6251613752_901bac47c4

Schöne Kulisse, aber auch in Spitälern fehlen Ressourcen – Havanna, die Haupstadt Kubas. © jodastephen/flickr/cc

In Genf studiert, in Kuba die Spitalpraxis erlebt

Patricia Islas /  Frauen und Männer, die in Genf Medizin studieren, absolvieren in 30 Länder Praktika. Drei Studentinnen waren in Havanna.

«Mich fasziniert die Fähigkeit der Kubaner, über die Runden zu kommen und die täglichen Herausforderungen eines nicht gerade leichten Lebens zu meistern», sagt die 23-jährige Sofia Merlo. Sie ist eine der drei Studentinnen, die im Spital Hermanos Almeijeiras ein Praktikum abschliesst, im Rahmen eines Programms zur Sensibilisierung für die soziale Verantwortung künftiger Ärzte.

Wir befinden uns auf der Intensivstation eines der wichtigsten Krankenhäuser Kubas. Die Ärzte überwachen pausenlos die hier vorüberziehenden Fälle von Tod und Leben. Zwischen den Leintüchern eines Krankenbetts schauen die Füsse eines Patienten mit Turnschuhen heraus. Er liegt hier seit mehreren Tagen unbeweglich.

Der kubanische Erfindergeist

«In der Schweiz verwenden wir eine spezielle und teure Stütze, um den Fuss senkrecht zu halten; denn ein Seitwärtskippen könnte schwere Verletzungen nach sich ziehen. Doch hier, wo die Mittel fehlen, löst der kubanische Erfindergeist das Problem einfach mit einem Paar Turnschuhe», erläutert Sofia.

Zusammen mit Amélie Wanders (22) und Alexandra Stefani (23) macht sie sich mit der Spitalrealität vertraut, um zum Abschluss des dritten Studienjahres ein spezifisches Gesundheitsproblem anzugehen: Während des Praktikums sammeln die Studentinnen hier Daten für ein in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Genf und der WHO organisiertes Hygieneprogramm zur Verminderung von Infektionen in Spitälern.

Mangelnde Hygiene hat schlimme Folgen

Ohne die Verdienste eines der anerkanntesten Gesundheitssysteme Lateinamerikas schmälern zu wollen, ist auch in Kuba mangelnde Hygiene ein Problem mit schwerwiegenden Folgen: Sieben von 100 Patienten werden während des Spitalaufenthalts wegen mangelndem Händewaschen des Personals angesteckt, davon 30 Prozent auf der Intensivstation.

Zu den Ansteckungsursachen gehören die fehlende Hygiene des Personals bei der Handhabung intravaskulärer Katheter und mechanischer Beatmungsgeräte.

Die mangelnde Hygiene ist aber auch eine Folge des Wirtschaftsembargos der USA, da es, wie die UNO über zwanzig Mal wiederholte, die Mittel eines Landes mit einer schwachen Volkswirtschaft einschränkt.

«Es fehlen Latex-Handschuhe, Mundschütze und notwendige Teile für medizinische Geräte. Beim Abhorchen eines Patienten schützen sich die Ärzte den Mund mit ihrer Haube,» bemerkt Amélie Wanders.

US-Blockade verteuert Importe massiv

Ärztin Nora Lim von der Intensivstation sagt: «Nachdem Washington in den 1990er-Jahren die Blockade verschärfte, schlossen sich für uns die Türen für den Import von Geräten und Ersatzteilen. Die USA drohen Unternehmen, die mit uns Handel treiben wollen, mit Sanktionen. Der Import von Geräten ist für uns viel kostspieliger als für andere Länder.»
Trotz aller Mängel sei das Ziel des Gesundheitssystems, «Krankheiten auf ein Minimum zu reduzieren. Doch dies müssen wir angesichts des Embargos mit den tatsächlich bestehenden Möglichkeiten in Einklang bringen», bedauert Lim.

Mit der NGO MediCuba gehört die Schweiz zu jenen Ländern, die Kuba bei der Überwindung der Beschränkungen im Gesundheitswesen beistehen. In den letzten 20 Jahren finanzierte MediCuba Projekte von über 5 Millionen Franken. So erhielt das Spital Almeijeiras vor kurzem 250 Katheter für Lungenspülungen und ein Ersatzteil für eines der mechanischen Beatmungsgeräte. Diese Geräte sind zur Vermeidung von Lungenentzündungen bei beatmeten, kritischen Patienten unentbehrlich.
«MediCuba finanziert die Grundstoffe für die lokale Herstellung von Medikamenten und organisiert zusammen mit europäischen Schwesterorganisationen Spendenaktionen für den Kauf von Krebsmedikamenten für Kinder», erläutert der Vizerektor des Nationalen Instituts für Onkologie und Radiobiologie und Vertrauensperson im Kontakt zwischen Schweizer und kubanischen Ärzten, Doktor Nélido Gónzales.

Genfer Uni-Spital startete 2012 Zusammenarbeit
Dank dem Engagement des Spitals Almeijeiras begann das Universitätsspital Genf dieses Jahr die Zusammenarbeit mit Kuba. Der Vizedekan der Medizinischen Fakultät und der Intensivstation des Universitätsspitals Genf, Jérôme Pugin, lehrte seine kubanischen Kollegen, warum und wie Desinfektionsmittel für Hände zu benützen sind. Inzwischen stellt das Spital das Mittel bereits selber her.

«Für das Programm ‹Null Lungenentzündung› sind wir hier im Spital die Pioniere bei der Anwendung dieser von der WHO empfohlenen und in Industrieländern bereits benützte Methode», erläutert die für diese Initiative verantwortliche Ärztin Lim. Da eine Lungenentzündung einem von zwei Patienten auf einer Intensivstation das Leben kosten kann, ist diese Aufgabe äusserst wichtig.
«Das Projekt stützt sich auf eine vor 20 Jahren vom Schweizer Arzt Didier Pittet erfundene hydroalkoholische Formel. Diese einfache Methode führte in Genfer Spitälern zur Abnahme von Infektionen auf die Hälfte und wurde 2004 von der WHO zur Verbreitung auf der ganzen Welt übernommen», erklärt Aurélie Wanders, während sie aufmerksam eine Krankenschwester bei der Pflege eines Kranken beobachtet.

Ausgezeichnete Ärzte kennengelernt

Die Schweizer Studentinnen erzählen, dass sie sich an die offensichtlichen materiellen Beschränkungen des Spitals Almeijeiras gewöhnt hätten. Sie hätten ausgezeichnete Ärzte kennengelernt, sagt Sofia.
«Auch wenn sie weniger Technologie und Mittel zur Verfügung haben, spürt man, dass sie menschlicher und intuitiver sind und sich für das Umfeld des Patienten interessieren. Aktiv am Leben in Kuba teilzunehmen, hat mir ermöglicht, der Wohlstandsblase zu entweichen, um von anderen zu lernen und zu reifen.» Dies sei für ihren späteren «verantwortungsvollen Beruf» grundsätzlich.
«Diesen Willen, sich bei Problemen nicht kleinkriegen zu lassen und als Arzt das Beste zu geben, nehmen wir in die Schweiz mit», meint Alexandra.
——-
Dieser Beitrag erschien zuerst auf swissinfo.ch und ist aus dem Spanischen übersetzt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.