händler betätigt, u.a. gründete er einen Hedge-Fonds. In der Fachwelt würde man wohl von abgesichertem Risiko sprechen, wenn Taleb philosophiert und polemisiert. Seinen Gewinn soll er als «Fuck-You-Money» bezeichnet haben («WELT», 29.9.2008). Der hat gut reden.

Kritik ist «hate speech»

Wer je ein Geschichtsbuch geöffnet hat, weiss, dass das Volk zuzeiten eine Bestie ist. Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang an die jüdische Erfahrung erinnern. Antiintellektualismus diente immer schon zur Abwehr kritischer Analyse. René Scheu diffamiert Versuche, Trumps Massenbasis zu analysieren, als «hate speech». Voller Empörung konstatiert er: «Es ist salonfähig geworden, die Mündigkeit der Bürger in Zweifel zu ziehen und Qualifikationen für demokratische Partizipation zu verlangen.»

«Das Gehirn ist ein Irrweg», wusste schon Gottfried Benn («Ithaka», 1914). Eben jener Gottfried Benn, der 1933 jubelte: «Der neue Staat ist gegen die Intellektuellen entstanden.» (Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen. Stuttgart 1933). Gegen die Intellektuellen nimmt das braune Schrifttum die «Instinktsicherheit» für sich in Anspruch (dazu Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Frankfurt am Main 1969, S. 43ff). Taleb gibt noch einen drauf. Instinkt genügt ihm nicht, er braucht Ur-Instinkte – was immer das sei, vielleicht so etwas wie der Auer-Ochse: «Wer will es den Menschen da verdenken, dass sie sich auf die eigenen Ur-Instinkte besinnen und lieber auf ihre Grossmutter (oder Montaigne und ähnliche über Jahrhunderte erprobte Instanzen) hören als auf diese Politnarren.» Zu gern wüsste man, wer von den dreien nun für Trumps Wahlsieg verantwortlich ist: Ur-Instinkt, Grosi oder Montaigne?

Neuer Antiintellektualismus

Ich fürchte, wir erleben gerade in diesen Jahren die Entstehung neuer Herrschaftsformen, die mit den alten faschistischen einiges gemeinsam haben und doch in vieler Hinsicht ganz anders sind. Zu den Unterschieden: Auch die Rechte und paradoxerweise sogar der Nationalismus haben sich internationalisiert. Und die Putins, Erdogans, Le Pens haben ein anderes Verhältnis zur Demokratie als die Führer der 30er Jahre. Sie nutzen die Demokratie. Für ihre plebiszitären und manipulativen Unternehmungen können sie Intellektuelle wie Taleb, Scheu, Somm oder Köppel gut gebrauchen. Dementsprechend hat sich die Funktion des Antiintellektualismus verändert.

Man braucht nur einen Vergleich zu ziehen mit der Bundesrepublik der 60er Jahre. Die CDU-CSU-Regierung verweigerte damals noch hartnäckig die Anerkennung der Nachkriegsrealitäten. Sie anerkannte weder Polens Westgrenze noch den zweiten deutschen Staat. Schriftsteller wie Hochhuth, Grass, Jens u.a. griffen die Regierung an. Diese Intellektuellen waren Teil der Opposition. Sie forderten gar zur Wahl der SPD auf. Dafür erhielten sie von Bundeskanzler Erhart kräftige Watschen: «Pinscher» nannte er sie, «Banausen» und «Nichtskönner». «Es gibt einen gewissen Intellektualismus, der in Idiotie umschlägt», sagte der Kanzler. Und die Gruppe 47 bekam aus der CDU zu hören, sie sei eine «geheime Reichsschrifttumskammer» (vgl. dazu Lothar Baier: Nieder mit den Literaten! «WoZ» 21.1.1993). Der Antiintellektualismus war damals eine Waffe der Herrschenden gegen die Rebellion von unten.

Bei Taleb, Scheu und Konsorten ist der Antiintellektualismus eine Waffe gegen die Regierung, gegen das «establishment». Er dient der Formierung und Formatierung von Mehrheiten für die extreme Rechte. Er gibt dem Wutbürger Zunder, lenkt seine Aggressionen aber in Bahnen, die bestehende Machtverhältnisse nicht grundsätzlich ändern. Für dieses Geschäft ist der Antiintellektualismus brauchbar, gerade weil «die» Intellektuellen als Gespensterschar so vage definiert sind.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider: Geboren 1948 in Basel. Studium Deutsch, Französisch, Geschichte. Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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4 Meinungen

  • am 28.12.2016 um 13:29 Uhr
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    Ja, es gibt immer Publizisten ("Intellektuelle"), die können selbst mit milder Kritik überhaupt nicht umgehen – auch und gerade dann, wenn sie von tatsächlichen Experten (wie z.B. Professor Ludwig Erhard) kommt.

    Was den Publizisten vorgeworfen wird, ist übrigens nicht die mangelnde heroische «Tat», sondern der mangelnde Kontakt zur Lebenswirklichkeit der arbeitenden Bevölkerung und der damit verbundene mangelnde Sachverstand.

    Solange die Mehrheit der Publizisten aber nicht tatsächlich besser (selbstkritischer, lebensnäher, sachverständiger, offener, argumentativer) wird, werden sie ihr öffentliches Ansehen durch bloße Selbst-Idolisierung – also mit solchen Artikeln wie diesem – auch nicht verbessern können.

  • am 30.12.2016 um 18:44 Uhr
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    Felix Schneider macht es sich zu einfach: Wie andere Menschengruppen oder Kasten versuchen sich auch die Intellektuellen abzuschotten und das eigene Wissen innerhalb ihrer Referenzgruppe zu bewahren. Dies vor allem in – auch ökonomisch – schwierigen Zeiten. Dabei können sich die Intellektuellen wie Mitglieder einer religiösen Sekte verhalten. Das zumindest ging aus einer meiner Untersuchungen über das Verhalten von Mathematikern gegenüber neuen mathematischen Methoden (Wahrscheinlichkeitstheorien, dynamische Modelle) im Habsburgerreich aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg hervor.
    Und im Zeichen des Neoliberalismus wird wohl eher ein Wissenschaftler an einen Lehrstuhl gewählt, der «vernetzen», d.h. finanzielle Mittel organisieren kann, als ein eigensinniger Denker. Beides verstärkt das Abgehobensein der Wissenschaftler. Das Problem ist nur, dass im Allgemeinen mehr Unabhängigkeit von den Intellektuellen erwartet wird. Diese «Unabhängigkeit» simulieren die von Schneider erwähnten Personen – ob sie die erwähnte Unabhängigkeit tatsächlich haben oder nicht, spielt dabei in der Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle: Sie demonstrieren mit ihrem Verhalten die Möglichkeit von Unabhängigkeit und dies vor allem dank der Tatsache, dass kritische Intellektuelle zunehmend dünner gesät sind. Gleichzeitig wird auch mehr Leidenschaft und weniger Konformität von Intellektuellen erwartet als dies heute der Fall ist. Diesen (tatsächlichen) Mangel bewirtschaftet Scheu doch sehr erfolgreich.

  • am 2.01.2017 um 20:42 Uhr
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    Der Antiintellektualismus ist ein wichtiges Instrument jener, die das Bauchgefühl für ihre Staatsform höher werten als den vernünftigen Diskurs. Jene, die nur nachdenken, müssen irgendwie abgewertet, und jene die nur handeln, aufgewertet werden. Die akademischen Eliten müssen daher schlecht und die ökonomischen Eliten gut sein. So weit das dualistische Menschenbild der Antiintellektuellen.

    Jedenfalls waren am Dienstagnachmittag, nachdem die Pseudoreplik «Taleb und die Intellektuellen: Das Problem mit der Publikumsverachtung» von René Scheu online gestellt und ein paar antiintellektuelle Kommentare unter dem Artikel publiziert worden waren, die Kommentarspalten schon geschlossen. René Scheu spricht im Text von Leserzuschriften, die aber offensichtlich auch nicht publiziert worden waren. Vermutlich war die antiantiintellektuelle Kritik zu vernichtend für den neuen Feuilletonchef.

    Und so gehen die sogenannten Liberalen politisch korrekt mit der Kritik um: Sie wird verschwiegen und abgeblockt. Das hat System, denn von bislang 17 Leserbriefen mit Kritik an der Ausrichtung des neuen NZZ-Feuilletons wurde kein einziger veröffentlicht, und ich habe auch keine Kritik von anderen lesen können. Was es mit der Entlassung von Samuel Herzog und Barbara Villiger Heilig auf sich hat, verschweigt die NZZ ebenfalls geflissentlich. Dass auf der Feuilleton-Redaktion schlechte Stimmung herrscht, ist durchgesickert. Der kulturinteressierte Leser wird für dumm verkauft und ignoriert.

  • am 2.01.2017 um 21:26 Uhr
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    Ich bin wirklich sehr für den vernünftigen Diskurs. Und ich gehöre auch zu den Menschen, die Ideen sehr ernst (evtl. zu ernst) nehmen. Muss ich deshalb Leute respektieren, bloß weil sie sich «Intellektuelle» nennen und weil sie in ihren Texten eine Vorliebe für abstrakte Begriffe und dreisilbige Fremdwörter an den Tag legen?

    Und der bürgerliche Leser, der vom Wirtschaftsteil verlangte, dass er rechts war, und vom Kulturteil, dass er links war – diese Art von schizophrenen Lesern ist doch hoffentlich ausgestorben!

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