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Die Treffsicherheit beim Interpretieren von Screening-Bildern variiert um das Vierfache © Strahleninstitut.de

Infosperber «an der Grenze der Ehrbeleidigung»

upg /  Ringier-Publizist Hans Jürg Deutsch ist beleidigt, weil der Vorwurf der krassen Fehlinformation im Sobli nicht stimme. Leider doch.

«Mit Ihren beleidigenden Äusserungen bewegen Sie sich an der Grenze der Ehrbeleidigung», empörte sich Ringier-Mann Hans Jürg Deutsch, nachdem Infosperber im Beitrag «Im Sonntags-Blick legt Fibo Deutsch Frauen herein» kritisiert hatte, dass der Sonntags-Blick den Nutzen der Früherkennung von Brustkrebs mit Screening-Programmen um das Zehnfache übertrieb und gleichzeitig wichtige Nachteile unerwähnt liess. Irrtümer können allen passieren, doch der Sonntags-Blick hat seine irreführende Information bis heute nicht korrigiert.
Hans Jürg Deutsch fühlt sich zu recht in seiner Ehre verletzt. Doch eine Ehrverletzungen muss er in Kauf nehmen, wenn Infosperber eine falsche Darstellung im öffentlichen Interesse beanstandet.
Die falsche Darstellung
Im Sonntags-Blick empfahl der Onkologe und Chefarzt Thomas Cerny den Frauen im Alter zwischen 50 und 70 an einem organisierten Screening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs teilzunehmen. Den Nutzen formulierte er wie folgt:
«Pro 10’000 teilnehmenden Frauen werden jedes Jahr mindestens zehn weniger an Brustkrebs versterben.»
Es folgte die Adresse einer Webseite, wo Leserinnen ein Faltblatt der Krebsliga mit «umfassenden Informationen» finden könnten.
Aus diesem Faktenblatt der Krebsliga geht hervor, dass sich 1’000 Frauen während zehn Jahren fünfmal röntgen lassen müssen, damit eine von ihnen in diesen zehn Jahren weniger stirbt.
Mit einem einfachen Dreisatz folgt daraus: Es müssen sich 10’000 Frauen während zehn Jahren fünfmal röntgen lassen, damit zehn von ihnen innert zehn Jahren weniger an Brustkrebs sterben. Wenn aber innert zehn Jahren zehn Frauen weniger sterben, dann stirbt logischerweise pro Jahr eine Frau weniger und nicht wie von Cerny behauptet zehn Frauen pro Jahr.
Der Nutzen der Screening-Programme ist folglich zehn Mal kleiner als von Cerny behauptet und von Hans Jürg Deutsch im «Sonntags-Blick» ohne Nachrechnen verbreitet. Das ist keine Bagatelle. Denn die Zahl der Frauen, die am Screening teilnehmen müssen, damit eine von ihnen weniger stirbt, ist die verständlichste und klarste Angabe des Nutzens. Müssten zum Beispiel nur 50 oder 200 Frauen am Screening teilnehmen, damit eine von ihnen gerettet werden kann, würde vielen Frauen der Entscheid zur Teilnahme leichter fallen als wenn dafür 10’000 Frauen mitmachen müssen.
Die verschwiegenen Nachteile
Aus dem gleichen Faktenblatt der Krebsliga ist ersichtlich, dass wegen des Screenings pro gerettete Frau vier gesunde Frauen ohne Nutzen gegen Brustkrebs behandelt werden. Diese vier Frauen hätten von den «früh» entdeckten Krebszellen während ihres ganzen Lebens nie etwas bemerkt. Sie glauben aber fälschlicherweise, dass sie das Screening-Programm vor dem Tod an Brustkrebs bewahrt habe (siehe «Brustkrebs: Das müssen Frauen unbedingt wissen»).
Über diesen gewichtigen Nachteil der Früherkennung hat der Sonntags-Blick nicht informiert. Diese und andere Nachteile blieben unerwähnt, der Nutzen aber wurde zehnfach übertrieben. Mit diesen einseitigen Informationen sind die Frauen nicht in der Lage, den Nutzens und die Risiken selber abzuwägen und über eine Teilnahme am Screening-Programm informiert zu entscheiden.
Screening-Promotoren schwiegen
Radiologen verdienen am Screening. Ärzte und Pharmafirmen verdienen an den vielen nutzlosen Behandlungen, welche die Programme zur Folge haben. Und die Krebsliga wird für die Organisation der Screenings bezahlt. Ihnen allen ist es offensichtlich egal, wenn eine Zeitung wie der Sonntags-Blick die Frauen derart einseitig informiert. Keiner dieser Screening-Promotoren hat sich beim «Sonntags-Blick» beschwert und eine Korrektur verlangt.
Lautstark meldeten sie sich dagegen alle zu Wort, als das «Swiss Medical Board» Nutzen und Risiken gegenüberstellte und von neuen Screening-Programmen abriet.
Berichtigung abgelehnt

Infosperber machte Hans Jürg Deutsch auf den Fehler der zehnfachen Übertreibung des Nutzens von Screening-Programmen aufmerksam. Doch er wollte die Falschinformation im Sonntags-Blick nicht berichtigen. Darauf machte Infosperber diese irreführende Information publik.
Deutsch behauptet noch heute, er habe im Sonntags-Blick korrekt berichtet: «Dass pro 10’000 teilnehmenden Frauen jedes Jahr mindestens zehn weniger an Brustkrebs versterben werden, stimmt unter der Annahme, dass die Screening Programme über die Dauer von zehn Jahren gehen.» Für «Einzelheiten» habe der «Sonntags-Blick» auf das Merkblatt der Krebsliga verwiesen, weshalb von «absichtlicher Fehlinformation» keine Rede sein könne.
Frage: Wie viele Blick-Leserinnen werden im Internet das Merkblatt der Krebsliga konsultieren?
Feststellung: Der Hinweis auf die Krebsliga ändert nichts daran, dass es Humbug ist zu behaupten, es würden pro 10’000 Teilnehmerinnen jedes Jahr mindestens zehn vor dem Brustkrebstod gerettet.
Simple Plausibilitätsrechnung
Infosperber hatte Hans Jürg Deutsch bereits einmal eine simple Hochrechnung unterbreitet, die ihm hätte genügen sollen, seine Fehlinformation zu korrigieren. Am 18. Februar schrieb Infosperber: «Wenn Cernys Angaben stimmen würden, könnte das Screening mehr Frauen vor dem Tod retten als überhaupt an Brustkrebs in diesem Alter sterben.»
Wir erklären diese Rechnung gerne im Detail:
In der Schweiz wohnen 1,175 Millionen Frauen im Screening-Alter zwischen 50 und 74 Jahren. Zwölf Prozent von ihnen kommen für das Screening nicht in Frage, weil sie bereits an Brustkrebs erkrankten oder erblich stark vorbelastet sind. Es bleiben 1,034 Millionen gesunde Frauen ohne besonderes Brustkrebs-Risiko, die für das Früherkennungs-Programm in Frage kommen.
Nehmen wir an, es würden in Zukunft alle diese 1,034 Millionen Frauen am Früherkennungsprogramm mitmachen. Laut Deutsch und Cerny werden pro 10’000 Teilnehmerinnen jedes Jahr mindestens zehn weniger an Brustkrebs sterben. Rechne: 1’034’000/10’000*10 = 1034. Bei 1,034 Millionen Teilnehmerinnen würden also jedes Jahr mindestens 1034 Frauen weniger an Brustkrebs sterben.
Spätestens jetzt sollte die rote Lampe aufleuchten. Es ist nicht möglich, dass jedes Jahr 1034 Frauen weniger an Brustkrebs sterben, weil unter den Frauen dieser Altersklasse in Wirklichkeit nur etwa 700 jährlich an Brustkrebs sterben, einschliesslich derjenigen mit erblichen Vorbelastungen. Selbst wenn Screening-Programme 100% der Todesfälle verhindern könnten, gäbe es also maximal 700 zu verhindern.
Die Erfolgsquote beträgt aber nicht 100%, sondern nach relevanten Studien nur etwa 15%. Somit könnte man nur 105 der 700 Todesfälle vermeiden, selbst wenn alle 1,034 Millionen Frauen an Screening-Programmen mit machen würden.
Onkologe Thomas Cerny und Hans Jürg Deutsch gehen optimistischer davon aus, dass die Früherkennung das Todesrisiko um 20 Prozent reduzieren kann. Das wären 140 der 700 Todesfälle, die vermieden werden könnten – bei 100%iger Beteiligung der Frauen.
Auch das ist eine Übertreibung, weil ein Teil der jährlich 700 Todesfälle Frauen betrifft, die erblich vorbelastet sind und vom Screening-Programm nicht erfasst werden.

Kein Wort über die Krebsbehandlungen ohne Nutzen
Die Behauptung «Pro 10’000 teilnehmenden Frauen werden jedes Jahr mindestens zehn weniger an Brustkrebs versterben» ist eine zehnfache Übertreibung des Nutzens. Diese wiegt umso schwerer, als Hans Jürg Deutsch im Sonntags-Blick die Frauen nicht über den grössten der Nachteile des Screenings informierte. Nämlich dass pro gerettete Frau vier Frauen ohne Nutzen gegen Krebs behandelt werden. Statt dass diese ihr ganzes Leben lang gesunde Frauen bleiben, sind sie wegen des Screenings behandelte Brustkrebskranke. Auch das steht im Faktenblatt der Krebsliga, auf welche der Sonntags-Blick im Text als Quelle hinweist.

Siehe



Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von Zeitungsartikeln

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6 Meinungen

  • am 11.03.2014 um 13:21 Uhr
    Permalink

    Pro gerettete Frau werden durch falsch pos. Diagnosen 4 Frauen nutzlos, resp. überbehandelt. Warum rechnet dass SMB dann bei seiner Kosten-Nutzen-Analyse per QALY-Modell mit 10 falsch pos. Fällen. Diese Übertreibung wird benötigt, um die Kosten-Nutzen Bilanz der geretteten Frauen so zu darzustellen, dass sich der finanzielle Aufwand nicht mehr lohnt, ohne diese Berechnung mit nachweislich wissenschaftlichen Belegen untermauern zu können (gemäss VEMS).
    Was können wir daraus folgern: Das QALY-Modell vermag auf ein Verbesserungspotential des Brustkrebsscreenings hinweisen (z.B. Miteinbezug der Mammasonographie). Also Optimierung der Screeningoptionen. Diese muss selbstverständlich über Begleitforschung wissenschaftlich fachgerecht begleitet und ständig angepasst werden.
    Die einseitige Kampagne von InfoSperber mit Ausschluss der meines Erachtens falschen Kosten-Nutzen-Berechnung des SMB per QALY hinterlässt ein beklemmendes Gefühl: Geht es InfoSperber letzten Endes nur um finanzielle Aspekte des Brustkrebsscreeningprogramms? Ist die Rettung eines Lebens unter diesen Aspekten unbedeutend? Soll man der Medizin keine Chance geben, über praxisgerechte Versorgungsforschung die Screeningprogramme optimieren zu können? Bedeutet Stillstand nicht Rückschritt und letzten Endes noch höhere Kosten? Ist aufgrund dieser Analyse das Leben einer Frau ab 50 nichts mehr wert? Diese Fragen gilt es von InfoSperber im Interesse einer sachlichen Debatte auch zu berücksichtigen.

  • am 11.03.2014 um 21:32 Uhr
    Permalink

    Liebster Herr Keusch,
    Ich antworte jetzt als Frau – Elisabeth ist bis jetzt ein Frauenname.
    Für mich persönlich ich massgeblich wie lange ich in einem Zustand lebe, den ich für gut halte und nicht wie lange man mich als «lebenenden Leichnam» am Leben erhält.
    Ich habe das letztes Jahr bei 2 Bekannten erlebt. Und genau über dieses Thema wurde vor einigen Tagen im Fernsehen diskutiert.
    Und als I-Tüpfelchen las ich vor einigen Tagen, das Exit erreichen möchte, dass auch gesunde «Alte» die Pille bekommen können,
    auf die man ins Jenseits entschläft.
    Dann heisst es in Zukunft nicht mehr die teuren Alten, sondern warum hat die Alte die Tablette noch nicht geschluckt.
    Und Herr Keusch, wann informieren Sie sich endlich, wieviel Krankheiten und damit Leid zu vermeiden wäre? Das können Sie seit 30 Jahren und länger lesen. Und dazu gibt es auch genügend
    Studien, z.B. eine für den dtsch. Kassenarztverband unter dem Patronat der Vorgängerin der EU. Auch die WHO berichtet davon.
    und so weiter und sofort. In der Fachliteratur findet man dazu viele
    sehr exakte Unterlagen. Und jetzt stelle ich Ihnen die Frage:
    Ist es ein Leben nicht wert, dass man es gesund erhält?

  • am 12.03.2014 um 01:37 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrte Frau Schmidlin,
    Ihre Frage beantworte ich wie folgt: «Achte, schütze und mehre das Wohl des individuellen Lebens".
    Zu Ihrer weiteren ganzheitlich kompetenten Vertiefung in die allgemeine Kosten-Nutzen-Bewertung medizinischer Dienstleistungen lege ich Ihnen die Ausführungen des deutschen Ethikrates sehr ans Herzen ( http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-nutzen-und-kosten-im-gesundheitswesen.pdf ).
    In Folge bitte ich Sie zu überlegen, ob Sie Ihre Frage gegenüber dem richtigen Adressaten gestellt haben? Nicht ich, sondern das Swiss Medical Board definiert über Patientengruppen diskriminierende QALY-Analysen, was ökonomisch vertretbar, resp. von Nutzen ist oder nicht. Sozusagen also über den Wert des Menschen, der ab einem gewissen finanziellen ‹Nutzwert› von den Ärzten aufzugeben sei. Ist aber nicht jedes Leben einzigartig und schützenswert, wie Sie es selbst bemerkten? Soll tatsächlich die Gesellschaft, resp. die aktuell geplante Gesundheitspolitik unserer Bundesräte und Parlamentarier über die Lebensqualität eines Menschen urteilen und nicht mehr der/die Betroffene selber? Nach dem Verlust der Arzt- und Therapiefreiheit in Managed Care Ärztenetzwerken nun auch noch der Verlust des Selbstbestimmungsrechts von uns Patienten? Öffnen Sie bitte Ihre Augen, Frau Schmidlin. Danke für Ihre Aufmerksamkeit in dieser gesundheitspolitischen Angelegenheit, deren weitere Entwicklung zu verhindern ist, wenn die Menschheit nicht zu Nutztieren gestempelt werden soll

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 12.03.2014 um 08:44 Uhr
    Permalink

    @Keusch. Sie haben «Swiss Medical Board» und den Infosperber-Beitrag nicht genau gelesen. «Falsch positive» Befunde sind nicht identisch mit Überdiagnosen und Überbehandlungen. Sie werfen dem «Swiss Medical Boad» «Manipulation» vor. Diesen herabsetzenden schweren Vorwurf, den Sie nicht beweisen, mussten wir aus rechtlichen Gründen streichen. Sie zahlen uns ja eine rechtliche Auseinandersetzung nicht.
    Frage: Finden Sie den gross aufgemachten Artikel im Sonntags-Blick einen Beitrag zur sachlichen Debatte, die sie fordern?

  • am 12.03.2014 um 13:50 Uhr
    Permalink

    @Gasche: jetzt werden Sie aber sehr spitzfindig, um mir etwas vorzuwerfen, was für die SMB aber akzeptiert werden soll? Auf S. 21 des Berichts werden auffällige mit falsch pos. Befunden vermischt, die Prävalenz betrage knapp 4%. Auf S. 31 wird die Zahl positiver auf 200’000 von 1’000’000 – oder 20% – angegeben. Auf S. 38 sind es dann wieder 4% um auf S. 51 diese wieder zwischen 1-10% anzugeben. Für das Kosten-Nutzen-Berechnungsmodell QALY werden am Ende dann eben diese 10% verwendet. Wie wäre wohl die Schlussfolgerung des SMB ausgefallen, wenn Sie die Rate von 4% verwendet hätten?
    Es gehört somit ebenfalls zur sachlichen Auseinandersetzung, so wie Sie den SoBli Artikel kritisieren, dass man auch die Berechnungsmethode des SMB kritisch hinterfragen darf, und wenn solche Unstimmigkeiten vorliegen, ja sogar muss. Der Link zu den gemachten Angaben: http://physicianprofiling.ch/MBMammoScreening.pdf . Diskriminierende, leicht manipulierbare Kosten-Nutzen-Berechnungsmodelle wie z.B. das QALY dienen eben leider nicht der geforderten Sachlichkeit. Das dürfte doch wohl auch in Ihrem Interesse liegen?

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 12.03.2014 um 14:02 Uhr
    Permalink

    @Keusch. Meine Frage beantworten Sie leider nicht. Schon gar nicht klar und deutlich. Warum nur? Warum plötzlich eine Bisshemmung, die ich bei Ihnen nicht gewohnt bin?
    Ausserdem: Gehören Sie ebenfalls diesem selbsternannten «Verein Ethik und Medizin» an, dessen Link Sie oben angeben? Eine wissenschaftlich-sachliche Quelle ist dies für mich nicht, aber ich nehme zur Kenntnis, dass Sie diese Quelle schätzen und nutzen.

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