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Franco Cavalli © Ticino L.

Wilde Behauptung Franco Cavallis

upg /  Der Tessiner Krebsprofessor wird häufig zitiert. Doch auf seine Aussagen ist kein Verlass.

Franco Cavalli, Professor und Chefarzt für Onkologie im Spital Bellinzona, gilt laut Wikipedia als «einer der renommiertesten Krebsforscher der Schweiz». Doch nicht nur in Publikumsmedien nimmt er es mit Zahlen und Daten nicht so genau, sondern auch in Fachzeitschriften wie dem «Schweizer Krebsbulletin».
In der jüngsten Ausgabe rühmt er in einem Editorial den Erfolg der Medizin bei der Krebsbekämpfung am Beispiel des Brusttumors:
«Man muss nur die Heilungsraten von Brustkrebs betrachten, die in den Industriestaaten in den letzten dreissig Jahren von etwa 25 Prozent auf 70-75 Prozent zugenommen hat.»
Die Leserschaft des Krebsbulletins werden wissen, dass ein Tumor bei den Medizinern bereits als «geheilt» gilt, wenn die Patientin fünf Jahre nach der Diagnose nicht an Brustkrebs gestorben ist.
Wer die Heilungs- oder Überlebensraten von früher und heute vergleichen will, muss aufpassen, dass er nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Konkret: Vor dreissig Jahren waren die Diagnosemethoden noch nicht so genau wie heute und die Früherkennung war auch noch wenig verbreitet. Deshalb hat man vor dreissig Jahren vor allem Tumoren im mittleren und fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Heute dagegen werden viel mehr kleine Krebszellen im Frühstadium diagnostiziert.
Wegen früherer Diagnose länger krank
Das ist der Hauptgrund, weshalb heute viel mehr Frauen die fünf Jahre nach der Diagnose erleben – selbst ohne bessere medizinische Behandlung. Viele Frauen werden gleich alt wie früher, aber sie sind wegen der früheren Diagnose länger krank. Es kommt dazu, dass viele Frauen ohne Nutzen behandelt werden, weil sie von den Krebszellen, die man wegen der Früherkennung entdeckt hat, nie etwas bemerkt hätten. Diese Frauen «überleben» natürlich ebenfalls mehr als fünf Jahre, während sie früher in der Statistik gar nicht als Krebskranke erschienen.
Zwei Fragen
Ein Vergleich des Überlebens von früher und heute muss deshalb auf jeden Fall diagnostizierte Krebszellen im gleichen Stadium vergleichen. Das weiss natürlich auch Krebsspezialist Franco Cavalli. Deshalb stellte ich ihm zwei Fragen:

  1. Bezieht sich der Vergleich von früher 25 Prozent und heute 70-75 Prozent Überleben oder Heilungsrate auf Frauen mit Krebs in einem vergleichbaren Stadium?
  2. Welches ist die aussagekräftigste Studie, die beweist, dass die Überlebensrate bei Brustkrebs von 25 auf 70-75 Prozent zugenommen hat?

Zurück kam als einzige Antwort: «Möglicherweise ist 70 Prozent etwas zu hoch gegriffen.» Eine aussagekräftige Studie gab Cavalli nicht an. Er erwähnte nur, das US-Krebsregister zeige etwa diese Grössenordnung.
Statistisch, aber nicht real
Das war geflunkert. Cavalli muss wissen, dass die Statistik des US-Krebsregisters eben nicht «stadiumbereinigt» ist, also früher und heute unterschiedliche Krebsstadien miteinander vergleicht. Das «National Cancer Institute» warnt sogar ausdrücklich vor einer statistischen Fehlinterpretation, weil die verbesserten Diagnosemethoden und die Früherkennung die Erkrankungs- und Überlebensraten zwar statistisch erhöhten, was aber mit der tatsächlichen Erhöhung der Überlebensrate nichts zu tun habe.
Nach Diagnose eines Tumors im Frühstadium lebt man länger
Dies besonders beim Brustkrebs: Eine Diagnose im frühen Stadium 1 überleben 98 Prozent aller Frauen mindestens fünf Jahre lang, im Stadium 2 sind es noch 80 Prozent, im Stadium 3 nur noch 26 Prozent. Heute werden etwa 40 Prozent mehr Tumoren bereits im Stadium 1 entdeckt. Frauen mit einem diagnostizierten Brustkrebs leben deshalb heute selbst ohne bessere Behandlung vom Zeitpunkt der Diagnose an rein statistisch länger als früher. Viele erfahren schon Jahre früher, dass sie Brustkrebs haben, ohne dass sie dank Behandlungen länger leben. Einige von ihnen hätten von den Krebszellen ohne Früherkennung sogar nie etwas bemerkt.
Viele Brustkrebs-Kranke leben länger – aber wie viele und wie viel länger?
Unabhängig davon hat die Behandlung von Brustkrebs Fortschritte gemacht. Es gibt bessere Medikamente, gezieltere Bestrahlung, schonendere chirurgische Eingriffe. Vielen Frauen leben deshalb länger als früher.
Doch wie stark dieser medizinische Fortschritt das effektive Überleben der Frauen verlängert hat, dafür konnte Franco Cavalli auch nach zweimaligem Fragen keine Studie vorlegen.

Merke: Es gehört zu den Aufgaben der forschenden Mediziner, Erfolge aufzubauschen und Forschungsdurchbrüche zu prophezeien, um Forschungsgelder locker zu machen. Onkologen streiten sich untereinander, für welche Krebsart am meisten investiert werden soll, und sie streiten sich mit Herzspezialisten darum, ob Krebs- oder Herzkreislaufkrankheiten wichtiger sind und am meisten Geld erfordern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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2 Meinungen

  • am 1.03.2014 um 17:22 Uhr
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    Die Kehrseite der Medaille: Behandlungen von metastasiertem Brustkrebs kosten schnell einmal 160’000 Fr und mehr. Dabei wird aber keine Heilung erzielt, sondern je nach Präparat nur eine Verlängerung der progressionsfreien Überlebenszeit (Verbesserung der Lebensqualität) um ‚magere’ 2-6 Monate. Ein Schelm der Böses denkt, aber es dürfte durchaus im Interesse der Pharmaindustrie sein, dass man in Zukunft noch viele Patientinnen hat, die man so teuer behandeln kann? Das Ganze von verschiedensten finanziellen Fehlanreizen so korrumpierend beeinflusst, dass es am Ende nur einen Verlierer geben kann: Die Frau ab 50, welche in der Grundversicherung nur noch Kosten bis zu einem vertretbaren Kostenlimit/Jahr generieren darf, ansonsten sie einfach dem Schicksal zu überlassen ist, wenn sie sich keine Zusatzversicherung zur Abdeckung höherer Behandlungskosten leisten kann! Dies gilt es über praxisnahe Versorgungsforschung zur Klärung und Optimierung von Screening, Behandlungsoptionen und Palliativpflege von Brustkrebs, um die Kosten vertretbar gestalten zu können, zu vermeiden. Jede Frau ist einzigartig. Diese nur auf die Kosten zu reduzieren ist diskriminierend und sowohl medizinisch als auch ethisch betrachtet höchst verwerflich. Wollen wir es zum Wohle unserer Volkswirtschaft tatsächlich soweit kommen lassen? Das reichste Land der Welt? Wohl dem, der sich in Zukunft eine Zusatzversicherung leisten kann. Die Krankenversicherer und Pharmaindustrie wird dies doch nicht etwa freuen?!

  • am 2.03.2014 um 19:04 Uhr
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    Es erstaunt schon, dass wir von anerkannten Krebsspezialisten keine klaren Antworten erhalten! Es drängt die Frage in den Vordergrund: Wer ist befugt, Spezialisten anzuerkennen? Ist es ein Geben und Nehmen im Elfenbeinturm?
    Eben lese ich im Buch von Dr. Tamara Lebedewa den Fall eines 5-jährigen Kindes, welches auf Krebs diagnostiziert und behandelt wurde. Das sei völlig falsch gewesen, denn das Kind sei von starkem Wurmbefall so krank geworden, die Ärzte hätten dies aber nicht gemerkt. Nach Lebedewa sind die Symptome so sehr ähnlich, dass es oft zu Fehldiagnosen käme. (Ich hoffe, es sei jetzt nicht mehr so?) Das Kind ist gestorben am zehrenden Wurmbefall und an den agressiven Pharmazeutika. Eine Wurmkur wäre demgegenüber nicht nur wirksamer, sondern auch verträglicher und viel günstiger. Ich kann natürlich nicht sagen, ob Lebeweda dies alles objektiv beschreibt, sie würde aber kaum Antworten schuldig bleiben… Sie informiert über ihre persönliche Forschung und Erfahrung.

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