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«Betone das Gute, vernachlässige das Schlechte» © misterbijou.blogspot.com//flickr/cc

Made in Hong Kong: Teure Pressefreiheit

Peter G. Achten /  Die Hongkonger Tageszeitung «South China Morning Post» hat einen chinesischen Käufer gefunden. Viele fürchten um das freie Wort.

Bünzlis aller Länder leisten sich etwa Zinnsoldaten, einen Schrebergarten, Gartenzwerge oder Ferien. Steinreiche Tycoons von China über Russland bis in die USA trumpfen mit dem Besitz von Fussball-, Baseball- oder andern Sportclubs auf. Dann gibt es jene Superreichen, die höher hinaus wollen. So kaufte sich 2013 Jeff Bezos, Gründer und Präsident des E-Commerce-Kraftmeiers Amazon.com, für 250 Millionen Dollar die renommierte Tageszeitung «The Washington Post». Oder: SVP-Übervater und Milliardär Christoph Blocher sammelt nicht nur Kunst, sondern schenkte sich die «Basler Zeitung». Jetzt hat auch einer der schillerndsten Privatunternehmer Chinas, Jack Ma, zugegriffen und die renommierte Hongkonger Tageszeitung «South China Morning Post» (SCMP) für umgerechnet 270 Millionen Franken übernommen.

Tausendsassa Jack Ma

Der ehemalige Englisch-Lehrer Jack Ma ist ein brillanter Geschäftsmann und hat sich die SCMP sicher nicht (nur) aus ideellen Motiven angeeignet. Ma, Ende der 1990er-Jahre Gründer des heute weltgrössten und weltweit profitabelsten E-Commercebetreibers Alibaba mit 12 Milliarden Dollar Jahresumsatz, baut sich im anbrechenden digitalen Zeitalter auch ein Medien-Imperium zusammen. Ähnlich wie seit über 15 Jahren im E-Commerce denkt Tausendsassa Ma stets gross und global. So auch mit seinen Medien-Plänen. Mit «Alibaba Pictures» besitzt Ma ein Filmstudio, ist an einem weiteren Studio beteiligt. Mit «Youku Tudou» betreibt er ein Video-Portal online. Mehrere Zeitungen und Zeitschriften in China sind auch in Mas Medien-Portfolio vertreten. Und jetzt kommt die SCMP hinzu, eine Zeitung mit internationalem Renommee.

Die besten Zeiten der SCMP allerdings sind längst vorbei. Gegründet wurde das Blatt 1903 vom britischen Journalisten Arthur Cunningham und dessen Freund, dem Australien-Chinesen Tse Tsan-tai. Dieser träumte in den letzten Jahren des Kaiserreiches von einer chinesischen Republik. Ziel der Zeitungsgründer: Die SCMP soll von Hong Kong aus nach China hinein wirken. Die grosse Zeit der «Post», wie die Zeitung auch genannt wird, brach 1949 an, nach dem Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg gegen die Nationalisten, der Abschottung unter Mao nach aussen und des China-Boykotts des Westens sowie Japans. Fortan bis ans Ende des 20. Jahrhunderts galt die SCMP dank ihrem Informationsvorsprung als Referenz-Medium in Sachen China. Die Kommentare und Analysen der «Post» waren im Konzert der China-Experten, die meist von Ferne in den grünen Teeblättern Chinas lasen, von singulärer Klarheit und stets bestens recherchiert.

Peking hält sich an die Spielregeln

Nach der Öffnung Chinas Anfang der 1980er-Jahre spielten die Pekinger SCMP-Korrespondenten eine wichtige Rolle. 1997 bei der «Rückkehr Hong Kongs ins Mutterland» als Sonderverwaltungs-Region (SAR) fürchteten viele um die Unabhängigkeit des regionalen Leitmediums, viele sahen bereits das Ende der Pressefreiheit heraufdämmern. Doch Peking hielt und hält sich bis heute strikt an den mit der früheren Kolonialmacht Grossbritannien ausgehandelten «hohen Grad von Autonomie», Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit sowie Rechtsstaat eingeschlossen. In der Übergangszeit von 1995 bis 2000 wirkte der unbestechliche, klarsichtige Jonathan Fenby, der China-Kenner par excellence, als Chefredaktor.

Die «South China Morning Post» allerdings hatte in dieser Zeit verschiedene Besitzerwechsel zu verkraften. Von Dow Jones und Rupert Murdoch ging das Blatt in den Besitz des Malaysia-Chinesen Robert Kuok über. Der in China gut vernetzte Immobilien-Tycoon mischte sich in redaktionelle Belange ein. Der Pekinger SCMP-Bürochef, der renommierte britische Autor und Journalist Jasper Becker, musste im Jahre 2002 seinen Hut nehmen, weil er öffentlich machte, dass er in der «Post» nicht über Aids-Skandale und Arbeiterrevolten in China berichten durfte. Schon zwei Jahre zuvor wurde der weitherum respektierte Kommentator Willy Wo-Lap Lam gefeuert, weil er laut Kuok mit «Übertreibungen und Erfindungen» gearbeitet habe. Lam unterrichtet heute als Professor an der Chinese University of Hong Kong.

«Fair, relevant, Gedanken provozierend»

Der heutige chinesische Chefredaktor Wang Xiangwei kam nach Studien in Grossbritannien bereits 1996 zur SCMP, übernahm dort 2000 das Ressort China, wurde 2007 zum Stellvertretenden Chefredaktor und 2012 zum Chefredaktor ernannt. Bei seinem Amtsantritt versprach er, «auch in Zukunft ohne Furcht und ohne Bevorteilung Nachrichten zu publizieren, mit unserem fairen, relevanten und Gedanken provozierenden Publizistik-Ansatz». Dieses Versprechen hat der aus der chinesischen Nordprovinz Jilin stammende Wang bisher fast durchwegs eingehalten. Über die Occupy-Central-Demonstrationen 2014 zum Beispiel wurde in der «Post» umfassend berichtet, ebenfalls immer wieder über Menschenrechtsfragen in China oder die jährlichen Proteste gegen die Unterdrückung der Studenten- und Arbeiter-Proteste Tiananmen 1989. Wang gehört zu jener Generation von Chinesinnen und Chinesen, die durch die Ereignisse 1989 auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen geprägt worden sind. Der Journalismus-Student Wang sass damals als Demonstrant selbst auf dem Platz.

Heute ist die SCMP zwar in einzelnen Kommentaren etwas näher an China gerückt, aber noch immer durchaus eine Zeitung, in der das freie Wort etwas gilt. Die «Post» ist übrigens in Hong Kong nicht die einzige Stimme, die China kritisch hinterfragt. Dazu gehört seit langen Jahren vor allem auch die chinesischsprachige «Pinguo Ribao» (Apfel-Tageszeitung) von Jimmy Lai Chee-Ying. Mit dem Kauf der SCMP durch Jack Ma allerdings sind jetzt wieder Stimmen laut geworden, die die Pressefreiheit in Hong Kong in höchster Gefahr sehen. Obwohl noch profitabel, ist das Blatt mit einer Auflage von 100‘000 Exemplaren – wie weltweit die meisten andern Printmedien auch – in einem delikaten Übergang ins neue IT-Zeitalter begriffen. Das digitale «Alibaba»-Know-how kommt da gelegen und macht wohl kommerziell Sinn. Aber die Pressefreiheit? Nun, Jack Mas Vize und «Alibaba»-Mitbegründer Joseph Tsai versichert, auch in Zukunft wolle die SCMP «objektiv, ausgewogen und fair» berichten – wer in aller Welt und der Schweiz will das denn nicht? – und ziele auf eine «globale Leserschaft, egal ob in New York, London oder Sidney».

Softpower Chinas

Die «Alibaba»-Übernahme der «Post» kann freilich auch unter einem andern Blickwinkel analysiert werden. Wie alle chinesischen Unternehmer unterhält Jack Ma enge Beziehungen zur allmächtigen Kommunistischen Partei. Nur so ist Erfolg im Business überhaupt erst möglich. Die «Post», so das Urteil einiger Beobachter, diene nun dem grösseren Ganzen, d.h. der Soft-Power-Initiative, welche Staats- und Parteichef Xi Jinping seit seinem Machtantritt 2012 in die Tat umsetzen will. Die «Sicht Chinas», so Xi, müsse zur Geltung gebracht werden. Dazu gehören massive Investitionen in den jetzt weltweit empfangbaren, journalistisch qualitativ hochstehenden 24-Stunden-Nachrichtensender CCTV auf Englisch oder in die in Dutzenden von Sprachen sendende Radio-Station «China Radio International». Auch über 300 Konfuzius-Institute weltweit, darunter auch in der Schweiz, zählen dazu. Die im Westen bekannte SCMP soll in diesem weiten Rahmen in Zukunft als eines der Gegengewichte zur «ideologisierten und voreingenommenen» Berichterstattung westlicher Medien dienen.

Leider ist der Vorwurf der «voreingenommenen» Berichterstattung westlicher Medien nicht ganz falsch. In der Schweiz zum Beispiel ist die China-Berichterstattung einer sogenannten Qualitäts-Zeitung in Zürich fast ausschliesslich negativ. Ähnliches lässt sich von der zweiten grossen Zürcher Zeitung und weiteren Deutschschweizer Blättern sagen. Pressefreiheit in einer Spassgesellschaft hat eben seinen Preis. Im Westen gilt das Prinzip «Good News is no News – Bad News is good News». Im konfuzianischen China und Asien dagegen gilt der Grundsatz «Betone das Gute, vernachlässige das Schlechte». Zur Folge hat das in China, dass gefühlte 90 Prozent aller Nachrichten eben «gute» Nachrichten sind. Das kann es ja – ähnlich wie am Gegenpol das Schweizer Beispiel – auch nicht sein.

Informations-Monopol

In der Volksrepublik China kommt erschwerend hinzu, dass die KP strikte auf ihrem Informations-Monopol besteht, um die Deutungshoheit nicht zu verlieren. Dennoch, die Wirtschaftsreformen haben in den letzten dreissig Jahren auch eine sachte Öffnung der Medien in China gebracht. Weil sie sich selbst finanzieren müssen, hat der Wettbewerb zu einer Qualitätssteigerung geführt, sowohl in Print als auch in Radio und Fernsehen. Allerdings überwacht die KP die Medien streng. Als Faustregel gilt: Wer den Kaiser beleidigt, Politiker also persönlich angreift, wird verwarnt oder wandert ins Gefängnis. Persönliche Angriffe und politische Abrechnungen sind – wen wundert es – nur mit parteilicher Absegnung von oben erlaubt.

Hong Kong wird auch nach der Übernahme der SCMP durch Jack Ma ein Bollwerk der Pressefreiheit bleiben. Falls aber die «Post» auf einen knallroten Parteikurs Pekinger Prägung einschwenken sollte, wäre die renommierte Tageszeitungs-Marke dahin, die ihr zugedachte Softpower-Rolle verspielt und der Profit unter Null. Das wird der gewiefte Geschäftsmann Jack Ma wohl nicht zulassen. Für Ma gilt auch in Sachen SCMP der in Asien so oft praktizierte Spagat: nicht westliches «Entweder-Oder» sondern asiatisches «Sowohl-als auch».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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