Kommentar

Der «gläserne Patient» dient als billiger Vorwand

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

upg /  Spitäler und Ärzte wollen ihre Daten nicht herausrücken, um selber nicht im Glashaus zu sitzen. Ihre Haltung ist unglaubwürdig.

Sie malen die Gefahr des «gläsernen Patienten» an die Wand. Doch in Wahrheit möchten sie vor allem kein «gläsernes Spital» und keinen «gläsernen Arzt». Sie wollen verhindern, dass Kassen die Qualität ihrer Behandlungen erfassen, vergleichen und transparent machen können. Wie allen Interessengruppen geht es ihnen zuallererst um ihre eigenen Anliegen. Spitäler und Ärzte sind nicht selbstloser als andere Unternehmen und Berufsorganisationen. Alle Lobbys begründen ihre Forderungen mit dem «Allgemeinwohl», der «Sicherheit der Konsumenten» oder hier mit dem «Schutz der Patienten».
Spitäler nehmen sogar Todesfälle in Kauf
Doch die Patienten wissen aus Erfahrung, dass Spitäler und Ärzte sie nur schützen, wenn es ihnen gelegen kommt. Über Risiken ihrer Behandlungen klären sie häufig zu wenig auf. Sogar unnötige Todesfälle und Komplikationen nehmen sie in Kauf: Die auf 18 Spitäler verzettelte Herzchirurgie ist ein Beispiel von vielen. Aus Egoismus will keines dieser Spitäler auf Herzeingriffe verzichten. Als Folge davon erreichen manche viel zu geringe Fallzahlen, die Teams haben zu wenig Übung, weshalb zu viele Operationen nur halbwegs gelingen.
Forderungen von Patientenorganisationen ignoriert
Auch für Forderungen der Patienten- und Konsumentenorganisationen haben Spitäler und Ärzte in aller Regel wenig übrig. Als Beispiele seien Forderungen genannt, die sich auf das elektronische Erfassen von Patientendaten oder auf die vielen vermeidbaren Spitalinfektionen mit zum Teil tödlichen Folgen beziehen.

Oder sobald Patienten ihre eigenen, vollständigen Patientendossiers oder die detaillierte Rechnungsstellung einsehen möchten, speisen sie Spitäler und Ärzte häufig mit unvollständigen Unterlagen ab – selbst nach mehrmaligem Nachhaken.
Ein viel grösseres Risiko bei der Suva
Die Patienten dürfen sich nicht täuschen lassen. Es geht Spitälern und Ärzten nicht um den «gläsernen Patienten» bei den Kassen. Das beweist schon die Tatsache, dass sie der Suva seit jeher die vollständigen Behandlungsdossiers weiter geben. Den «gläsernen Patienten» bei der Suva haben die Spitäler und Ärzte nie kritisiert.
Es liegt im Interesse der Patientinnen und Patienten, dass Spitäler und Ärzte den Krankenkassen die gleichen Behandlungsdaten liefern wie der Suva. Falls die Rechtsgrundlagen dazu geschaffen werden, gibt es auch kein Problem mit dem Datenschutzgesetz.
Risiko eines Missbrauchs bei der Suva viel grösser
Bei den Krankenkassen ist die Gefahr eines Missbrauchs vergleichsweise klein. Falls ein Risiko besteht, dann bei der Suva: Wenn es sich um Berufskrankheiten handelt, besteht für die Suva-Patienten ein hohes Risiko, dass ihre Arbeitgeber – Kunden der Suva! – ihre Krankheitsdaten ohne ihr Wissen erfahren. Ein Beispiel: Bei Arbeitern der BBC (heute ABB) war die Suva im Besitz von Röntgenbildern, die den Anfang der Lungenkrankheit Asbestose zeigten. Doch die Suva teilte dies lediglich dem Arbeitgeber mit. Die ahnungslosen Arbeiter blieben dem Asbest ausgesetzt, bis sie daran starben.
Solch dramatische Folgen haben Spitäler und Ärzte bis heute wenig gekümmert, wenn sie der Suva die Behandlungsdaten lieferten. Dass erkrankte oder verunfallte Arbeiter vor ihren Arbeitgebern als «gläsernde Patienten» dastanden, war den Spitälern und Ärzten bisher egal.

Ein anderer scheinheiliger Vorwand
Spitäler und Ärzte können deshalb keinen glaubwürdigen Grund angeben, um den Krankenkassen die gestellten Diagnosen zu verweigern. Die Patienten ihrerseits haben wenig zu befürchten, denn bei den Kassen ist die Gefahr klein, dass ein Krankheitsdossier in die Hände eines Arbeitgebers gelangt.
Ein anderer scheinheiliger Vorwand von Spitälern und Ärzten, welche den Kassen die Behandlungsdaten nicht mitteilen wollen, ist der mögliche Missbrauch von Daten durch Lebens- oder Zusatzversicherungen. Private Versicherungen brauchen diese Daten gar nicht, weil sie vor allen Versicherungs-Abschlüssen ohnehin detaillierte Krankheitsgeschichten verlangen, inklusive HIV-Infektion, Rauch- und Trinkgewohnheiten. Jede ungenaue oder unvollständige Angabe führt zur Verweigerung der Leistungen.
Den Wettbewerb um Qualität ermöglichen
Es spricht also wenig dagegen, dass die zahlenden Kassen die Behandlungsdaten mitgeteilt bekommen. Im Gegenteil. Der Nutzen für die Patienten kann gross sein: Endlich verfügen die Kassen über Daten, die es erlauben, die Qualität von Behandlungen festzustellen. In Holland erfassen die Kassen den ganzen Behandlungsprozess bis zur Genesung oder bei chronischen Krankheiten bis zu deren Stabilisierung. Das erlaubt ihnen dank kontrollierter Vertragsfreiheit, die besten Spitäler und Ärzte zu bevorzugen. Es entsteht Wettbewerb um Qualität – zum grossen Nutzen aller Patientinnen und Patienten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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