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Halt auf Verlangen am Gotthard © Marco Broscheit/Flickr/cc

«Eine ganz gewöhnliche Aktion»

Richard Aschinger /  Maschinenpistolen, gleissendes Licht: Wenn die Polizei heute Grosskontrollen durchführt, erinnert das an einen Anti-Terror-Einsatz.

Im Gotthardtunnel Richtung Norden. 21 Uhr, bei lockerem Verkehr noch zwei Kilometer bis Göschenen. Nach zehn Minuten Eintönigkeit plötzlich Blinklichter, Tempo 60. Am Tunnelende abrupter Szenenwechsel. Polizei. Schwer bewaffnet in gleissendem Licht. Am linken Strassenrand zwei Polizisten. Hinten mehr Polizei in Wartestellung. Alarmstimmung. Kinobilder.
Der Polizist links fordert aus zehn Meter Distanz zum Halten auf. Mit künstlich verlangsamter Handbewegung. Sein Kollege rechts richtet die Maschinenpistole auf den Wagen. Man steht still. Und wieder eine Handbewegung. Langsam vorfahren. Langsam öffnet man das Fenster: Der Polizist links greift zur Pistole am Gurt. Der rechte zielt mit seiner MP nach. Der linke beugt sich vor. Augenkontakt ohne Worte. Hochspannung. Ein Blick auf die Hinterbank. Dann noch ein Handzeichen in Zeitlupe: Man fährt wieder an. Atmet durch.
Reussabwärts dreht die Frage: Was war das? Ein Verbrechen? Terrorismus? Staat zeigen in IS- und Ebola-Zeiten? Oder eine Übung? Zwanzig Minuten später, am Ende des Seelisbergtunnels, wieder Blinker und Tempo 60: Am Tunnelausgang bei Beckenried erneut taghell. Wieder schwer bewaffnete Polizei. Kontrolliert wird hier die Gegenrichtung.

Nach der Heimkehr ein Blick ins Internet. Nichts. Keine Meldung, keine Erklärung. Beim Frühstück herrscht die Meinung, das sei doch nicht normal. Kolumbien? Russland? USA im Film? Wo sind wir eigentlich, wo die Polizei alles darf und nichts erklären muss?

Also ein Anruf bei der Polizei. Freundliche Stimmen bei der Kantonspolizei Uri und Nidwalden. Zuerst: Da könne man nichts sagen. Dann aber immerhin so viel: Um eine Übung habe es sich nicht gehandelt. Das wäre verboten. Aber seit zwei Jahren mache man interkantonale Kontrollen: Diesmal Uri und Nidwalden, diesmal ohne Tessin. Mit doppelter Zielsetzung: Verkehrssicherheit, Einbruchprävention. Regelmässig nach dem Ende der Sommerzeit, wenn es früh dunkel werde, wenn sich «Dämmerungseinbrüche häufen». Auf der A2 seien ja nicht nur Schweizer unterwegs. Da sei man «rassig über den Gotthard» weg.

«Das subjektive Sicherheitsbedürfnis heben»

Maschinenpistolen für Verkehrskontrollen? Gegen Dämmerungseinbrecher? «So werden Polizeikontrollen heute durchgeführt», heisst es in Uri und Nidwalden. Im Vordergrund stehe die «Eigensicherung». So werde das an Polizeischulen instruiert. Absolute Wachsamkeit sei nötig. «Es kann plötzlich gefährlich werden.» Einen speziellen Grund für die Kontrollen habe es an diesem Abend nicht gegeben. «Eine ganz gewöhnliche Aktion». Der Urner Polizeisprecher sagt, die Aktion habe etwas gebracht. In den Kontrollen sei «etwas» hängen geblieben.

Bleibt eine Frage: In Bern zwingt die Polizei Jugendliche, die gegen die Wahl der «Miss Switzerland» vor dem Bundeshaus protestierten ohne Begründung sich nackt auszuziehen. Am Gotthard werden Autofahrer ohne ein Wort der Erklärung «at gunpoint» kontrolliert. Wie wirkt solche unerklärte Polizeimacht in der Öffentlichkeit? Das sei «Ansichtssache», erklärt der Urner Polizeisprecher. Es gebe Leute, «die das sehr begrüssen». Ziel der Kontrollen am Gotthard sei es auch, «das subjektive Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu heben». Die Öffentlichkeit solle «spüren, dass es um etwas geht». Die Anregung, man könnte das subjektive Gefühl der Betroffenen vielleicht noch verbessern, wenn ihnen am Schluss einer wortlos martialischen Kontrolle eine menschliche Stimme «gute Fahrt» wünschen würde, will er gern weiterleiten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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3 Meinungen

  • am 4.11.2014 um 11:42 Uhr
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    Die Kantonspolizeien, die Bahnpolizei, die Grenzwacht, private Sicherheitsbeamte nehmen sich immer mehr Freiheit, martialisch und unter dem Deckmantel der Prävention und Verbrechensbekämpfung die elementaren Grundrechte zu beschneiden. Die Waffe auf jemanden zu richten, der kontrolliert wird, ist unverhältnismässig. Im Zug werden Rasterfahndungen durchgeführt, Grenzbeamten pflücken einzelne Reisende raus und kontrollieren sie. Die sogenannten Staatsschützer schöpfen zur Zeit aus dem Vollen und spüren sich fast nicht mehr – IS und Co. sei Dank. Als nächstes dürfen Sie wohl Mitgliedern einer Sondereinheit ihr Bahnbillet zum Knipsen geben.

  • am 4.11.2014 um 17:11 Uhr
    Permalink

    Warum «USA im Film"? Das ist schon lange die Realität in den USA.

    Aktuelle Beispiele:
    http://www.youtube.com/watch?v=CiJbHiQTe2c
    http://www.youtube.com/watch?v=IGG0YkFecF4
    http://www.youtube.com/watch?v=RImcOuAXbYw
    http://www.youtube.com/watch?v=41iYPtWV15c
    http://www.youtube.com/watch?v=UYaeP9Yy668

    Europa und die Schweiz bewegen sich auch ganz klar in diese Richtung.

    In den USA werden diese massiven Uebergriffe inzwischen sehr oft von Nebenstehenden aufgenommen und sofort auf youtube geladen.

    Auch Herr Aschinger möge beim nächsten Mal das Auto in einer der SOS-Nischen parkieren und die Polizei bei ihrem Tun filmen und das ganze hochladen.

    Auf jeden Fall danke für diesen wichtigen Artikel.

  • am 4.11.2014 um 19:45 Uhr
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    Mein Sicherheitsempfinden sinkt jeweils auf NULL, wenn ich in die Nähe solcher Kontrollen oder Einsätze komme. Egal ob Demo, Fussballmatch oder was auch immer: Als unwissender Passant (kenn ich denn die Matchpläne?) an einem öffentlichen Ort wie z.B. dem Bahnhof plötzlich vor versperrten Zugängen zu stehen, noch mit Kindern an der Hand, ist Stress pur. Und eine Katastrophe ist es, von keinem der dort im Einsatz stehenden eine brauchbare Auskunft zu erhalten: «wie komme ich nun am sichersten auf den Zug? Was soll ich tun?» Schulterzucken, soweit es mit der Waffe im Arm möglich ist. Ja, Danke, auch gute Fahrt.

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